# taz.de -- Analyse zur Reinigungsbranche in Berlin: Mieser Lohn für saubere A… | |
> Reinigungskräfte werden schlecht bezahlt und arbeiten häufig unter | |
> prekären Bedingungen. Dabei gibt es längst Modellprojekte, die es besser | |
> machen. | |
Bild: Möglichst schnell möglichst viel putzen für wenig Geld: Reinigungskrä… | |
BERLIN taz | 200 Quadratmeter Treppe, also etwa 260 Stufen oder 13 Etagen – | |
zu reinigen in einer Stunde Arbeitszeit. Klingt hochgradig unrealistisch? | |
Ist es auch. Dennoch sind solche Angebote bei Vergabeverfahren für | |
Reinigungsaufträge keine Seltenheit, so ein am Mittwoch veröffentlichter | |
Bericht des Beratungsunternehmens Joboption Berlin. | |
Der in Kooperation mit dem DGB Brandenburg erstellte und von der | |
Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales geförderte Bericht | |
analysiert die häufig [1][prekären Beschäftigungsverhältnisse in der | |
Reinigungsbranche] – und sammelt Erfahrungen mit der sogenannten | |
Tagesreinigung, einem Modellprojekt, das die Missstände zu überwinden | |
versucht. Vorgestellt wurde der Bericht am Mittwochmittag mitsamt | |
anschließender Diskussionsrunde. | |
Die schlechten Beschäftigungsverhältnisse seien demnach auf die | |
Privatisierung der Gebäudereinigung öffentlicher Einrichtungen insbesondere | |
in den 1990er Jahren zurückzuführen. So sei ein enormer Preiswettkampf | |
entstanden, der letztlich auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen | |
werde. | |
## Kein Wohlstandslohn | |
Zwar gibt es einen allgemeinverbindlichen Tariflohn, der mindestens 11,11 | |
Euro pro Stunde vorschreibt. In Berlin beträgt der Vergabemindestlohn für | |
Aufträge der öffentlichen Hand sogar 12,50 Euro. Doch das Problem liege in | |
der „Qualität der Arbeit“, so Viveka Ansorge von Joboption Berlin zur taz. | |
Schon der Tariflohn sei kein Wohlstandslohn. Doch primäre Probleme seien | |
Vertragsbefristungen, fehlende Stunden und die mangelnde Wertschätzung für | |
den Beruf. | |
So geschehen Objektreinigungen meist „am Rande des Tages“. Reinigungskräfte | |
betreten Büro- oder Schulgebäude für jeweils nur wenige Stunden im | |
Morgengrauen – und spätabends, wenn alle anderen gegangen sind. | |
Ganze 75,2 Prozent aller Berliner Reinigungskräfte arbeiten lediglich in | |
Teilzeit oder sogar in Minijobs, so der Bericht. Bundesweit würden etwa | |
465.000 Reinigungskräfte zwei Jobs gleichzeitig ausüben, um ihren | |
Lebensunterhalt bestreiten zu können. Gerade wegen der nächtlichen | |
Arbeitszeiten habe sich unter Kund:innen zudem die Annahme verbreitet, | |
gereinigt würde von magischer Hand, so Ansorge. Eine Wertschätzung fehle | |
„fast völlig“. | |
Doch nicht nur die Reinigungskräfte sind unzufrieden. Seit Jahren werden | |
öffentlich immer wieder auch die Arbeitsresultate kritisiert, wie etwa die | |
unmöglichen Zustände in Berliner Schulklos. Zuletzt hatte die | |
[2][Neuköllner Initiative „Schule in Not“] im Mai 2019 die | |
Rekommunalisierung der Schulreinigung gefordert, um dem Problem der | |
fehlenden Hygiene zu begegnen. | |
Das [3][Konzept der „Tagesreinigung“] sieht hingegen vor, die Reinigung | |
öffentlicher Gebäude nicht mehr nachts oder frühmorgens durchführen zu | |
lassen, sondern tagsüber, also während des regulären Betriebs. So könnten | |
die Stundenkontingente der Reinigungskräfte erhöht, attraktivere | |
Arbeitszeiten angeboten, die Sichtbarkeit der Reinigungskräfte gesteigert | |
und schließlich auch die Arbeitsbelastung vermindert werden, so der | |
Bericht. | |
Vorreiter dieses Konzepts war der Bezirk Treptow-Köpenick. Schon 2018 wurde | |
hier ein Pilotprojekt zur Tagesreinigung in vier Bürodienstgebäuden | |
gestartet. Ansorge erzählt, die Rückmeldungen seien „durchweg positiv“ | |
gewesen, das Projekt sei schnell ausgeweitet worden. | |
Zuweilen erfordere das Konzept aber auch aufseiten der Beschäftigten viel | |
Überzeugungsarbeit, berichtet etwa Manuel Hoffmann von der Reinigungsfirma | |
Gleichfeld. Beschäftigte hätten sich in den Schulen zuweilen | |
„herumgeschubst“ gefühlt. Nicht zuletzt stünden Sprachbarrieren einer | |
gelungenen Kommunikation mit Schüler:innen und Schulpersonal im Weg. | |
Andere Reinigungskräfte hingegen berichteten von „Lächeln und Dank“ sowie | |
einer gesteigerten Sichtbarkeit. | |
## Verstärkte Sichtbarkeit nötig | |
Jens Korsten von der Gewerkschaft IG BAU brachte zudem seine Hoffnung zum | |
Ausdruck, dass die verstärkte Sichtbarkeit auch zu einem „verstärkten | |
Selbstbewusstsein“ und damit zu mehr Einsatz für die eigenen | |
Arbeitsbedingungen führen könnte. Oliver Igel (SPD), Bezirksbürgermeister | |
von Treptow-Köpenick, glaubt auch an einen positiven Einfluss für die | |
Schüler:innen: „Es ist ja auch ein Erkenntnisprozess, dass sie sehen, dass | |
es Menschen gibt, die ihren Dreck wegräumen.“ | |
Alle Akteur:innen hoben die Notwendigkeit für frühzeitige und umfassende | |
Kommunikation hervor. Neben den Reinigungskräften selbst gelte es, die | |
Hausmeister:innen, die Schulleitungen, die Schüler:innen, die Bezirke und | |
die Unternehmen miteinzubeziehen. Insbesondere für die Schulen habe es sich | |
als geeignet erwiesen, die Tagesreinigung zusätzlich zu den regulären | |
Reinigungen einzuführen. So sei es möglich geworden, Aufgaben zu erfüllen, | |
die „vorher gar nicht oder nur ansatzweise erfüllt worden“ waren, wie etwa | |
eine zweite tägliche Reinigung der Toiletten, heißt es im Bericht. | |
Die Tagesreinigung verbessert also Arbeitsverhältnisse, schafft mehr | |
Sauberkeit und steigert die Sichtbarkeit von Reinigungsberufen. Der Haken, | |
warum die Politik diese paradiesischen Zustände nicht einfach schafft: | |
Geld. So betrugen laut Bezirksamt Treptow-Köpenick die Mehrkosten pro | |
Schule und Monat 1.000 bis 1.500 Euro. Zwar wurden den Bezirken im | |
Haushaltsplan für das Jahr 2021 neun Millionen Euro für die Tagesreinigung | |
zugesprochen. Die Gelder seien aber überwiegend für pandemiebedingte | |
Reinigungsmaßnahmen verwendet worden. Gute Arbeit kostet eben gutes Geld. | |
2 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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