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# taz.de -- Wohnen im Alter: „Hier bin ich nun mal verwurzelt“
> Karla Feles hat eine große Wohnung in Hamburg für sich allein. Umziehen
> würde sie nach 40 Jahren nur, wenn es eine gute Alternative gibt.
Bild: Einsam ist sie allein in der Wohnung nicht: Karla Feles
Hamburg taz | Die Alten raus aus ihrer Wohnung, damit die jungen Familien
mehr Platz bekommen? Ist das eine Lösung? Sicherlich brauchen viele Ältere
nach dem Auszug der Kinder nicht mehr ganz so viel Platz. Die Idee des
Wohnungstausches klingt also naheliegend. Doch viele, die etwas mehr Platz
haben, wollen gar nicht ohne Weiteres raus – und die Gründe sind
vielfältig. Gegen einen Umzug spricht in vielen Fällen eine ganze Menge. Es
ist eine komplexe Frage, bei der die Argumente dafür und dagegen ernst
genommen werden müssen.
Karla Feles war früher Lehrerin, später begann sie als Liedermacherin
„Feli“ Musik zu machen. Ihre Wohnung, die sie damals mit ihrem Mann und den
drei Kindern teilte, bewohnt sie mittlerweile allein. Dort schreibt sie
ihre Musik und ihre Texte, dort malt sie auch. Sie hat sich Gedanken
darüber gemacht, ob sie sie gegen eine kleinere Wohnung eintauschen würde.
Ein Protokoll:
## „Wir helfen uns hier gegenseitig“
„Seit 40 Jahren wohne ich in dieser Wohnung. Und nun noch in einen anderen
Stadtteil umziehen? Na ja. Also, ungern würde ich das wohl gar nicht tun
wollen, das ist das falsche Wort. Ich bin ja offen für Neues. Aber hier bin
ich nun mal im Laufe der vielen Jahre verwurzelt. Ich habe hier im Haus
eine wundervolle Nachbarschaft – ich bin genau richtig hier.
Das sind ja alles gewachsene Beziehungen. Wir helfen uns hier gegenseitig.
Jetzt in der Coronazeit versammeln wir uns an den Wohnungstüren zum
Treppenhaus und ich spiele ein Konzert. Ich kann mir nichts ausdenken,
deswegen ich hier ausziehen würde.
Wobei ich kürzlich im Bus hier in der Nähe an einem Eilbekkanal
entlanggefahren bin, da sah ich ein paar Hausboote und dachte mir: Das
könnte ich mir vielleicht vorstellen. Was mir auch schon mehrmals durch den
Kopf ging, ist ein Mehr-Generationen-Wohnprojekt.
Mein Sohn fragte mich sogar letztens, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihm
in ein großes Haus ins Wendland zu ziehen. Das kann ich mir schon
vorstellen, muss ich sagen. Aber unterm Strich: Noch mal im Leben
umzuziehen, wäre für mich keine Option – außer es gäbe eine so schöne
Alternative.
Ich werde jetzt 74 Jahre. Aber altersgerechtes Wohnen? Ich weiß gar nicht,
was altersgerechtes Wohnen für mich bedeuten würde. Klar, wenn ich nach dem
Einkauf die Treppen hoch muss, schnaufe ich schon mal tief. Aber das alles
hält mich doch auch fit. Ich will gar nicht, dass mir das alles abgenommen
wird.
Der Mietvertrag ist zwar immer noch der von damals, aber die Miete macht
heute mehr als die Hälfte meiner Pension aus. Selbst wenn ich umziehen
würde, würde ich doch vielleicht sogar mehr als bisher zahlen. Deshalb ist
das für mich auch illusorisch. Das ist doch in allen Großstädten so.
Freunde von mir aus München, auch Musiker, sind jetzt nach Mannheim
weggezogen, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen konnten. Würde ich
hier doch nochmal ausziehen, müsste ich wohl für deutlich weniger Platz
deutlich mehr zahlen. Eine Nachbarin hat eine kleinere Wohnung und zahlt
300 Euro mehr als ich. Das könnte ich mir dann nicht mehr leisten.
Wir haben hier zu fünft gewohnt – mein Lebensgefährte und drei Kinder. Ich
habe heute noch viel Besuch. Es ist auch gut, noch mal ein kleines Zimmer
mit einem Bett für Gäste zu haben. Aber sonst steht hier ja auch alles
voll. Ich sammle halt gern. Mir ist das einfach nicht zu groß.
## „Wo soll ich die Bilder noch hinstellen?“
Mit einem der vorderen Zimmer habe ich noch Pläne: Das große Zimmer soll
das Musikzimmer werden, dafür brauche ich noch ein neues Klavier. Das
heißt: Ich nutze den Platz ja auch. Ich male und ich weiß schon nicht mehr,
wo ich die ganzen Bilder hinstellen soll. Manche lagern gerade schon
anderswo. Und die Kinder haben ja auch noch viele Sachen hier, kommen
häufig zu Besuch und schlafen dann hier.
Hier noch jemanden einziehen zu lassen, das weiß ich nicht genau. Es müsste
schon jemand sein, den ich sehr gern mag. Dass ich in dieser Situation bin,
dafür bin ich sehr dankbar. Ich weiß noch, wie beengt ich in meiner
Kindheit aufgewachsen bin. Ich weiß, dass es ein großer Luxus ist, viel
Platz zu haben. Das ist mir natürlich nicht immer bewusst, das weiß ich
wohl.
Zugleich: Ich habe so viele Wohnsituationen durchgemacht, habe früher auch
in WGs gewohnt, ich denke schon: Ich habe mir das auch verdient. Ich war 40
Jahre im Schuldienst und auch da habe ich vor meiner Pensionierung gesagt:
Ich habe hier meinen Beitrag geleistet, das habe ich mir nun verdient. Ich
bin ja keine Millionärin und die Frage mit dem Luxus ist natürlich eine
Frage der Perspektive. Natürlich genieße ich es auch sehr, den Platz zu
haben. Es sind etwas mehr als 100 Quadratmeter.
Ich hatte ja auch nie das Gefühl – selbst zu Coronazeiten nicht – dass ich
hier einsam bin in dieser großen Wohnung. Mir ist das auch nie zu still
hier. Ich mache das Radio an, höre Musik oder spiele selbst etwas auf der
Gitarre. Und hier hängen ja auch viele Erinnerungen dran. In der Küche, am
Türrahmen, sind noch die Striche, wie groß die Kinder waren. Es sind auch
Erinnerungen an Momente, die es in dieser Wohnung mit den Kindern und
meinem Mann gab.“
6 Jun 2021
## AUTOREN
André Zuschlag
Karla Feles
## TAGS
Wohnungsmarkt
Mieten Hamburg
Immobilien Hamburg
Hamburg
Wohnungsmangel
Schwerpunkt Coronavirus
Fremd und befremdlich
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