| # taz.de -- Revolution bei Olympischen Spielen: Wechseljahre | |
| > Die Neuseeländerin Laurel Hubbard will als erste Transgender-Athletin an | |
| > den Olympischen Spielen teilnehmen. Was bedeutet das? | |
| Bild: Und hoch, das Ding! Laurel Hubbard bei den Commonwealth Games 2018 | |
| Laurel Hubbard ist eine starke Frau. Bei den Olympischen Sommerspielen in | |
| Tokio möchte die Neuseeländerin eine Medaille im Gewichtheben gewinnen. | |
| Hubbard sieht im Grunde genauso aus wie ihre Kolleginnen: kräftig, füllig, | |
| entschlossen. Und trotzdem wird gerade viel über Laurel Hubbard berichtet, | |
| denn sie wird wohl als erste Transgender-Athletin bei Olympia antreten. | |
| Ob es in der Vergangenheit ähnliche Fälle gegeben hat, will das | |
| Internationale Olympische Komitee (IOC) nicht ausschließen. Weitere Namen | |
| kursieren nicht, weil die Untersuchungen des vermeintlich suspekten Körpers | |
| seit längerem der Vergangenheit angehören. Hubbard, 43, die in der Klasse | |
| über 87 Kilogramm an den Spielen teilnehmen möchte, war bis 2012 ein Mann | |
| und hieß Gavin. Dann wechselte er das Geschlecht. | |
| [1][Laurel Hubbard] vertrat ihr Land bereits 2018 als erste | |
| Transgender-Athletin bei den Commonwealth Games. Im Jahr darauf gewann sie | |
| bei den Pazifikspielen in Samoa den Titel, was nicht unkommentiert blieb. | |
| Wieder stand die Frage im Raum: Haben Transgender-Athletinnen, die über den | |
| Körperbau eines Mannes verfügen, einen unfairen Vorteil gegenüber | |
| Konkurrentinnen, deren Testosteronspiegel bestenfalls – Achtung Doping! – | |
| nie erhöht war? | |
| Seinerzeit sagte der Premierminister von Samoa, Sailele Tuila’epa | |
| Malielegaoi: „Egal, wie wir es betrachten, es handelt sich um einen Mann. | |
| Und es ist schockierend, dass dies überhaupt erlaubt wurde.“ Hubbard, einst | |
| bei den Männern in der Klasse über 105 Kilogramm unterwegs, hatte einen | |
| Rekord im Reißen von 135 Kilo und im Stoßen von 170. Jetzt liegen ihre | |
| Bestmarken bei 131 und 154. | |
| ## Persiflage in „South Park“ | |
| Einen Einblick in die kollektive Psyche der Sportkonsumenten bot eine | |
| [2][Episode der US-Comic-Serie „South Park“], in der bei einem | |
| Strong-Woman-Wettbewerb eine Transgender-Athletin, Heather Swanson, im Look | |
| eines bärtigen, muskulösen Supermachos die Konkurrenz aufmischt. Swanson | |
| bölkt mit kratziger, tiefer Stimme ins Mikro eines Reporters, sie habe sich | |
| erst vor zwei Wochen zu einer Geschlechtstransformation entschieden und | |
| suggeriert damit, der Frauensport sei dem Ende nah. Die Sache ist natürlich | |
| viel komplizierter. Und sie beginnt im Jahr 2003, als sich die Herren vom | |
| Olymp erstmals ernsthaft mit dem Thema Transsexualität – damals der gängige | |
| Begriff – befassten. | |
| Präsident des IOC war der Belgier Jacques Rogge, ein Arzt. “Entschuldigen | |
| Sie, wenn ich rückblickend lachen muss“, sagte Rogge nach einer heiklen | |
| Besprechung seines Komitees, das sich auch noch mit dem Thema | |
| Intersexualität auseinandersetzte, was wohl einige Herren vollends | |
| verwirrte. „Meine Kollegen haben nicht wirklich verstanden, worum es ging, | |
| das ist nachvollziehbar, da sie ja nicht wie ich Medizin studiert haben.“ | |
| Rogge war Chirurg und Klinikchef in Gent. „Wir müssen jetzt einen noch | |
| besseren Job machen, erklären, was dem Ganzen zugrunde liegt – und wir | |
| müssen vor allem Ängste abbauen.“ Was Rogge und seine Kollegen besprochen | |
| hatten, galt einem neuen Rahmen im olympischen Sport: [3][der Zulassung von | |
| Transsexuellen zu den Spielen]. | |
| Vor allem die Athletenkommission des IOC stellte sich gegen die | |
| revolutionäre Novelle, die nichts anderes besagte, als dass Athleten, die | |
| früher Männer waren, nun im Wettbewerb der Frauen starten dürfen, weil sie | |
| sich als solche fühlen. Und dass Männer, die früher Frauen waren, beim | |
| starken Geschlecht mitmischen können. Das IOC musste also die Frage | |
| beantworten, wann ein Mann als Frau anzuerkennen ist – und umgekehrt. | |
| ## „Östrogen ist leistungsmildernd“ | |
| Um das zu klären, wurde eine Expertenrunde gebildet. Den Vorsitz übernahm | |
| der Chef der medizinischen Kommission des IOC, Arne Ljungqvist aus | |
| Schweden. Er hatte schon dafür gesorgt, dass vor den Olympischen Spielen in | |
| Sydney der so genannte Sextest für Athletinnen abgeschafft worden war, so | |
| dass sie nicht mehr den Nachweis erbringen mussten, eine „normale“ Frau zu | |
| sein. | |
| Ljungqvist musste untersuchen, „wie lange eine Behandlung mit weiblichen | |
| Hormonen dauern muss, bis sie als erfolgreich anzusehen ist“. Oder: „Wie | |
| man sicherstellen kann, dass die Behandlung mit weiblichen Hormonen auch | |
| wirklich stattfindet.“ Drei Punkte waren dem Schweden schließlich wichtig: | |
| Die Geschlechtsumwandlung muss abgeschlossen sein; sie muss von der | |
| zuständigen Behörde des Landes anerkannt sein; und die Transsexuellen | |
| müssen sich einer zweijährigen Hormonbehandlung nach der Operation | |
| unterzogen haben. | |
| Michelle Dumaresq, vormals Michael Dumaresq, ist eine ehemalige kanadische | |
| Mountainbikerin. Ihre Mitfahrerinnen feindeten die Transgender-Athletin | |
| lange Zeit an, versuchten, ihr das Startrecht zu verbauen. Die | |
| Argumentation: Sie verfüge über einen Wettbewerbsvorteil; einen stärkeren | |
| Körperbau, mehr Hämoglobin im Blut, eine bessere Herzleistung, sie hätte | |
| eine größere Lunge und mehr Muskeln. Doch Dumaresq verweist darauf, dass | |
| nach der Östrogenbehandlung nicht selten 30 Prozent der Muskelmasse | |
| verloren gehe. „Östrogen ist eine leistungsmildernde Droge“, sagt sie, „… | |
| habe zwar noch große Knochen, aber nicht mehr die Muskeln, sie effektiv zu | |
| bewegen.“ | |
| Auch die ehemalige Trans-Golferin Mianne Bagger hält den Einwand, | |
| Transgender-Frauen seien stärker, für Unfug. Die Australierin sagt: „Ich | |
| kann die Bedenken der Leute verstehen, aber wenn sie Zweifel haben, dann | |
| sollen sie herkommen und mir beim Golfen zusehen. Ich weiß, dass ich den | |
| Ball nicht mehr so weit schlagen kann wie früher.“ Andere bekannte | |
| Trans-Sportlerinnen sind die ehemalige MMA-Kämpferin Fallon Fox, die | |
| britische Skisport-Freeriderin Hannah Aram, die kanadische Bahnradlerin | |
| Rachel McKinnon (seit 2019 Veronica Ivy) oder der ehemalige | |
| Stabhochspringer Balian Buschbaum. | |
| ## Empfehlungen des IOC | |
| Es ist freilich wichtig, eine Unterscheidung zur Intersexualität zu | |
| treffen, denn Transgender-Sportlerinnen haben keine körperlichen | |
| Auffälligkeiten: Ihr Chromosomensatz ist nicht verändert, und auch | |
| hormonell sind sie eindeutig Mann oder Frau. Sie haben allerdings ein | |
| Problem mit ihrer Geschlechtsidentität. Der Wechsel des Geschlechts | |
| entspringt dabei nicht einer Laune, sondern folgt einem inneren Drang, der | |
| jahrelang zu einer Belastungsprobe für das psychische Gleichgewicht werden | |
| kann. | |
| Das IOC hat sich 2015 wieder intensiv mit dem Thema befasst und ein | |
| sogenanntes [4][„Consensus Statement“] verabschiedet. Es beinhaltet | |
| Empfehlungen, wie die einzelnen olympischen Sportverbände mit | |
| Transgender-Athleten, Intersexualität und Hyperandrogenität, also erhöhten | |
| Testosteronwerten im Sportlerblut, umgehen. Das Ergebnis: Frauen, die eine | |
| Geschlechtsidentität als Mann angenommen haben, dürfen ohne Restriktionen | |
| an Männer-Wettkämpfen teilnehmen. Im umgekehrten Fall geht das nicht so | |
| einfach. | |
| Der Wechsel der Identität muss mindestens vier Jahre zurückliegen und | |
| amtlich beurkundet sein. Die Athletin muss zusätzlich nachweisen, dass ihr | |
| Testosteronspiegel im Blut vor ihrem ersten Wettkampf mindestens 12 Monate | |
| lang unter 10 Nanomol pro Liter gelegen hat. Diesen Grenzwert, der | |
| regelmäßig kontrolliert wird, muss sie während ihrer Leistungssportkarriere | |
| einhalten. Tut sie es nicht, kann sie 12 Monate lang nicht an Wettkämpfen | |
| teilnehmen. Der internationale Leichtathletik-Verband World Athletics | |
| besteht sogar auf weniger als 5 Nanomol pro Liter, was aber immer noch | |
| deutlich über dem Mittelwert einer sogenannten Cisgender-Frau liegt. | |
| Derzeit werkelt das IOC an einer Novelle. Auf Anfrage der taz schreibt das | |
| Komitee: „In Anerkennung der wahrgenommenen Spannung zwischen | |
| Fairness/Sicherheit einerseits und Inklusion/Nichtdiskriminierung | |
| andererseits – und angesichts der jüngsten Entwicklungen an vielen Fronten | |
| hat das IOC 2019 beschlossen, an einem neuen umfassenden Ansatz zu | |
| arbeiten, der der Komplexität dieses Problems gerecht wird.“ Man arbeite an | |
| „neuen Leitlinien, um sicherzustellen, dass Sportler an einem sicheren und | |
| fairen Wettbewerb teilnehmen können.“ Das IOC räumt freilich ein, den | |
| Grundkonflikt – hier Chancengleich und Schutz des Frauensports, da Recht | |
| auf Teilhabe und Inklusion – nicht auflösen zu können. | |
| Das ist im US-Kinder- und Collegesport nicht anders. Dort tobt ein | |
| politisch aufgeladener Kulturkampf zwischen Befürwortern und Gegnern der | |
| Teilhabe von Transgender-Sportlerinnen. Auf dem alten Kontinent | |
| [5][versucht Swiss Olympic den Konflikt so zu lösen]: „Kinder und | |
| jugendliche Transgender-Athleten sollen vor der Pubertät ohne Restriktionen | |
| bei dem präferierten Geschlecht teilnehmen dürfen.“ Ab der Pubertät gelten | |
| strengere Regeln, insbesondere im Leistungssport. Dabei sei festzuhalten, | |
| „dass das Einsetzen der Pubertät für jede Person individuell bestimmt | |
| werden sollte“. | |
| Nicht weniger emotional wurde die Entscheidung des internationalen | |
| Rugby-Verbands diskutiert. World Rugby hatte im vergangenen Jahr empfohlen, | |
| dass Transgender-Frauen nicht an Wettbewerben teilnehmen dürfen und dafür | |
| Sicherheitsgründe genannt, da beim Rugby Größe, Stärke, Kraft und | |
| Geschwindigkeit sowohl für das Risiko als auch für die Leistung | |
| entscheidend seien. | |
| Frankreichs Verband macht da nicht mit. Transgender-Athleten können ab der | |
| kommenden Saison in Rugby-Mannschaften mitmischen und an offiziellen | |
| Wettbewerben teilnehmen. „Rugby ist ein inklusiver Sport, ein Sport des | |
| Teilens, ohne Unterscheidung bei Geschlecht, Gender, Herkunft oder | |
| Religion“, erklärte Serge Simon, Vizepräsident der Fédération Française … | |
| Rugby. | |
| Laurel Hubbard, die olympische Gewichtheberin, würde diesen Satz wohl fett | |
| unterstreichen. | |
| 30 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Laurel_Hubbard | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=wxDaiyREBPw | |
| [3] https://stillmed.olympic.org/Documents/Reports/EN/en_report_905.pdf | |
| [4] https://stillmed.olympic.org/Documents/Commissions_PDFfiles/Medical_commiss… | |
| [5] https://www.swissolympic.ch/dam/jcr:8349fb75-f325-4708-b11d-f86a18a24d2b/Fa… | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Völker | |
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