| # taz.de -- WDR streicht „Buchtipps“: Lange historische Bögen | |
| > Moderatorin Christine Westermann muss man literaturkritisch nicht mögen. | |
| > Doch das Aus für ihre „Buchtipps“ zeigt die Kulturfeindschaft des | |
| > Fernsehens. | |
| Bild: Christine Westermanns Literaturtipps wurden gestrichen | |
| Im Literaturbetrieb gibt es lange historische Bögen. Während spätestens um | |
| 2000 herum die Popliteratur sich nach vorne kämpfte, wurden auf den | |
| repräsentativen Sendeplätzen noch Grass und Walser diskutiert, als stünde | |
| der Mix aus Gruppe 47, Suhrkampkultur und Ost-Dissidenten-Einsprengseln | |
| noch in voller Blüte. | |
| Doch während nun in diesem Frühjahr endgültig die Identitäts- und | |
| Identitätszuschreibungshinterfragungsromane etwa von [1][Sharon Dodua Otoo] | |
| und [2][Mithu Sanyal] breit diskutiert wurden, hielt der offiziöse Betrieb | |
| den Popliteraten Christian Kracht als Klassiker hoch. | |
| Solche Ungleichzeitigkeiten sind kein Zufall. Die 70er Jahrgänge, die mit | |
| „Faserland“ endgültig literarisch sozialisiert wurden, sitzen jetzt in den | |
| Redaktionen und Jurys. Es gibt – da kann ich auch auf eigene Erfahrungen | |
| zurückgreifen – offenbar lebenslang eine besondere Beziehung zu den Themen, | |
| Büchern und Autor*innen, mit denen man literaturkritisch anfing. | |
| Ähnliches, nur viel destruktiver, gibt es beim öffentlich-rechtlichen | |
| Fernsehen zu beobachten. Auch wenn man kein literaturkritischer Fan von | |
| Christine Westermann ist, kann einen die Begründung, mit der ihre | |
| Literaturtipps im WDR nun gestrichen werden, doch einigermaßen erschüttern. | |
| Im Kern läuft sie auf die Behauptung hinaus: Die Mehrheit interessiert sich | |
| nicht für Bücher. Selbst wenn das wäre, sollte das gerade für ein | |
| öffentlich-rechtliches Fernsehen nicht Ansporn sein, das zu ändern? | |
| Es liegt nahe anzunehmen, dass es auch in den Sendeanstalten lange Bögen | |
| gibt. Die Kohorten von Medienmanagern, die sich mit antielitären | |
| Schlagworten und Kampfansagen gegen vermeintliche Bildungsbürgerlichkeit | |
| ihre Sessel erstritten, sitzen jetzt in den Gremien. Wie es aussieht, | |
| werden sie erst Ruhe geben, wenn das letzte Fitzelchen Anspruch zumindest | |
| aus den Hauptprogrammen der Sender getilgt ist. | |
| ## Rassismus, Misogynie | |
| Dabei zeigt sich gerade jetzt – etwa an der vom Literaturwissenschaftler | |
| Moritz Baßler angestoßenen Debatte, ob die Gegenwartsliteratur solchen | |
| Themen wie Rassismus, Misogynie, Flucht wirklich gerecht wird –, dass | |
| wichtige Fragen des aktuellen gesellschaftlichen Selbstverständnisses | |
| derzeit auf dem Feld der Literatur diskutiert werden. | |
| Der Kampf gegen „das Feuilleton“ als Ort der Abgehobenheit und der | |
| bildungsbürgerlichen Selbstverliebtheit ist doch längst geschlagen. Wer | |
| Relevanz will, kommt um die Beschäftigung mit aktuellen Büchern nicht | |
| herum. Nur Unterhaltung ist doch auch noch nicht einmal unterhaltsam. | |
| Hoffentlich kommt dieser aktuelle Ausschlag der langen historischen Bögen | |
| nicht zu spät bei den öffentlich-rechtlichen Medien an. | |
| 9 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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