# taz.de -- Internationaler Literaturpreis verliehen: Du schaffst das, Fatima | |
> Fatima Daas’ Roman „Die jüngste Tochter“ gewinnt den Internationalen | |
> Literaturpreis. Die Autorin ist jung, muslimisch und selbstbestimmt. | |
Bild: Autorin Fatima Daas wächst im Pariser Plattenbauvorort Clichy-sous-Bois … | |
„Meine Mutter sagte oft, man dürfe nicht versuchen zu verstehen, sich nicht | |
zu viele Fragen stellen oder infrage stellen“, schreibt die 25-jährige | |
Autorin Fatima Daas in ihrem Debütroman „Die jüngste Tochter“, der sie im | |
französischsprachigen Raum binnen eines Jahres zum literarischen Shooting | |
Star machte. Auch hierzulande steigt der Roman gleich groß ein: In der | |
[1][deutschen Übersetzung von Sina de Malafosse] erhielt er soeben den am | |
Berliner Haus der Kulturen der Welt vergebenen Internationalen | |
Literaturpreis. | |
Fatima Daas ist ein Pseudonym, auch ihre Protagonistin hat die Autorin so | |
genannt. Damit verleiht sie einer Ambivalenz Ausdruck: „Ich heiße Fatima. / | |
Ich trage den Namen einer symbolischen Figur des Islams. / Einen Namen, den | |
man ehren muss. / Einen Namen, den ich entehrt habe.“ | |
Auf dieselbe Weise, wie im Roman kein Wort zufällig fällt, die Autorin | |
jedes mit Bedacht wählt, seziert und auf seinen Ursprung zurückführt, nimmt | |
sich Fatima selbst auseinander. Sie erzählt die Geschichte eines Mädchens, | |
„das kein richtiges Mädchen ist, das weder algerisch noch französisch ist, | |
weder Vorstädterin noch Pariserin, eine Muslimin, glaube ich, aber keine | |
gute Muslimin, eine Lesbe mit anerzogener Homophobie“. | |
Im Glutkern dieses Romans pocht ein inneres Zerwürfnis. Einerseits soll die | |
Erzählerin dem Namen, den sie trägt, dem Vornamen der Tochter des Propheten | |
Mohammed, Ehre erweisen, andererseits weiß sie schon sehr früh in ihrem | |
Leben sehr genau, dass sie nicht werden wird, „was man eine gute, eine | |
echte Muslimin nennt“. | |
## Autofiktion übers Muslima- und Lesbischsein | |
„Die jüngste Tochter“ ist ein autofiktionaler Roman mit einer | |
faszinierenden Erzählstimme geworden: Die Leser*in spürt in der Dichtheit | |
der Sprache die Bedrängnis der Erzählerin. Fatima Daas wächst auf im | |
Pariser Plattenbauvorort Clichy-sous-Bois – dreimal muss sie umsteigen bis | |
zur Uni. Im Zug, auf dem Weg hinein in die Stadt, hört sie Rap und | |
Koran-Suren, aus denen sich die Musikalität ihres Schreibstiles speist, und | |
sucht nach einer (Lebens-)Form, die sie sowohl als Lesbe wie auch als | |
Muslimin akzeptiert. | |
Der Weg dahin verläuft nicht linear – auch das spiegelt sich in der | |
gebetsmühlenartigen, fragmentarischen Textstruktur wider: „Ich heiße | |
Fatima. / Ich suche Stabilität. / Denn es ist schwer, immer abseits zu | |
sein, abseits der anderen, nie bei ihnen, abseits des Lebens, immer | |
daneben.“ | |
Fatima ist nicht die, die ihre Eltern erwarten, nicht die, die sie sich | |
ausgemalt hatten: Sie selbst gibt sich wie der Sohn, den ihre Eltern nie | |
hatten. Die Mutter aber möchte, dass Fatima an ihrem Platz bleibt: sich | |
kleidet, verhält und liebt wie ein Mädchen. Gott, sagt die Mutter, habe | |
Mann und Frau geschaffen. Ihm missfalle, wenn ein Mädchen wie ein Junge | |
aussehen wolle. | |
Was tun also, wenn der Platz, nach dem man sucht, nirgends zu existieren | |
scheint? Fatima fragt den Imam um Rat für ihre lesbische muslimische | |
Freundin, beleidigt ihren homosexuellen Mitschüler, reißt in | |
Familienunterhaltungen homophobe Witze, um von ihrem Ärger über die | |
familiären Ansichten abzulenken. Und sie versucht den konventionellsten | |
Platz eines Mädchens, den neben einem Jungen, einzunehmen: „Ich sage mir | |
immer wieder:,Du schaffst das, Fatima, er ist ein guter Kerl.'“ | |
## Gefühle „zaghaft zeigen, aber niemals aussprechen“ | |
Vieles ändert sich, als Fatima Nina begegnet und mit ihr der Liebe und der | |
Nähe und der Zärtlichkeit. Bei ihr zu Hause sind das Tabuthemen. Über | |
Gefühle heißt es einmal: „Überbleibsel meiner Erziehung: zaghaft zeigen, | |
aber niemals aussprechen.“ | |
Irgendwann sei ihr klar geworden, schildert die Autorin in einem Interview | |
mit dem Radiosender France Inter, dass sie ohne ein Vorbild aufgewachsen | |
sei, das ihr in irgendeiner Weise entsprochen hätte: „einer Frau, | |
Französin, gut in der Schule, lesbisch, muslimisch und gläubig“. „Die | |
jüngste Tochter“ birgt in sich das Potenzial, künftigen Generationen | |
zumindest darin als Vorbild zu dienen, dass dieser Roman um die Fragilität | |
unserer Gewissheiten weiß. | |
1 Jul 2021 | |
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[1] /Feministischer-Klassiker-unzensiert/!5774664 | |
## AUTOREN | |
Marielle Kreienborg | |
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