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# taz.de -- Rhetorik im Wahlkampf: Zuspitzen statt Wegducken
> Die CDU macht mit Verbotsszenarien bei Arbeitern Stimmung gegen die
> Grünen. So wird das im Wahlkampf nun weitergehen. Außer man probiert es
> mal anders.
Bild: Kampf-Rhetorik bis September: Wer will das Grillen verbieten?
Deutschland ist ein starkes Land“, lautet der erste Satz im
[1][CDU-Wahlprogramm]. Im zweiten Absatz bekommt das starke Land ein
„Modernisierungsjahrzehnt“ verordnet, allerdings eines mit „eingeschränk…
finanziellen Spielräumen“. Deshalb braucht es einen „Neustart im Verhältn…
zwischen Staat und Bürger“, und das heißt im Klartext, im sechsten Absatz:
„den Unternehmen mehr Freiraum lassen“, also weniger Steuern und Regeln.
Denn „unser Ziel ist, so schnell wie möglich wieder zurück zu einer
Normalität zu gelangen, die uns Liebgewonnenes und Vertrautes zurückgibt“.
Vor allem die vertraute Kampfrhetorik gegen die Besserverdienenden und
Studierten, die, so steht es am Ende der Präambel, mit „Ideologie,
Verboten, sozialistischer Umverteilung, Ängsten, Bevormundung,
vorgefertigten Lebensentwürfen“ regieren wollen.
So wird das nun weitergehen, noch drei Monate lang. Deutsche Arbeiter: Die
Bildungsbürger von den Grünen wollen euch das Grillen auf dem
Plattenbaubalkon, den [2][Flug nach Mallorca] und das Dieselvergnügen
vermiesen. („Ich fahre noch manchmal selbst Auto“, sagte Armin Laschet, als
er den Dieselpreis nicht wusste, und fügte kokett hinzu: „Solange ich noch
darf.“) In naiven Anwandlungen frage ich mich manchmal, wie die sich
eigentlich fühlen, wenn sie so sehr darauf setzen, von den Doofen gewählt
zu werden. Man darf gespannt sein auf die Steigerungen in der Schlussphase,
wenn jetzt schon mit den ganz großen Keulen hantiert wird, als da sind:
Antisemitismus, Biografiefälschung, unsolides Finanzgebaren.
Es ist eine elende Übung, Politikern in der Zeitung gute Ratschläge zu
geben. Aber da ich mir wünsche, dass Annalena Baerbock die nächste
Kanzlerin wird, frage ich mich, wie man das christdemokratische
Heimatversprechen noch toppen kann. Nicht wegducken, denke ich, nicht
widerlegen, sondern zuspitzen.
Darauf setzen, dass Greta Thunberg und [3][Fridays for Future] selbst beim
konservativen Mittelständler im Bergischen Land (sorry!) einen
Bewusstseinswandel angestoßen haben. Darauf, dass die ersten Wochen der
Pandemie gezeigt haben, dass Bürger in der Lage sind, ihr Verhalten zu
ändern, wenn sie überzeugt werden.
Darauf, dass es auch bei Heimatsenderhörern zumindest eine Ahnung gibt,
dass Hitzesommer, Bienensterben, industrielle Landwirtschaft,
Globalisierung, Ungleichheit und Migration miteinander verwoben sind.
Darauf, dass 80 Prozent der Bürger für eine deutsche Vorreiterrolle beim
Klimaschutz eintreten, immerhin noch zwei Drittel für eine ökologische
Landwirtschaft und 90 Prozent für den Umbau zu einer nachhaltigen
Wirtschaft. Dass man das „Ende der Illusionen“ denen, deren Reallöhne seit
zwanzig Jahren stagnieren, nicht erst mit soziologischen Taschenbüchern
verklickern muss. Auch nicht, dass die Zukunft teuer werden wird. Und dass
sie schon begonnen hat.
„Wenn wir nicht fundamental umsteuern, wird das verbleibende Budget, um
eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius nicht zu übersteigen, bereits vor 2030
aufgebraucht sein.“ So steht es in einem Gutachten der nationalen Akademie
Leopoldina, das Angela Merkel vor zwei Wochen überreicht wurde.
Auf 45 Seiten ein großartiger strategischer Aufriss für den Übergang in ein
neues Energiezeitalter gemäß den Zielen des Pariser Abkommens. In
nüchternen Worten berührt dieses Kursbuch in die postfossile Welt so
ziemlich alle Dimensionen des Lebens in unserer Zivilisation: von einer
internationalen globalen Rohstoffdiplomatie und einer Kreditrevolution von
Zentralbanken über die Umwälzung des Mobilitätssystems, des Städtebaus, der
Lehrpläne an Schulen. „Um Emissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren“,
heißt es knapp in nur zwei Sätzen, „muss diese insgesamt nachhaltiger
werden. Für Konsument*innen steht der Wandel von Ernährungssystemen hin
zu klimafreundlichen bezahlbaren Alternativen im Fokus.“ Die wichtigste
Aufgabe von Politikern sei es, „den Menschen klarzumachen, dass wir nur mit
einem geänderten Energiesystem eine Zukunft haben. Das wird etwas kosten,
also gewöhnen wir uns besser daran.“
## Pioniere des Wandels
Das ist eine Rhetorik, die sich übertragen lässt auf andere Dimensionen
unserer multiplen Krise. Etwa so: Wenn wir nicht wollen, dass unsere
Gesellschaft zerfällt in hochbezahlte Spezialisten und unterbezahlte
Dienstleister ohne gewerkschaftliche Vertretung, dann müssen wir das
Arbeitsrecht ändern. Wenn wir nicht wollen, dass die Spaltung zwischen
Stadt und Land und innerhalb der Städte zunimmt, dann brauchen wir
demnächst ein neues Bodenrecht. Und so weiter.
Zusammengefasst: Wenn wir dieses Jahrhundert bestehen wollen, dann müssen
wir auch unser Grundgesetz an einigen Stellen weiterentwickeln. Und falls
ihr es noch nicht wisst: Glaubt niemandem, der euch Sicherheit und
Stabilität zu einem geringeren Preis verkaufen will. Für eine Weile haben
wir noch die Chance, die Entwicklung umzudrehen. Und das ist ein
großartiges Projekt, aber es funktioniert nur, wenn alle mitmachen, als
Pioniere des Wandels.
Der Staatsrechtler Christoph Möllers schreibt in seinem Buch
„Freiheitsgrade“, das System der repräsentativen Demokratie funktioniere
nur mit Politikern, die über die Freiheit verfügen, „der Gemeinschaft, die
sie repräsentieren, entgegenzutreten, um ihr zu widersprechen, sie zu
belehren, sie ‚normativ zu fordern‘. […] Die Verachtung gegenüber Politik
ist vielleicht auch durch einen Mangel an solchem politischen
Freiheitsbewusstsein verursacht, aus der Servilität gegenüber dem
vermeintlichen Volkswillen.“ Václav Havel nannte solche Freiheit: „In der
Wahrheit leben.“ Wer über sie verfügt, der strahlt das aus.
Im Übrigen muss Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner natürlich dafür
sorgen, dass die Maskenkriminalität und die Beschaffungspraktiken und
Beteiligungen nicht in Vergessenheit geraten bis zum September.
24 Jun 2021
## LINKS
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[3] /Verdi-und-Fridays-for-Future-fuer-OePNV/!5667797
## AUTOREN
Mathias Greffrath
## TAGS
Schlagloch
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
CDU
CDU/CSU
Armin Laschet
Annalena Baerbock
Bündnis 90/Die Grünen
Schwerpunkt Klimawandel
Lesestück Recherche und Reportage
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