# taz.de -- Erdoğan und der Nahostkonflikt: Der Antisemit vom Bosporus | |
> Erdoğan schockierte zuletzt mit judenfeindlichen Äußerungen. Doch in der | |
> Türkei punktet er damit – nicht nur in der eigenen Wählerschaft. | |
Bild: Stimmungsmacher mit Sonnenbrille: Der türkische Präsident | |
Istanbul taz | In der Türkei gibt es kaum ein Thema, bei dem sich die | |
Mehrzahl der Menschen so einig ist wie in ihrer Solidarität mit Palästina. | |
Auch wenn die säkulare Linke die Begeisterung von Präsident Erdoğan für die | |
islamistische Hamas nicht teilt, grundsätzlich sind sich von der | |
kurdisch-linken HDP bis zur rechtsradikalen MHP nahezu alle einig: Die | |
Palästinenser*innen sind die Opfer, weil ihre Gebiete besetzt sind, | |
sie innerhalb Israels diskriminiert und in der Nutzung der heiligen Stätten | |
in Jerusalem behindert werden. | |
[1][Dass Israels Armee haushoch überlegen ist], führt dazu, dass der | |
Raketenbeschuss aus Gaza im Vergleich zu den Militärschlägen der | |
israelischen Luftwaffe und Artillerie oft als Marginalie gesehen wird. | |
Nicht nur in regierungsnahen Zeitungen wird betont, dass auf aktuell 12 | |
getötete Israelis mehr als 200 getötete Palästinenser*innen kommen, | |
darunter viele Frauen und Kinder. | |
Wenn Erdoğan von israelischem „Staatsterror“ spricht, beschreibt er für | |
viele nur die Realität. Seine Bemerkungen kommen auch bei | |
regierungskritischen Menschen gut an, auch weil sich der Westen in den | |
Augen der meisten Türk*innen durch Heuchelei auszeichnet. | |
Zurechtweisungen, wie jetzt von der US-Regierung, die die „antisemitischen | |
Äußerungen“ Erdoğans verurteilte, während die USA im UN-Sicherheitsrat je… | |
Forderung nach einem Waffenstillstand blockieren, kommen deshalb nicht gut | |
an. Erdoğan hatte Israel „Terrorismus“ vorgeworfen und gesagt, dies liege | |
„in der Natur“ der Israelis. „Sie töten Kinder. Sie sind erst zufrieden, | |
wenn sie ihr Blut aussaugen.“ | |
## Der Bruch kam 2010 | |
Dabei war die Türkei lange eines der wenigen muslimischen Länder mit guten | |
Beziehungen zu Israel. Noch in den 90er Jahren absolvierte Israels | |
Luftwaffe Übungsflüge in der Türkei. Das Verhältnis änderte sich zunächst | |
auch nach dem Wahlsieg der AKP 2002 nicht. Erdoğan fungierte noch Mitte der | |
nuller Jahre als Vermittler zwischen Israel, den Palästinenser*innen | |
und arabischen Staaten. | |
Die Veränderung kam erst angesichts des Vormarsches der israelischen | |
Rechten sowie durch das Abrücken der Türkei vom Verbund der westlichen | |
Staaten. Der Bruch kam 2010, als Israel einen Konvoi von Hilfsschiffen für | |
Gaza, der von einer türkischen Hilfsorganisation organisiert worden war, | |
stoppte und dabei neun Türk*innen tötete. | |
Spätestens seit dem [2][Arabischen Frühling 2011] setzte Erdoğan ganz auf | |
die arabische Karte und die Muslimbruderschaft. Seitdem ist die Kritik an | |
Israel stark religiös konnotiert und Erdoğan versucht, sich als | |
muslimischer Führer zu profilieren. Vor allem in Konfliktphasen ist dann | |
auch sein Antisemitismus unübersehbar. | |
Dabei war die Türkei für Jüdinnen und Juden lange ein Zufluchtsland. Das | |
begann im 16. Jahrhundert, als der Sultan den von der katholischen | |
Inquisition verfolgten sephardischen Juden Schutz anbot, und blieb im | |
Osmanischen Reich so, wo Jüdinnen und Juden im Gegensatz zu den | |
Christ*innen kaum unter Repressionen litten. | |
Heute gibt es zwar keine Angriffe auf jüdische Einrichtungen, aber der | |
Antisemitismus hat zugenommen. In der aktuellen Situation versuchen die | |
türkischen Jüdinnen und Juden, möglichst unsichtbar zu bleiben. | |
Gleichzeitig nimmt dann nach Konfliktphasen meist die Zahl der | |
Auswanderungen nach Israel zu. | |
20 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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