| # taz.de -- Religionsunterricht in NRW: Ditib ist wieder Schulpartner | |
| > Der umstrittene Moscheeverband Ditib darf wieder beim islamischen | |
| > Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen mitmachen. Daran gibt es | |
| > massive Kritik. | |
| Bild: Die Ditib-Zentralmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld | |
| Düsseldorf dpa Auf den ersten Blick ist es nur ein Sitz in einem neuen | |
| Gremium, doch tatsächlich handelt es sich um eine bedeutsame Entscheidung, | |
| die hohe Wellen schlägt. Die Türkisch-Islamische Union Ditib ist in | |
| Nordrhein-Westfalen nach jahrelang ausgesetzter Zusammenarbeit wieder beim | |
| islamischen Religionsunterricht (IRU) an Bord. | |
| Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte vor einigen Tagen eine | |
| Kooperation mit sechs islamischen Organisationen in einem bundesweit | |
| neuartigen Kommissionsmodell angekündigt. Der [1][größte Moscheeverband in | |
| Deutschland] ist mit von der Partie. Seitdem hagelt es Kritik, die | |
| schwarz-gelbe Regierung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gerät | |
| unter Druck. Die Ditib wehrt sich gegen „polarisierende Stimmungsmache“. | |
| Das Gremium ist nun Ansprechpartner des Landes bei dem | |
| bekenntnisorientierten Unterricht, analog zur Beteiligung der Kirchen bei | |
| katholischer und evangelischer Religion. Vor einigen Jahren hatten NRW und | |
| auch der Bund von der Ditib gefordert, sie müsse sich von Ankara lösen. Der | |
| Verband ist wegen seiner Abhängigkeit von der türkischen Religionsbehörde | |
| Diyanet umstritten, die dem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan untersteht. | |
| Aufgeschreckt hatte unter anderem eine Spitzelaffäre: Laut | |
| Verfassungsschutz NRW hatten gut ein Dutzend Ditib-Imame die Namen von | |
| Personen und Institutionen auch aus dem Bildungsbereich an die Diyanet | |
| gemeldet. | |
| ## Zweifel an Unabhängigkeit | |
| Das Schulministerium sieht nun aber „substanzielle Veränderungen“. Die | |
| Ditib NRW habe eigens eine Kommission innerhalb des Landesverbands für den | |
| IRU gebildet, der „weder Amtsträger eines Staates noch Angestellte der | |
| Ditib angehören“ dürften, heißt es aus dem Ministerium. Eine | |
| Satzungsänderung sei für das Land „entscheidender Faktor“ für die | |
| Zusammenarbeit gewesen. Ob diese Satzung auch „gelebt“ werde, behalte man | |
| strikt im Auge. Sollte es zu einer Einflussnahme seitens des türkischen | |
| Staates, der Diyanet oder des Ditib-Bundesverbands kommen, werde das Land | |
| den Vertrag wieder kündigen. Nach intensiver Prüfung gehe man davon aus, | |
| dass die Ditib NRW bei der IRU-Kooperation „eigenständig und | |
| staatsunabhängig“ sei. | |
| Ganz anders sieht das Volker Beck vom Centrum für | |
| Religionswissenschaftliche Studien der Uni Bochum. Es sei naiv, aus | |
| punktuellen Satzungsänderungen zu schließen, dass Ditib-Mitglieder in der | |
| IRU-Kommission unabhängig agierten. „Das macht mich sprachlos. Die zeigen | |
| der Politik eine lange Nase.“ Er befürchtet: „Die versuchen ihre Hand drauf | |
| zu halten, wer unter den [2][islamischen Religionslehrern] die | |
| Lehrerlaubnis erhält. Wer nicht Partei für Erdogans AKP Partei ergreift, | |
| soll möglichst nicht zugelassen werden.“ | |
| Der Religionsunterricht wird von nach deutschen staatlichen Lehrplänen | |
| ausgebildeten Religionslehrern erteilt. Sie brauchen aber auch eine | |
| religiöse Lehrerlaubnis – und die „Idschaza“ erteilt die neue Kommission. | |
| Diese wird aber nicht von der Ditib dominiert, wie das Schulministerium | |
| klarstellt. Beteiligt sind auch etwa der Verband der Islamischen | |
| Kulturzentren oder die Islamische Religionsgemeinschaft NRW. | |
| Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee hält die Satzungsänderung für | |
| unwirksam. Der Landesverband könne „sich nicht selber unabhängig machen“, | |
| sagte er im WDR-Magazin „Westpol“. Die Gewähr einer Staatsferne sei nicht | |
| gegeben. „Und damit erfüllt diese Satzung nicht die Voraussetzung, von der | |
| das nordrhein-westfälische Schulgesetz ausgeht.“ Laut WDR hatte Isensee | |
| bereits eine ähnliche Satzungsänderung der Ditib in Hessen als unwirksam | |
| bezeichnet. Hessen hatte die Zusammenarbeit mit der Ditib 2020 gestoppt. | |
| ## Herbert Reul verteidigt die Entscheidung | |
| NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verteidigte die Landesentscheidung | |
| jüngst in der Bild. Die Ditib sei zwar „alles andere als eine Organisation, | |
| die ich positiv finde“, aber die größte. Man brauche Ansprechpartner in der | |
| muslimischen Welt, „wenn wir Islamunterricht organisieren wollen“. In NRW | |
| erhalten fast 22.000 Schüler IRU an 260 Schulen, von 300 Lehrkräften. | |
| Tendenz steigend. Auch viele weitere Bundesländer bieten ihn an. | |
| Islamwissenschaftler Jörn Thielmann sagt: „Der türkische Staat hat über | |
| Diyanet auf die Ditib in vielen Punkten und auf allen Ebenen direkte | |
| Zugriffsmöglichkeiten, wenn er es will.“ Problematisch bleibe: Ein Beirat | |
| aus Diyanet-Beamten habe weitreichende Vollmachten über die | |
| Ditib-Bundesspitze und „entscheidet auch über alle Satzungsänderungen, egal | |
| auf welcher Ebene“. Ein möglicher Diyanet-Einfluss solle angesichts nur | |
| einer Ditib-Stimme dennoch nicht überbewertet werden. | |
| Der Islamverband sieht sich pauschal diffamiert. Es sei eine „abwegige | |
| Begründungslogik“, immer wieder auf die „politische Großwetterlage“ und | |
| Kooperation mit der Diyanet zu verweisen, die eine „Institution der | |
| religiös-theologischen Orientierung“ sei. Kritiker „beschwören | |
| vermeintliche Einflussnahme von ausländischen Staaten herbei, die es zu | |
| keinem Zeitpunkt gab und auch nicht geben wird.“ Die Ditib nehme in der | |
| Kommission ihre „verfassungsgemäßen Rechte“ wahr. | |
| Das Gremium hat auch über die Schulbuchgenehmigung einen indirekten | |
| Einfluss auf den Unterricht, erläutert Musa Bagrac, Vorsitzender des | |
| Islamlehrerverbands. Um „Willkürentscheidungen“ vorzubeugen, fordert er | |
| eine unabhängige Schiedsstelle in der IRU-Kommission. Diese bilde keinen | |
| Querschnitt der muslimischen Community in NRW, bedauert er. „Wir hätten uns | |
| eine viel breitere Beteiligung gewünscht.“ | |
| 30 May 2021 | |
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