Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Big Brother Award für Online-Plattform: Negativpreis für Doctolib
> Der Datenschutzverein Digitalcourage zeichnet die Online-Plattform in der
> Kategorie Gesundheit aus. Es gebe zahlreiche Probleme mit der
> Transparenz.
Bild: Zwang, ein eigenes Konto anzulegen: Doctolib-Zentrale in Paris
Berlin taz | Der Arzttermin-Vermittlungsdienst Doctolib wird am
Freitagabend mit dem [1][Negativ-Überwachungspreis des Vereins
Digitalcourage] ausgezeichnet. Der Preis in der Kategorie Gesundheit gehe
an das Unternehmen, weil es „unter Missachtung der ärztlichen
Vertraulichkeit die Daten von zigtausenden Patient:innen“ verarbeite, heißt
es im Skript der Laudatio.
Das Unternehmen bietet Ärzt:innen Kooperationen an, damit
Patient:innen ihre Termine über die Plattform buchen können. Im Zuge
dessen können Ärzt:innen auch medizinische Dokumente hochladen und für
ihre Patient:innen abrufbar machen. Darüber hinaus können Praxen
Videosprechstunden über den Dienst anbieten. 50 Millionen Patient:innen
in Deutschland und Frankreich nutzen laut Unternehmensangaben den Dienst.
Dazu kämen 150.000 Ärzt:innen und Gesundheitsfachkräfte.
In jüngster Vergangenheit dürfte die Plattform bei mehr Menschen bekannt
geworden sein, da sie die Vergabe von Terminen in Impfzentren sowohl für
das französische Gesundheitsministerium als auch für die Stadt Berlin
koordiniert. In diesem Kontext musste das Unternehmen viel Kritik
einstecken, weil die Terminbuchung schleppend verläuft, die Ladezeiten lang
sind und die Zahl der Fälle, in denen angezeigte Termine auf einmal wieder
verschwinden, zahlreich.
Dass die Nutzung der Plattform für Ärzt:innen und Patient:innen
praktisch ist, stellt Laudator Thilo Weichert, Vorstandsmitglied der
Deutschen Vereinigung für Datenschutz, nicht in Abrede. „So ein Dienst ist
absolut hilfreich“, sagt Weichert zur taz. Aber er kritisiert zahlreiche
Probleme in Sachen Datenschutz und mangelnder Transparenz: „Das größte
Datenschutz-Problem ist, dass die gesamten Patientenstammdaten von den
teilnehmenden Ärzten an Doctolib gehen.“
Patientenstammdaten umfassen in der Regel etwa Name, Geburtsdatum,
Wohnadresse, Telefonnummer und Versicherung. Weichert berichtet, dass ihm
Dokumente vorlägen, die eindeutig belegten, dass die Stammdaten aller
Patient:innen von teilnehmenden Praxen an Doctolib übermittelt würden.
Aller Patient:innen – das heißt auch von denen, die ihre Termine gar
nicht über die Plattform buchen. In Verknüpfung mit der jeweiligen
Fachrichtung der Praxis lasse sich damit auch auf Krankheiten schließen –
etwa wenn es sich um Daten einer Praxis für Psychotherapie oder Onkologie
handelt.
## Daten mit Missbrauchspotenzial
„Dabei bergen diese Daten ein gewaltiges Missbrauchspotenzial, wenn sie in
falsche Hände geraten“, sagt Weichert. Wenn sie etwa durch eine
Sicherheitslücke an Unbefugte gerieten, beispielsweise an Versicherungen
oder Arbeitgeber. Darüber hinaus sieht Weichert in der Weitergabe aller
Patientenstammdaten eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht. Zwar
dürften Praxen seit 2017 ausdrücklich technische Dienstleister einbinden.
Voraussetzung dafür sei aber, dass die in diesem Zusammenhang offengelegten
Daten für die Nutzung des Dienstes „erforderlich“ sind. Ein Zugriff auf die
gesamte Patient:innenliste einer Praxis gehe aber über das
Erforderliche deutlich hinaus und verletze daher die Schweigepflicht.
Auf Anfrage der taz bestätigt Doctolib den Zugriff auf die
Patientenstammdaten. Innerhalb der Anwendung würden die Daten der
Patient:innen aber pseudonymisiert vorliegen. Dass die Klarnamen
entfernt werden, ist durchaus plausibel: So enthalten etwa die von Doctolib
versandten E-Mails für Terminerinnerungen keine persönlichen Anreden.
Allerdings wird häufig alleine über die E-Mail-Adressen ein direkter
Personenbezug möglich sein. Für Kriminelle, die solche Daten für
Erpressungsversuche oder Social Engineering – einer Art digitalem
Trickbetrug – nutzen könnten, wären das attraktive Datensätze.
Sprecherin Isabel Dunker bestreitet, dass die Daten von unterschiedlichen
Ärzt:innen bei Doctolib zusammengeführt werden. Allerdings können, so
heißt es in ihrer Antwort, „Patienten, die ein Nutzerkonto auf Doctolib
angelegt haben, [] dieses zur Terminbuchung bei mehreren Ärzten nutzen und
ihre Termine bei ihren Ärzten sehen“. Eine Form von Verknüpfung muss daher
stattfinden.
## Viele Daten gespeichert
Zudem können die von einer Praxis übertragenen Daten durchaus umfangreich
sein – und sich beispielsweise auch auf vergangene Termine erstrecken.
Nämlich dann, so Dunker, „wenn diese auch für die weitere Terminierung noch
relevant sind“. Denkbar wäre das aber schon, wenn eine Untersuchung
regelmäßig stattfinden sollte, etwa die Vorsorge bei der Zahnärztin.
Die Stiftung Warentest, die in ihrer Ausgabe vom Januar 2021 ärztliche
[2][Terminbuchungs-Plattformen untersuchte], bewertete Doctolib im Punkt
Datenschutz nur mit einem Ausreichend. Besonders kritisierte sie den Zwang
zum Anlegen eines Kontos für Patient:innen, die einen Termin buchen wollen.
Diesem Konto würde „ungefragt auch Daten zu[geordnet], die aus Telefonaten
mit den Praxen stammen“. Und auch die Stiftung Warentest bestätigt, dass
Doctolib Daten von Patient:innen verarbeite, die sich gar nicht bei der
Plattform angemeldet haben. Etwa dann, wenn eine Praxis den Dienst nutze
und Erinnerungs-SMS für die Termine über die Plattform verschicken lasse.
Doctolib ist eine in Berlin ansässige GmbH, die sich im Besitz des
französischen Mutterunternehmens befindet. Wenn es um die Aufsicht der hier
ansässigen Arztpraxen geht, ist die Berliner Datenschutzbeauftragte
zuständig. Die teilte auf Anfrage der taz mit, dass „sowohl Beschwerden
gegen die Doctolib GmbH als auch Beschwerden gegen Verantwortliche, die die
Doctolib GmbH als Auftragsverarbeiterin einsetzen“ vorlägen.
„Die Digitalisierung unseres Gesundheitssystems ist wichtig, um die
Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu verbessern und auf einem hohen
Niveau zu halten“, so Weichert in der Laudatio. Das dürfe aber nicht auf
Kosten der Vertraulichkeit zwischen Patient:innen und Heilberufen
passieren.
Hinweis: Der Text wurde am 15. Juni 2021 ergänzt um die Antwort der
Berliner Datenschutzbeauftragten.
11 Jun 2021
## LINKS
[1] /Ueberwachungstechnologie-im-Auto/!5714899
[2] https://www.test.de/Arzttermin-Portale-im-Test-Ganz-schoen-unsensibel-56925…
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Datenschutz
Gesundheit
Digitalisierung
Negativpreis
Netzüberwachung
Verbraucherschutz
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Datenschutz
Schwerpunkt Coronavirus
Datenschutz
Datenschutz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Big Brother Awards verliehen: Und es hat Zoom gemacht
Mit der Pandemie hat es der Videokonferenz-Dienst Zoom zu großer
Beliebtheit gebracht. Doch in Sachen Datenschutz gibt es Haken.
Big Brother Awards verliehen: Negativpreis für Klarna
Wer online einkauft, muss online zahlen – mitunter über einen
Dienstleister. Dabei geht nicht immer alles transparent und
verbraucherfreundlich zu.
Sicherheitsmängel beim Schnelltest: Konsequent ungeschützt
Datenschutz und Corona-Schnelltest gehen aktuell kaum zusammen. Das ist
gefährlich. Wenn private Daten im Netz kursieren, droht
Identitätsdiebstahl.
Corona-Schnelltestzentren: Datenlecks bei Gesundheitsdiensten
IT-Expert:innen entdecken Sicherheitslücken bei zwei Anbietern.
Gesundheitsdaten und persönliche Daten könnten an Unbefugte gelangt sein.
Datenschutz im Alltag: Die Bequemlichkeitsfalle
Wir brauchen technische Lösungen zum Schutz unserer Privatsphäre. Was aber
auch nicht schadet: dass wir selbst ein bisschen Verantwortung übernehmen.
Corona und Datenschutz: Die falsche Erzählung
Für die Coronabekämpfung müssen wir auf Datenschutz verzichten, heißt es
oft. Doch das ist ein Kurzschluss: Man kann beides verbinden.
Überwachungstechnologie im Auto: Negativ-Preis für Tesla
Der Datenschutzverein Digitalcourage verleiht dem Auto-Hersteller den Big
Brother Award. Doch Überwachung im Auto gibt es nicht nur bei Tesla.
Interview mit Gregor Hackmack: „Das ist keine Werbung“
Die Internet-Petitionsplattform change.org hat den Big-Brother-Award
bekommen, weil sie sich nicht genug um den Datenschutz kümmert
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.