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# taz.de -- Überschwemmung in Deutschland: Ohne Versicherung
> Die Landesjustizminister prüfen nach der Flutkatastrophe die Einführung
> einer Pflichtversicherung gegen Naturgefahren. Die Versicherer sind
> dagegen.
Bild: Viele Flutopfer sind nicht ausreichend versichert: Totalschaden eines Hau…
Berlin taz | Als Reaktion auf die [1][immensen Schäden infolge der
Flutkatastrophe] im Westen und Süden Deutschlands prüfen die
Justizminister:innen der Länder eine Pflichtversicherung für
Naturgefahren. Das kündigte der NRW-Justizminister Peter Biesenbach an. Der
Christdemokrat ist zurzeit Vorsitzender der Konferenz der
Landesjustizminister:innen.
Etliche Hausbesitzer:innen, deren Gebäude den Fluten zum Opfer gefallen
ist, haben keinen Versicherungsschutz. Das Problem: Obwohl viele Eigentümer
von etwas anderem ausgehen, ist eine Gebäudepolice keine
Allgefahrenversicherung. Sie ersetzt nur Schäden, die durch Ursachen
entstehen, die im Vertrag aufgelistet sind. Überschwemmung, Starkregen oder
Erdrutsche sind nicht Bestandteil einer Standardversicherung. Für diese und
weitere Naturgefahren wie den Einsturz eines Dachs durch Schneedruck ist
ein Zusatzschutz nötig, die sogenannte Elementarschadenversicherung. Die
hat bundesweit aber nicht einmal jedeR zweiteE, in Rheinland-Pfalz sind es
unter 40 Prozent.
Die Landesjustizminister:innen haben nach Überflutungen immer
wieder über eine Pflichtversicherung diskutiert, zuletzt 2017. „Bei den
näheren Prüfungen waren die verfassungsrechtlichen Bedenken schwerwiegender
als die Argumente, die dafür sprachen, einer solche Zwangsverpflichtung
zuzustimmen“, sagte Biesenbach der taz. Mit einer Pflicht würde der Staat
in die Vertragsfreiheit der Versicherer eingreifen – die sich gegen den
Annahmezwang wehren. „Ob diese dramatischen und verheerenden Ereignisse
jetzt ausreichen, die Diskussion zu einem anderen Ergebnis zu bringen, wird
sich zeigen“, sagte Biesenbach. „Ich werde das Bundesjustizministerium
bitten, uns hierzu für die Konferenz der Justizministerinnen und
Justizminister einen aktuellen Bericht dazu zu übermitteln, ob es die
Situation nun anders einschätzt.“ Am Wochenende hatte sich die
rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin [2][Malu Dreyer (SPD)] für eine
Pflichtversicherung ausgesprochen. Sachsen, Baden-Württemberg und andere
Länder haben das bereits in der Vergangenheit befürwortet.
Neu ist die Idee nicht. Bis 1994 mussten etwa in Baden-Württemberg
Gebäudebesitzer:innen einen Elementarschutz haben. Heute haben dort
noch mehr als 90 Prozent der Häuslebauer:innen diese Versicherung. In
der Schweiz ist die Absicherung längst obligatorisch.
## Viele bekommen keinen Schutz
In Deutschland dagegen haben die Versicherer 22,1 Millionen Adressen in
vier Kategorien für [3][Überflutungsrisiken] eingestuft. Von der Einordnung
hängt ab, ob Kund:innen Versicherungsschutz bekommen und wie hoch die
Beiträge sind. Danach sind 98.000 Adressen in der Kategorie 4 mit
mindestens einem Hochwasser in zehn Jahren nach Angaben des
Branchenverbands GDV derzeit nicht versicherbar – wären es nach baulichen
Maßnahmen aber möglicherweise. Wer eine von 237.000 Adressen der Kategorie
3 hat, muss mit mindestens einem Hochwasser innerhalb von zehn bis 100
Jahren und einer entsprechend hohen Prämie rechnen. Die übrigen Adressen
befinden sich in den Kategorien 2 und 1. Dort ist ein Hochwasser extrem
selten oder gar nicht zu erwarten – und der Versicherungsschutz
unproblematisch. In welche Kategorie die Überflutungsgebiete in Bayern, NRW
und Sachsen fallen, kann der GDV nicht sagen.
Die Branche ist „grundsätzlich“ gegen eine Pflichtversicherung, teilte der
GDV auf Anfrage mit. Eine Pflichtversicherung nehme jeden Anreiz für
Prävention – mehr Schäden und letztlich unbezahlbare Prämien wären die
Folge, heißt es.
## Verbraucherschützer:innen für Pflicht
Dieses Argument nicht nachvollziehen kann Andrea Heyer von der
Verbraucherzentrale Sachsen. Angesichts des großen Leids, das Überflutungen
verursachen, werde niemand sehenden Auges auf Prävention verzichten. „Wir
treten seit der Elbeflut von 2002 für eine gesetzlich verankerte
Versicherungspflicht ein“, sagte sie. Ereignisse wie Starkregen, ein
Erdrutsch oder Schneedruck könnten Hausbesitzer:innen überall treffen.
Mit einer Versicherungspflicht wäre der Schutz auch für Anlieger in der
Kategorie drei und vier bezahlbar, auch wenn die übrigen möglicherweise
etwas mehr bezahlen müssen. „In der Schweiz, in der es sowohl eine
Pflichtversicherung wie auch eine Versicherungspflicht gibt, liegt die
durchschnittliche Prämie für den Elementarschutz bei gut 100 Euro im Jahr“,
sagte sie.
Die Ministerpräsident:innen haben 2017 beschlossen, dass nur noch
Flutopfer staatliche Soforthilfen erhalten, die keinen Versicherungsvertrag
erhalten haben oder ihn nicht finanzieren könnten. Was das für die jetzigen
Flutopfer bedeutet, ist noch unklar. Heyer hält es angesichts der nahenden
Bundestagswahlen für wahrscheinlich, dass der Beschluss nicht angewandt
wird. Eine dauerhafte Lösung sei das aber nicht: „Auf staatliche Zuschüsse,
die oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und zinsgünstige
Darlehen, die sich nicht jeder leisten kann, gibt es keinen
Rechtsanspruch“, sagte sie. Auf eine Versicherungsleistung auf Basis eines
Vertrages, mit der ein Wohngebäude wiederaufgebaut werden kann, aber schon.
19 Jul 2021
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## AUTOREN
Anja Krüger
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