# taz.de -- Lastenräder als Alternative zu LKW: Pakete könnten abgasfrei komm… | |
> Online-Handel und Lieferverkehr sorgen für verstopfte Straßen und | |
> gefährliche Situationen. Dabei gibt es Konzepte für umweltverträglichen | |
> Transport. | |
Bild: Die letzte Meile zu den Kund:innen wird wohl bald mit Pedalkraft bewälti… | |
BERLIN taz | Das Problem ist nicht zu übersehen, denn es steht mitten im | |
Weg: Lieferwagen, die eine Straße blockieren. Gerne mehrere davon | |
gleichzeitig, in beiden Richtungen, sodass sie Autofahrer:innen zum | |
Halten und [1][Fahrradfahrende zu mitunter lebensgefährlichen | |
Ausweichmanövern] zwingen. Dass das Aufkommen der Lieferfahrzeuge nicht nur | |
gefühlte Realität ist, zeigen die Zahlen: Über 4 Milliarden verschickte | |
Sendungen zählt der Bundesverband Paket und Expresslogistik für das | |
vergangene Jahr. Das sind über 10 Prozent mehr noch im Vorjahr. | |
Im Bereich B2C, also Gewerbe zu Privatkund:innen, stieg das Aufkommen sogar | |
um 18,6 Prozent. Dazu kommen noch weitere Lieferungen wie für Supermärkte, | |
Drogerien, Restaurants oder Einzelhändler. Und die Prognosen sind weiterhin | |
steigend: Für das Jahr 2025 erwartet der Verband ein Volumen von 5,7 | |
Milliarden verschickten Sendungen. Das heißt: Noch mehr Lieferwaren, die | |
die Straßen verstopfen, noch mehr Unfälle und Beinaheunfälle. Oder? | |
Nicht unbedingt. Denn Konzepte, um in Städten [2][die sogenannte letzte | |
Meile bis zu den Kund:innen] etwas verträglicher für Umwelt, | |
Anwohner:innen und Verkehrsteilnehmer:innen zu gestalten, gibt es | |
durchaus. Tim Holthaus, der an der Bergischen Universität Wuppertal zu dem | |
Thema forscht, nennt drei Kernpunkte, die sich in jedem Fall ändern | |
sollten. Erstens: das Transportfahrzeug. | |
„Ein Lastenrad ist für die letzte Meile das Mittel der Wahl“, sagt | |
Holthaus: Weniger Emissionen, weniger Platzverbrauch. Zweitens: der | |
Konkurrenzkampf. „Wir müssen dahin kommen, Verkehre zu bündeln.“ Selbst | |
wenn die Auslieferung per Lastenrad erfolgt, sollten nicht Räder von | |
mehreren Anbietern dieselbe Straße bedienen müssen. Und drittens: „Auch die | |
Städte sind in der Pflicht.“ Zum Beispiel Ladezonen für Lastenräder | |
einrichten. | |
Wie groß – oder klein – das Potenzial von Lastenrädern ist, rechnet Ralf | |
Bogdanski vor, Professor an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in | |
Nürnberg, der zu nachhaltiger Stadtlogistik forscht. Demnach kann ein | |
Lastenrad rein gewichtsmäßig ein Viertel der Güter eines Transporters | |
aufnehmen, nach Volumen deutlich weniger. Gehe man von der typischen | |
Sendungsgröße aus, die DHL, GLS und Co auf der letzten Meile zu | |
Privatkund:innen transportieren, passten in ein Lastenrad etwa 100 bis | |
120 Sendungen. Praktisch, denn: „Das entspricht etwa dem, was ein Zusteller | |
an einem Arbeitstag schafft“, sagt Bogdanski. | |
Eine größere Hürde seien da die Distanzen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit | |
von 25 Kilometern pro Stunde schaffe ein Lastenrad am Tag nur etwa halb so | |
viel Strecke wie ein motorisierter 3,5-Tonner. Daher kommt die Idee der | |
Mikrodepots, kleiner Umschlagplätze. Das Problem: Gerade in den | |
Innenstädten ist die Flächenkonkurrenz hoch. | |
Für eine Stadt wie Berlin, schätzt Bogdanski, wären etwa 100 Standorte | |
nötig – und die auch noch so sinnvoll örtlich verteilt, dass sich in | |
Kombination mit den Lastenrädern ein Logistiknetz über die Stadt spannen | |
lässt. „Das limitiert derzeit den Einsatz von Lastenrädern“, sagt | |
Bogdanski. Er forscht daher nun an Konzepten, die ohne Mikrodepots | |
auskommen, zum Beispiel indem direkt vom Transporter auf die Lastenräder | |
umgeladen wird und das an unterschiedlichen Standorten. Oder mit einer | |
Einbindung des öffentlichen Nahverkehrs. | |
Für den gewerblichen Letzte-Meile-Transport bis nach Hause geht Bogdanski | |
davon aus, dass rund 30 Prozent des Verkehrs durch Lastenräder ersetzt | |
werden können, der Rest der transportierten Sendungen sei zu sperrig oder | |
zu schwer. Das klingt erst mal nicht viel. „Aber jedes Kraftfahrzeug, das | |
wir von der Straße runterkriegen, ist ein Fortschritt“, sagt Bogdanski. | |
Dazu komme: Die KEP-Branche – also Kurier-, Express- und Paketdienste – sei | |
häufig ein Pionier, was neue Lösungen angeht. | |
## Ein Büroartikelhändler macht vor, wie es geht | |
Und in anderen Branchen könne der Anteil an Sendungen, [3][die sich aufs | |
Lastenrad verlagern lassen], schon ganz anders aussehen. Bei der | |
Belieferung von Supermärkten oder Getränkehändlern etwa sei der Anteil noch | |
mal geringer. In anderen Bereichen, wie bei Lieferungen für Apotheken oder | |
der Wäschelogistik von Hotels, dagegen deutlich höher. | |
Wie eine Lieferung per Lastenrad aussehen kann, zeigt beispielsweise das | |
Unternehmen Memo. Der Versandhändler für Büroartikel arbeitet bei der | |
Zustellung für die letzte Meile in mittlerweile rund 10 Städten mit | |
Logistikunternehmen zusammen, die Waren per Lastenrad ausliefern. Ein Rad | |
trägt eine Palette, ein Elektromotor unterstützt beim Transport, geladen | |
wird mit Ökostrom. | |
Der Ablauf: Ein Lkw holt die Ware wie üblich in Memos Logistikzentrum ab | |
und bringt sie zum Standort des Lastenrad-Kurierdienstleisters vor Ort. Der | |
transportiert sie dann weiter bis zum:r Kund:in. „Als wir 2016 damit | |
angefangen haben, wusste praktisch keiner, dass das geht, heute ist es | |
angekommen“, sagt der Vorstandsvorsitzende Frank Schmähling. | |
Auch die Qualität der Lastenräder habe seitdem deutlich zugenommen. Räder, | |
die ein Gewicht von 250 Kilogramm aushalten, seien mittlerweile deutlich | |
gängiger. Dennoch ist es auch heute nicht einfach für das Unternehmen, neue | |
Städte dazuzuholen. Ein Dienstleister müsse gefunden werden und mit diesem | |
eine gemeinsame digitale Schnittstelle, um die Daten zu übermitteln. Und | |
manche Stadt, die mal dabei war, flog wieder raus. Stuttgart zum Beispiel – | |
da hat laut Schmähling „die Topografie nicht gepasst“. | |
## Noch sind die Kosten knapp doppelt so hoch | |
Der Unternehmenschef hofft, dass mehr Versandhändler nachziehen. Was sie | |
derzeit noch davon abhalten könnte: die Kosten. Die Lieferung per Lastenrad | |
auf der letzten Meile lässt laut Schmähling für Memo den Preis für die | |
gesamte Zustellung auf knapp das Doppelte steigen. Kosten, die das | |
Unternehmen selbst trage. Die aber durch Skaleneffekte sinken würden, wenn | |
der Transport per Lastenrad gängig wird. | |
Doch für einen wirklich breiten Einsatz müssten sich auch die Städte | |
verändern. Sie müssten beispielsweise deutlich mehr Platz für Fahrräder auf | |
den Straßen einräumen – sollen zwei Lastenräder einander überholen könne… | |
ist locker eine Autospur fällig. Darüber hinaus Flächen, auf denen die | |
Waren vom Lkw aufs Rad umgeschlagen werden können. Und eine effektive | |
Durchsetzung von Parkverboten und Haltezonen. Denn auch die schönsten | |
Flächen und Wege für Räder helfen nicht, wenn sie von Autos und Lieferwagen | |
zugeparkt werden. | |
6 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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