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# taz.de -- Selbstoptimierung, Patriarchat, Jogi Löw: Freiheit und Freiheitsmu…
> Die bunten Erscheinungsformen der Freiheit reichen von peinlich bis weit
> über besorgniserregend. Manche verwechseln sie auch mit faulen Ausreden.
Bild: Gesicht zeigen, äh… Maske: Markus Söder am Mittwoch in der EM-Arena i…
Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet,
dass alte Menschen – also ich – zu [1][rückwirkender Selbstoptimierung]
neigen. Ich stelle hierzu fest: Es stimmt. Leider. Ich habe mich
tatsächlich als eine nicht sehr fleißige, aber doch recht gute Schülerin in
Erinnerung mit zuweilen herausragenden Leistungen in Deutsch, Englisch und
Geschichte. Jüngst jedoch fielen der Minderjährigen Zeugnisse aus meiner
Jugend in die Hände, die auch mich überraschten.
Genüsslich wurde der Durchschnitt verschiedener Jahrgänge errechnet und mit
den eigenen verglichen, was noch weniger schmeichelhaft war. Mein
Mitspracherecht in der Debatte über zu erledigende Hausaufgaben und die
Vorbereitung auf Klassenarbeiten ist seitdem so beschädigt wie der
[2][Lebenslauf von Annalena Baerbock]. Man könne nicht nur schulische
Pflichten erledigen und gleichzeitig Netflixserien anschauen, heißt es nun,
sondern auch mit weniger guten Noten einen Job finden.
Sonst hätte ich ja keinen. Womöglich kommt auch bald heraus, dass ich in
Bewerbungsschreiben fälschlicherweise behauptet habe, ich sei flexibel und
anpassungsfähig. Ich gedenke mich mit dem Argument zu verteidigen, dass es
unter die Freiheit der Selbstoptimierung fällt. Denn glücklicherweise wird
der Begriff der Freiheit dank des [3][grünen Parteivorsitzenden Robert
Habeck] inzwischen flexibel und anpassungsfähig definiert. Freiheit kann
bedeuten, von Bussen und Lkws unbedrängt auf dem Fahrrad zur Arbeit zu
fahren.
Oder sich als Landwirt*in dem Preisdiktat von Aldi und Lidl zu entziehen
und Ökobauer zu werden. Es kann heißen, ein Hemd nur vorne zu bügeln oder
Grünkohlkönig zu werden. Oder aber sich ohne Rücksicht auf die
Wahlerfolgsaussichten die Kanzler*inkandidatur zu schnappen und immer
die gleichen Phrasen zu dreschen. Freiheit kann sein, sich zum
Kanzlerkandidaten zu erklären, obwohl man bald schon fürchten muss, unter
die Fünfprozenthürde zu fallen. Letzteres bezieht sich auf [4][einen
Politiker], dessen Name mir gerade nicht einfällt.
Ich glaube, er fing mit „Sch“ an, kommt aus Hamburg und hatte mal eine
leidenschaftliche Liebesbeziehung zur schwarzen Null. Im Saarland ist diese
Woche indes eine seltene grüne Freiheitsmutation aufgetaucht, die in Berlin
mit großer Besorgnis beobachtet wird. [5][Die saarländischen Grünen] haben
sich einfach die Freiheit genommen, der ohne Gegenkandidatin angetretenen
Frau auf Listenplatz 1 nicht ihre Stimme zu geben. Dreimal hintereinander.
## Patriarchalischer Leistungsdruck
Man muss annehmen, sie haben tatsächlich nicht verstanden, dass sie in
einem solchen Fall nur die Freiheit haben, Ja zu sagen. Stattdessen wählten
sie einfach einen Mann auf Platz 1. Mutationen, das wissen wir, sind
hochgefährlich. In diesem Fall führt der verantwortungslose Umgang mit der
Freiheit dazu, dass das heilige Frauenstatut der Grünen gefährdet ist. Der
Feminismus wäre nämlich am Ende, wenn grüne Kandidatinnen bei ihrer Wahl
auch noch um das Vertrauen der Mitglieder kämpfen müssten.
So ein Leistungsdruck ist patriarchalisch und mit der grünen Freiheit nicht
zu vereinbaren. Da gibt’s was auf den Helm, Leute! Ich persönlich definiere
Freiheit als die Abwesenheit von Fußballevents und ihren Fanartikeln. Ich
meine nicht nur die allgegenwärtigen Fahnen und ständigen Gespräche. Ein
Kollege postet derzeit auf [6][Twitter dauernd „Jogi“], obwohl er
eigentlich wissen müsste, dass es „Joga“ heißt. Derzeit ist man nicht
einmal auf der Toilette sicher.
Erschrocken musste ich feststellen, dass das Klopapier in einer Gaststätte
mit Fußbällen und Spielfeldern bedruckt war. Unter solchen Umständen kann
ich mich nicht frei entfalten. Wenigstens gab es diese Woche ein
Fußballereignis, bei dem ich halbwegs verstand, worum es ging – um die
Freiheit nämlich. Aus Protest gegen die neuen homophoben Gesetze in Ungarn
wollte die Stadt München beim Länderspiel Deutschland gegen Ungarn das
[7][EM-Stadion in Regenbogenfarben illuminieren].
Wurde von der Uefa aber als politisches Statement untersagt. Dafür bekamen
wir [8][Markus Söder mit Regenbogenmaske] beim Spiel zu sehen. Freut mich
sehr, dass der sich endlich outet. Was ich aber nicht verstehe: Warum,
liebe Nationalmannschaft, konntet ihr [9][das Spiel für die LGTBI-Freiheit]
nicht mal schön gewinnen? 10:0 zum Beispiel? Armbinde kann ja jeder tragen.
Für die Minderjährige bedeutet Freiheit auf jeden Fall die Abwesenheit von
Sport ganz generell.
Basketballspielen war eine Verirrung der frühen Jugend. Heutzutage umfasst
für sie Freiheit alles, was vom Sofa aus erledigt werden kann. Katzenklo,
Schreibtisch, ein Spaziergang mit dem Hund fallen nun mal nicht in diese
Kategorie. Und Arbeiten im Haushalt verstoßen gegen die Kinderrechte,
leider, sonst würde sie es natürlich gerne machen. Ich geh dann mal putzen.
27 Jun 2021
## LINKS
[1] /Designierte-Familienministerin/!5491086
[2] /Lebenslauf-von-Annalena-Baerbock/!5773040
[3] /Auftakt-des-Gruenen-Parteitags/!5778469
[4] /Olaf-Scholz-ueber-die-Kanzlerschaft/!5760440
[5] /Die-Gruenen-im-Saarland/!5783019
[6] https://twitter.com/search?q=jogi&src=typed_query
[7] /Uefa-Entscheidung-zur-Allianz-Arena/!5780259
[8] https://web.de/magazine/sport/fussball/em/markus-soeder-regenbogen-maske-em…
[9] /Spielberichte-zur-Europameisterschaft/!5778477
## AUTOREN
Silke Mertins
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