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# taz.de -- Hamburger Kraftwerk Moorburg vom Netz: Mach's gut, geliebter Feind!
> Das Steinkohlekraftwerk Moorburg ist für immer abgeschaltet. Da werden
> wir fast ein bisschen wehmütig, wir verlieren ein lieb gewonnenes
> Hassobjekt.
Bild: Es ist geschafft: Das Kraftwerk Moorburg ist stillgelegt
Mittwoch war der erste Tag ohne das Kohlekraftwerk Moorburg, das am
Dienstag für alle Zeiten stillgelegt wurde. Die taz hat sich schon seit den
ersten Planungen vor mehr als 15 Jahren an dem Projekt die Finger
wundgetippt – besonders in der Zeit, als die Genehmigung zum Bau
ausgerechnet von einer grünen Senatorin unterzeichnet wurde. Doch kaum ist
es endgültig vom Netz, trauert die taz der Dreckschleuder dann doch ein
klein bisschen nach. Schließlich haben doch auch wir etwas gelernt vom
Kraftwerk.
## Leider kein Einzelfall
Katharina Schipkowski will mehr abschalten:
Während die meisten Hamburger*innen höchstens kurz aufatmen, falls sie
die Nachricht überhaupt zur Kenntnis nehmen, bevor sie in ihren SUV oder
den Urlaubsflieger steigen, dürfte anderen gleich ein ganzer Steinbruch vom
Herzen fallen: den Grünen. Endlich [1][weg mit dem Schandfleck!]
Denn wie peinlich war für die Ökopartei bitte dieses Dreckskraftwerk, das
unter ihrer Regierungsbeteiligung – mit der Unterschrift einer grünen
Umweltsenatorin – genehmigt, gebaut und ans Netz angeschlossen wurde? Im
Wahlkampf hatten sie 2008 eisern verkündet, mit ihnen würde es kein neues
Steinkohlekraftwerk geben. In der Koalitionsverhandlung zeigte sich dann,
was eine grüne Regierungsbeteiligung wert ist: nichts.
Da ist Moorburg leider kein Einzelfall. Erst im vergangenen Jahr haben die
hessischen Grünen diese Gewissheit wieder bestätigt, indem sie mit der CDU
und einem gigantischen Polizeieinsatz [2][den Dannenröder Forst zugunsten
einer Autobahn roden ließen]. Das Argumentationsmuster, mit dem sich die
regierenden Grünen rauszureden versuchen, ist dabei immer das gleiche: „Für
die Planung können wir nichts, die liegt beim Bund/der CDU/name your
favourite Buhmann, und jetzt müssen wir es eben ausführen, sorry!“ Aber wer
braucht eine Partei, die jeden Scheiß mitmacht?
Es ist die alte Frage des Abwägens [3][zwischen Prinzipientreue und
Machtgeilheit]. Ich glaube den Grünen ja, dass sie das Kraftwerk nicht
wollten. Und ich verstehe die Hoffnung, sie könnten dafür an anderer Stelle
etwas bewegen, wenn sie in der Machtposition sind oder bleiben.
Aber irgendwo muss doch eine rote Linie sein. Und wenn es schon
Abschiebungen nach Afghanistan nicht sind, ein Abschiebeknast am Flughafen
nicht weiter stört, Wälder für Autobahnen geopfert werden und ein
CO2-Killer des schwedischen Schweinekonzerns mit Steinkohleimporten aus
menschenrechtsmäßig fragwürdigen Gebieten kein No-Go ist – tja, dann kann
man den Grünen wirklich nur noch sagen: Schaltet euch doch gleich mit ab.
## Ein Mahnmal fällt
André Zuschlag vermisst die Abschreckung:
Was müssen das für schöne Zeiten des ökologischen Aufbruchs gewesen sein,
als sich ein Alleinherrscher dereinst auf den Weg machte, Hamburg zum
Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu wandeln. Die deutsche „Klimahauptstadt“
solle die Elbmetropole werden, verlautete er damals. An die großen
Öko-Vorbilder in Skandinavien wolle er sich orientieren. Das erste
umfassende Klimaschutzprogramm eines deutschen Bundeslandes präsentierte er
dann 2007 auch [4][noch]. Sein Name: Ole von Beust, allein regierender
CDU-Bürgermeister.
Schön klingt das Ziel noch immer. Und witzig ist auch noch: Er, also von
Beust, war es, der eine Dreckschleuder namens Moorburg auf den Weg brachte.
Nicht einmal dieses wahrhaft fiese Unternehmen Vattenfall traute sich
anfangs, das Ding in richtig fettem Maßstab zu errichten. Dann kam
Kohlen-Ole und animierte den Konzern [5][auch noch dazu, es doppelt so groß
zu bauen.] Kannste dir nicht ausdenken!
Als „Klimahauptstadt“ ist Hamburg bislang immer noch nicht in die Annalen
eingegangen und natürlich liegt das auch nicht allein an der CDU. Aber wann
immer seither ein Heini von der CDU mit angeblich ambitionierten
Klimaschutzideen um die Ecke kam, konnte stets auf Moorburg verwiesen
werden. Solche markanten Erinnerungen an Geschichten von Verblendung werden
nun jedenfalls fehlen.
Wobei, es gibt ja nun, in der Post-Moorburg-Zeit, noch immer aufreibende
Folgen dieser Herrschaft. Die [6][Privatisierung der städtischen
Krankenhäuser] zum Beispiel, dienen noch immer als Mahnmal. Wenn auch für
etwas anderes. 74,9 Prozent der Anteile hatte von Beusts Senat an
Asklepios verscherbelt – für einen Witzbetrag noch dazu. Drum erinnert
immerhin noch jedes einzelne Asklepios-Krankenhaus an diese in seiner
Bilanz furchtbare Ägide.#
## Katharsis am Ende
Benno Schirrmeister lacht verzweifelt:
So ein Elend: Es gibt 106 große Kohlekraftwerke in Deutschland, auch in
Bremen, meiner Stadt, gibt es ein paar, aber das einzige, dem gegenüber ich
je habe Gefühle entwickeln können, ist Moorburg. Negative Gefühle, versteht
sich, aber das ist ja der Punkt: Ein Objekt, mit dem man sich, und sei es
durch völlige Ablehnung und innigen Hass, verbunden hat, ist, wendet man
diesen Vorgang ins Passive, eines, an dem man hängt.
Und gerade die Distanz war da hilfreich: Als vor 20 Jahren das erste
Moorburg-Kraftwerk abgerissen wurde, war das ja so eine Art
Hoffnungszeichen für diesen alten dörflichen Ortsteil, so schien es
jedenfalls von Ferne, und das war doch den Bewohner*innen zu gönnen –
und dann, Bäng!, kommt nur ein paar Jahre später so ein Scheißkonzern daher
und sagt, jetzt machen wir das Gleiche nur in richtig-groß. Fies!
Deshalb voll Widerstand, aber zwecklos, sie schaffen es sogar, die
Grünen-Partei so komplett zu entzaubern, dass es heute noch weh tut,
wenigstens mir, weil ich ja doch Mitglied bin.
Erinnern Sie sich daran, wie damals, 2007, die Bürgerschaftsabgeordneten
einschließlich der künftigen Umweltsenatorin Briketts zur CDU-Zentrale
getragen haben? Also, um zu protestieren? Und wie sie dann ein Jahr später
diesen Koalitionsvertrag unterzeichnet haben, mit dem Bekenntnis zu
Vattenfalls irrem Projekt?
Damals ging dieses, ich glaube ursprünglich mexikanische, Video von dem
lachenden Alten in einer Talkshow viral, mit der Pseudo-Synchronisation,
nach der er sich über den Hamburger schwarz-grünen Regierungspakt
ausschüttete – und der schönsten und rabenschwärzesten Pointe, dass die
Grünen, weil ja fast alle BUND-Mitglieder, den Senat verklagen würden, den
sie selbst bilden – und billigen.
Man lag am Boden, echt, obwohl es so traurig, ja fatal war, und konnte sich
die Verzweiflung aus der Seele lachen, darüber, dass es die Politik, die
nötig wäre, nicht geben wird. Ohne Moorburg, dieses handfeste Mal des
Versagens, wird es schwer, eine ähnlich kathartische Wirkung zu erzielen.
Es wird uns fehlen. Denn die Verzweiflung ist geblieben.
8 Jul 2021
## LINKS
[1] /Abschalten-von-Kohlekraftwerken/!5728939
[2] /Die-Gruenen-und-der-Danni/!5734347
[3] /Rot-gruener-Koalitionsvertrag-in-Hamburg/!5686270
[4] /Archiv-Suche/!245584&s=ole+von+beust+klimaschutzprogramm&SuchRahme…
[5] /Vattenfall-will-Klimakiller-abschalten/!5709411
[6] /Privatisierung-in-Hamburg/!5047372
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Katharina Schipkowski
André Zuschlag
## TAGS
Moorburg
Schwerpunkt Klimawandel
Kohleausstieg
Kraftwerk
Steinkohle
Hamburg
Verkehrswende
Umweltbehörde Hamburg
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