# taz.de -- Wer schreibt die Geschichte?: Bürgis und Bismarck | |
> Wer Freiheit und Gleichheit in Kunst und Wissenschaft voranbringen will, | |
> wird oft beschuldigt, die Historie umschreiben zu wollen. Da ist was | |
> dran. | |
Bild: In deutschen Museen steht unfassbar viel geklaute Kunst: Raubkunst-Bronze… | |
Ewig Gestrige aus der rechten Ecke und ihre friends elsewhere machen sich | |
große Sorgen. Und ich fühle dabei nichts. Dennoch möchte ich an dieser | |
Stelle auf einen konkreten Vorwurf eingehen: Ihr möchtet unsere Geschichte | |
umschreiben! | |
Ich gebe zu: Da ist was dran. Aber step by step. | |
Bei diesem Vorwurf werden jene angesprochen, die emanzipatorische Diskurse | |
in Medien, Kunst oder Wissenschaft voranbringen wollen. Mit „unsere | |
Geschichte“ sind viele einzelne Inseln der kolonial-europäischen | |
Vergangenheit gemeint. Am besten lässt sich das an historischen | |
Persönlichkeiten erläutern: | |
Immanuel Kant ist für viele Deutsche eine Identifikationsfigur. Bürgis sind | |
in ihren Elternhäusern mit Kant-Editionen in den Bücherregalen aufgewachsen | |
und haben gelernt: Das ist unser Moral-Philosoph. [1][Nun hat Kant auch | |
rassistische Texte verfasst.] Von ihm stammt zum Beispiel folgendes Zitat: | |
„Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der | |
Weißen.“ Es sind teilweise jene, die Moral (auch im kantschen Sinne) heute | |
verteufeln, die darauf pochen, dass man ihnen ihren Kant nicht nimmt. | |
Absurd. | |
## Identitäre Romantisierung | |
Next Dude: Otto von Bismarck organisierte bei der Berliner Konferenz | |
1884/1885 die Ausbeutung und Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter | |
den europäischen Kolonialmächten. Die Persönlichkeit und das Schaffen | |
Bismarcks ist auch im Lichte dieser Episode zu betrachten und zu verstehen. | |
Einige Deutsche wollen aber Bismarck-Statuen anbeten anstatt kritisch auf | |
ihn zu blicken. Geschichte im Dienste einer identitären Romantisierung. | |
Gefährlich. | |
Noch ein Beispiel: Wir haben alle gelernt, dass Christoph Columbus den | |
amerikanischen Kontinent entdeckt habe. Aber wie kann man einen Ort | |
„entdecken“, an dem andere Menschen schon sehr viel länger gelebt haben. Da | |
spielt die Perspektive der Geschichtsschreibung die zentrale Rolle. Got it? | |
Ein letzter Exkurs geht noch: [2][In deutschen Museen steht unfassbar viel | |
geklaute Kunst.] Expert*innen schätzen, dass 80 bis 90 Prozent der | |
Exponate aus der Kolonialzeit stammen. In der bisherigen | |
Provenienzforschung werden Raubzüge und Kriegsexpeditionen, die diese | |
Objekte dreist und gewalttätig entwendet haben, als Forschungsmissionen und | |
Handelsunternehmen verharmlost. Wer hat da versucht, was zu vertuschen? | |
Geschichte, und das haben rechte Lauchs nicht verstanden, wird geschrieben. | |
Und wo geschrieben wird, sollte man nach dem schreibenden Subjekt fragen. | |
Also: Wer schreibt die Geschichtsbücher, die Texte auf den Täfelchen in den | |
Museen und bei „ZDF-History“ mit? | |
Die Antwort lautete bis jetzt: Jene, die eine Deutungshoheit inne hatten | |
und haben. Und das waren und [3][sind nunmal weiße, alte Männer] (und ein | |
paar weiße Frauen). Geschichte ist also nie etwas Statisches. Deswegen | |
arbeiten Historiker*innen kontinuierlich in den Archiven, um neue | |
Erkenntnisse über die Vergangenheit zu erlangen. Geschichte ergänzen, neu | |
erzählen, belegen und diskutieren macht Ereignisse ja nicht ungeschehen. | |
Geschichte quellentreu umzuschreiben ist also als Korrektiv zu versehen. | |
12 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Geschichte-des-Rassismus/!5694138 | |
[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/restitutionsdebatte-ganze-sammlungen-s… | |
[3] /Kulturwissenschaftlerin-ueber-Sklaverei/!5728681 | |
## AUTOREN | |
Mohamed Amjahid | |
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