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# taz.de -- Konfrontation in Jerusalem: Zerreißprobe für Israels Regierung
> Israelische Ultranationalist*innen demonstrieren in Jerusalem. Die
> Hamas schickt Brandsätze aus Gaza, Israel antwortet mit Luftangriffen
> ohne Verletzte.
Bild: Ultrazionistische jüdische Israelis beim sogenannten Flaggenmarsch am Di…
Tel Aviv taz | Die Szenen, die sich am späten Dienstagabend am Damaskustor
abspielten, dem Eingang zum muslimischen Viertel der Jerusalemer Altstadt,
hatten das Zeug dazu, die ohnehin angespannte Atmosphäre erneut eskalieren
zu lassen – und zwar gleich in dreifacher Hinsicht: innerhalb des
israelischen Parlaments, zwischen jüdischen und palästinensischen Israelis
und zwischen Gaza und Israel.
Vorwiegend junge Männer riefen am späten Dienstagnachmittag Sprechchöre wie
„Tod den Arabern“ und „Jerusalem gehört uns“, so kann man es in zahlre…
Videos in den sozialen Medien und auf Nachrichtenportalen sehen. Sie tanzen
und schwenken Israelfahnen.
Die Szenen sind Teil des sogenannten Flaggenmarsches, mit dem
ultrazionistische jüdische Israelis die Eroberung Ostjerusalems im
Sechstagekrieg 1967 feiern. Traditionell findet der Marsch jedes Jahr zum
Jerusalem-Tag statt. Für die Palästinenser*innen bedeutet er jedes
Mal eine Provokation.
Der Marsch führte dann jedoch nicht durch das muslimische Viertel, sondern
durch das Jaffa-Tor in Richtung Klagemauer. Angesichts der angespannten
Lage hatten die israelischen Sicherheitskräfte eine Veränderung der Route
verfügt.
## Erste Zerreißprobe für die neue Regierungskoalition
Schon vor Beginn des Marsches war es zu gewalttätigen Konfrontationen
zwischen Palästinenser*innen und der israelischen Polizei gekommen,
als diese im annektierten Ost-Jerusalem Straßen räumten. 33
Palästinenser*innen wurden bei Auseinandersetzungen mit der Polizei
verletzt.
Eigentlich hätte der Marsch im vergangenen Monat stattfinden sollen. Doch
er war Teil der explosiven Mischung, die Mitte Mai zum Krieg zwischen Gaza
und Israel geführt hatte und war aufgrund von Sicherheitsbedenken vorzeitig
aufgelöst worden.
Für die [1][frisch vereidigte Regierung] war der Flaggenmarsch die erste
Zerreißprobe. Die Einstellungen dazu könnten innerhalb der
Regierungskoalition aus ultrarechten und linken Parteien kaum
unterschiedlicher sein. Mansour Abbas, der Anführer der
islamisch-konservativen Partei Ra'am, die der Regierung die notwendige
Mehrheit beschert hat, verurteilte den Flaggenmarsch und bezeichnete ihn
als „ungezügelte Provokation“.
Der neue Premier Naftali Bennett, Anführer der Siedlerpartei Jamina und
selber ultranationaler Zionist, enthielt sich einer öffentlichen
Stellungnahme. Die neue Regierungskoalition unter Beteiligung einer
arabischen Partei nehmen ihm viele rechte Israelis aus dem Spektrum des
Flaggenmarsches übel. Einige von ihnen hielten Schilder mit der Aufschrift
„Bennett – Betrüger!“ in die Höhe.
Yair Lapid, Architekt der neuen Regierung und Außenminister, der Bennett
nach zwei Jahren als Ministerpräsident ablösen soll, bezeichnete „die
Tatsache, dass es extremistische Elemente gibt, für die die israelische
Flagge für Hass und Rassismus steht“, als „abscheulich und unverzeihlich�…
Die Terrororganisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, hatte im
Vorfeld gewarnt, dass der Flaggenmarsch einen neuen Krieg anfachen könnte.
Doch in Folge einer Warnung aus Ägypten, das eine zentrale Rolle in der
Aushandlung des letzten Waffenstillstands ausgehandelt hatte, fuhr die
Hamas den Ton herunter. Alle Optionen seien auf dem Tisch, doch eine
Eskalation könnte verhindert werden, „wenn die Ereignisse nicht außer
Kontrolle geraten“, hieß es danach.
Ohnehin möchte die Hamas wohl das Image, das sie im letzten Krieg erworben
hat, kaum aufs Spiel setzen. Die Terrororganisation, die sich dort als
Verteidiger Jerusalems und der Palästinenser*innen hat darstellen
können, hat sowohl unter den Palästinenser*innen aus dem
Westjordanland als auch unter den palästinensischen Israelis an Popularität
gewonnen.
Raketen flogen am Dienstag und Mittwochmorgen dementsprechend keine.
Stattdessen feuerten Palästinenser*innen im Gazastreifen im Laufe des
Dienstags Brandsätze aus Ballons auf Israel ab, wobei mindestens 26 Brände
im Süden Israels entstanden.
## Der Marsch – für viele ein Sabotagemanöver Netanjahus
Ein erneuter Ausbruch eines Krieges liegt derzeit auch nicht im Interesse
Israels. Denn ein Krieg könnte das Ende der gerade erst vereidigten,
wackeligen Regierungskoalition bedeuten. Nicht zuletzt deshalb, weil an der
Koalition eben auch die konservativ-islamische Partei Ra'am beteiligt ist.
Eine militärische Antwort schien dem neuen israelischen Premier Bennett
jedoch nötig. Das israelische Militär führte am frühen Mittwochmorgen eine
Reihe von Angriffen im Gazastreifen durch, bei denen nach ersten
Erkenntnissen niemand verletzt oder getötet wurde. Untätigkeit glaubt er
sich nicht leisten zu können, während der nun widerwillig in der Opposition
sitzende [2][Ex-Premier Benjamin Netanjahu] ihn von rechts attackiert.
Für viele Israelis ist offensichtlich, dass die Neuauflage des Marsches ein
von Netanjahu eingefädelter Sabotageakt gegen die neue Regierung war – und
dass diese Regierung sich auf viele Attacken des vorerst abgewählten
Likudchefs einstellen muss.
16 Jun 2021
## LINKS
[1] /Neue-Regierung-in-Israel/!5774969
[2] /Ende-der-Aera-Netanjahu-als-Premier/!5778533
## AUTOREN
Judith Poppe
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