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# taz.de -- Präsidentschaftswahl im Iran: Schon vorgewählt
> Die Iraner*innen sollen Freitag einem neuen Präsidenten ihre Stimme
> geben. Die politische Führung siebte im Vorhinein massenhaft
> Kandidat*innen aus.
Bild: Diese Frauen könnten am Wochenende jubeln: Sie halten Porträts des erzk…
Teheran taz | Ein Bild der Einigkeit wollte Ebrahim Raisi mit einer
Wahlveranstaltung am Mittwoch in einem Stadion zeichnen, doch wegen Corona
wurde sie an den zentralen Palästina-Platz in Teheran verlegt. Auf einer
Bühne singt ein Knabenchor Zeilen wie „Wir sterben für dich, Iran“, rund …
den Platz sind Stühle aufgestellt, viele Frauen im schwarzen Tschador
sitzen darauf und schwingen iranische Papierfähnchen. Helfer*innen
teilen Plakate mit Raisis Porträt aus, darauf steht: „Für einen starken
Iran.“
In der Islamischen Republik wird am Freitag ein neuer Präsident gewählt.
[1][Wie auch Raisi sind die meisten Kandidaten erzkonservative Hardliner,
die dem geistlichen und politischen Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali
Chamenei, und seiner antiwestlichen Politik folgen.] Der bisherige
gemäßigte Amtsinhaber Hassan Rohani darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut
antreten.
Auf dem Palästina-Platz halten vier anfangzwanzigjährige Frauen fröhlich
Porträts von Raisi in der Hand. Raisi ist aktuell Justizchef und gilt als
klarer Favorit bei der Wahl. „Er wird die Korruption bekämpfen“, ist sich
eine von ihnen sicher. „Und er garantiert uns Unabhängigkeit von Amerika“,
ergänzt ihre Freundin. Sie sind Erstwählerinnen und überzeugt, dass Raisi
Vergeltung für den Tod des von den USA im Januar 2020 getöteten iranischen
Generals Qasem Soleimani bringt. Bemerkenswert: Kandidat Raisi tritt bei
seiner eigenen Wahlkampfveranstaltung gar nicht auf – zu seiner eigenen
Sicherheit, lautet die Erklärung.
## Bereit, mit Biden zu reden
Der Wächterrat – ernannt von Ajatollah Chamenei – hat kräftig vorsortiert.
Von 592 Kandidat*innen – darunter 40 Frauen – blieben 7 Männer übrig.
Die Bitte des Noch-Präsidenten Rohani an Chamenei, unterschiedliche
Kandidaten zuzulassen, blieb unbeachtet. Viele progressive Parteien sind
ohnehin verboten. Zwei Tage vor der Präsidentschaftswahl zog dann einer von
zwei Kandidaten des Reformlagers seine Bewerbung zurück, übrig blieb:
Abdolnasser Hemmati.
Etwas verloren sitzt der Anwärter auf das Präsidentenamt auf einem mit
künstlichem Farn und Lilien geschmückten Holzpodest an der
Wirtschaftsfakultät der Uni Teheran. Hemmati ist dort Professor und wollte
eigentlich gar nicht bei der Wahl kandidieren. Warum er sich doch anders
entschied, erklärt er nicht. Seine anderthalbstündige Pressekonferenz am
Dienstag ist eine einfache Abhandlung darüber, was im Iran innenpolitisch
ansteht: Korruption solle bekämpft werden, das Internet solle auch ohne
Verschlüsselung frei zugänglich sein. Keine nervigen Textnachrichten aufs
Handy von den Frauen mehr, wenn ihnen das Kopftuch vom Kopf gerutscht ist.
Es sind Themen, für die sich zur Wahl ein kurzes Zeitfenster im Iran öffnet
– auch für westliche Journalist*innen, die ins Land reisen durften.
„Wir brauchen ausländisches Geld und ausländische Technologien“ sagt der
Professor und kündigt außerdem an: „Ich bin bereit, mit US-Präsident Biden
zu reden.“
[2][Nachdem Präsident Donald Trump das internationale Atomabkommen mit den
Iran 2018 aufgekündigt hatte], laufen seit April Verhandlungen in Wien über
eine Neuauflage des Vertrages und eine Rückkehr der USA in das Abkommen
unter Joe Biden. Doch laut UN-Atombehörde IAEA hängt das Ergebnis von der
neuen Regierung im Iran ab. Bis der Vertrag steht, belegen die USA den Iran
mit Sanktionen. Und auch der Handel mit europäischen Partnern wird ohne
eine Wiederbelebung des Abkommens nicht in Gang kommen. Zu groß ist die
Angst europäischer Unternehmen vor sogenannten sekundären Strafmaßnahmen
der USA.
## Hemmati plädiert für ausländisches Kapital
Auf seiner Wahlkampfveranstaltung an der Teheraner Uni hält Hemmati, der
zuletzt Chef der Notenbank war und als Wirtschaftsprofessor lehrt, keine
feurige Rede. Er gestikuliert selten, seine Mimik bleibt fast unverändert,
seine Stimme ist leise und nicht kämpferisch. „Ich habe meine Minister noch
nicht ausgesucht“, gibt er zu. Vor den Fernsehkameras sagt er, egal ob es
Frauen oder Sunniten seien, wer für einen Minister*innenposten
geeignet sei, bekäme ihn. Es klingt, als spräche da einer, der selbst gar
nicht mit seiner Kandidatur gerechnet hat.
Die internationalen Sanktionen gegen den Iran betreffen Importe, darunter
leidet auch der Gesundheitssektor des Landes. Mehr als 65.000 Menschen sind
an Corona gestorben – der Iran gilt in der Region als am stärksten
betroffenes Land.
Dutzende Milliarden US-Dollar des Landesvermögens liegen eingefroren bei
ausländischen Banken und verhindern den Handel. Das hat auch Einfluss auf
die lokale Währung, die nach offiziellen Angaben seit Mai 2018 das
Vierfache an Wert verloren hat. Der Iran sagt, die Sanktionen hätten das
Land 200 Milliarden US-Dollar gekostet und die Inflation sei im selben
Zeitraum von 8,2 Prozent auf jetzt 48,7 Prozent gestiegen.
Deutschland zählt zu den wichtigsten europäischen Handelspartnern des
Landes. Gefragt sind vor allem Maschinen, Lebensmittel und pharmazeutische
Produkte. Deutschland importiert aus dem Iran Trockenfrüchte und Pistazien.
Der moderate Hemmati plädiert für ausländisches Kapital und Produktionen im
eigenen Land, um von Importen unabhängig zu sein und den Währungsverfall
aufzuhalten.
Ohne die Zustimmung des politischen und geistlichen Oberhaupts Chamenei
kann im Iran keine außenpolitische Entscheidung getroffen werden,
einschließlich der Wiederbelebung des Atomabkommens. Während Chamenei in
allen Staatsangelegenheiten das letzte Wort hat, kann der Präsident jedoch
Innenpolitisches beeinflussen und den Ton des Iran gegenüber der Welt
angeben. Die Wahl beeinflusst also das Image des Staates und seine Politik.
## Aufruf zum Wahlboykott
Korruption, Misswirtschaft und die schlechte Wirtschaftslage machen die
Iraner*innen wütend. Seit 2009 gab es im ganzen Land mindestens drei
größere Unruhen. Zuletzt im November 2019, als die Benzinpreise stiegen und
die Menschen gegen die Regierung protestierten. Die Behörden reagierten
hart, nach Angaben von Amnesty International wurden mindestens 300 Menschen
getötet.
Prominente Iraner*innen rufen zum Boykott der Wahl auf. Auch der
Ex-Präsident und Hardliner Mahmud Ahmadinedschad wurde aussortiert. Deshalb
hat auch er dazu aufgerufen, die Stimmabgabe zu boykottieren.
Ahmadinedschad ist besonders bei den Ärmeren beliebt.
Auch die Tochter des ehemaligen reformorientierten Präsidenten Ali
Rafsandschani, Faezeh Haschemi Rafsandschani, rät, den Wahlurnen
fernzubleiben. Sie ist eine der berühmtesten Kritiker*innen mit
Beziehungen zum politischen Apparat. Mir Hossein Mussawi, [3][der Anführer
der grünen Bewegung von 2009, schrieb auf Twitter, die Wahl sei
„manipuliert“ und „erniedrigend“], Nichtwählen würde die Kandidaten
„bedeutungslos“ machen.
„Ich persönlich wähle nicht“, sagt eine 28-jährige Salesmanagerin, die a…
der Straße in Teheran bereitwillig Auskunft gibt, ihren Namen aber lieber
nicht nennen will. „Ich erwarte, dass sie für die Menschen arbeiten und
nicht die Präsidentschaftskandidaten nach Familienzugehörigkeit oder
Loyalität aussuchen.“
## Plakate rufen zur Wahl auf
Am Telefon gibt eine Ärztin, die ihren Namen nicht nennen will, eine
Einschätzung zum erzkonservativen Favoriten Raisi: „Wir nennen Raisi den
Schlächter“, sagt die 28-Jährige wütend. Raisi gilt als mitverantwortlich
für Massenhinrichtungen in den 80er Jahren. Die junge Frau ist Teil der
nationalen Widerstandsbewegung und möchte den kompletten „Sturz des
Regimes“. „Das Regime hat während Corona nichts für uns getan. Chamenei h…
Milliarden von Dollar, und er hat nicht mal einen Dollar für uns
ausgegeben“, klagt sie an. Deshalb boykottiert sie die Wahl. „Die Wahl ist
ein Witz.“
Die längste Straße Teherans, die Valiasr, zieren Läden mit Schuhen,
Kopftüchern, Schreibwaren. Auf Decken und Beistelltischen bieten Händler
Armreifen an. Ein Gemüsehändler verkauft Kirschen, Mangos und Feigen.
Gefragt nach seiner Meinung über die Wahl, sagt ein 82-jähriger Verkäufer:
„Wir reden nicht, wir wählen nicht“, und winkt freundlich ab. Mit zwei
Söhnen im mittleren Alter, die auf seine finanzielle Hilfe angewiesen sind,
keiner Versicherung und zu kleiner Rente müsse er noch immer arbeiten.
„Schreiben Sie, dass einer verdient und zehn essen“, sagt er und bietet
Kekse an.
An einer Verkehrsinsel der langen Straße stehen Plakate mit Aufforderungen,
wählen zu gehen: „Wenn Sie wollen, dass das islamische System seine Stärke
im Auge der Welt behält, müssen Sie alle kommen.“ Und: „Die aufgeregte und
interessierte Teilnahme der Menschen kann uns helfen, die inländischen und
internationalen Probleme zu lösen.“ Staatliche Prognosen gehen von einer
historisch niedrigen Wahlbeteiligung aus: Nur 40 Prozent der 59 Millionen
Wahlberechtigten werden an den Urnen erwartet.
Am Valiasr-Platz war eine Wahlveranstaltung des moderaten Hemmati
angekündigt – doch seine jungen Unterstützer*innen kommen erst gar
nicht. In den vergangenen Wahljahren gab es an einigen Hotspots in Teheran
improvisierte Kundgebungen und Proteste. Doch dieses Mal bleibt die
politische Show aus. Auch Hemmatis Gesicht ist kaum in der Stadt zu sehen.
Wozu auch Geld für Marketing ausgeben, wenn der Gewinner schon klar ist?
Viele sonst reformorientierte Iraner*innen werden der Wahl fernbleiben.
Und weil er der Kandidat ist, hinter dem Chamenei offiziell steht, wird
wohl Hardliner Raisi das Rennen machen.
18 Jun 2021
## LINKS
[1] /Politische-Krise-im-Iran/!5657534
[2] /Konflikt-zwischen-den-USA-und-Iran/!5605686
[3] https://twitter.com/NegarMortazavi/status/1403716975717650433
## AUTOREN
Julia Neumann
## TAGS
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