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# taz.de -- Regierungsbildung in Israel: An Bibi vorbei
> Die Ablösung von Israels Ministerpräsident Benjamin „Bibi“ Netanjahu wi…
> wahrscheinlicher. Doch das neue Bündnis muss ideologische Gräben
> überwinden.
Bild: Einst Netanjahus Verbündeter, heute sein Gegner: Siedlerführer Naftali …
Es ist eine ganz große Koalition, die sich dieser Tage in Israel anbahnt
und die in mehrerlei Hinsicht historisch wäre. Gelingt es Oppositionsführer
Jair Lapid tatsächlich, vor Ablauf der Frist in der Nacht auf Donnerstag
eine Regierung ohne die Likud-Partei zu bilden, wäre die Ära des seit 2009
amtierenden Regierungschefs Benjamin Netanjahu beendet, sobald die neue
Führung vereidigt ist. Schon in einer Woche, sagte Lapid am Montag in der
Knesset in Jerusalem, „könnte Israel in ein neues Zeitalter eintreten.“
Dementsprechend groß war der Wumms, als Naftali Bennett am Sonntagabend
verkündete, er werde alles unternehmen, um ein Bündnis mit Lapids
Zukunftspartei zu schließen. Bennett selbst ist Chef der ultrarechten
Partei Jamina, die der israelischen Siedlungsbewegung nahesteht. Und es ist
Bennett, nicht Lapid, der Netanjahu im Amt des Regierungschefs ablösen
könnte.
Israelischen Medienberichten zufolge setzen die beiden auf ein
Rotationsmodell: Demnach würde zunächst Bennett die Regierung führen, bevor
er nach zwei Jahren von Lapid abgelöst wird. Niemand anderes als Netanjahu
hatte ein solches, aus der Not geborenes Rotationsmodell salonfähig
gemacht, nachdem er vergangenes Jahr nur mit Mühe eine Regierungskoalition
schmieden konnte, die mittlerweile aber zerbrochen ist, weshalb es im März
zur vierten Neuwahl in nur zwei Jahren gekommen war.
Die Einheitsregierung, mit der das Duo Lapid/Bennett nun die
Likud-Herrschaft beenden will, ist ein Bündnis, das sich vom weit rechten
bis zum linken Rand des politischen Spektrums erstreckt. Auch die
[1][islamisch-konservative Partei Ra'am] müsste die Regierung zumindest als
Minderheitsregierung dulden.
## Erstmals arabische Beteiligung
Es wäre das erste Mal, dass eine arabische Partei aktiv eine israelische
Regierung untersützt – und das ausgerechnet unter Führung von
Siedlerparteichef Bennett. In Krisenzeiten wie dem jüngsten Krieg zwischen
der Hamas im Gazastreifen und Israel müssten arabische Politiker*innen
die israelische Regierungspolitik künftig mittragen, um einen Zusammenbruch
der Koalition zu vermeiden.
Der 49-jährige Bennett betonte in einer Fernsehansprache am Sonntagabend,
Israels künftige Regierung werde keine linke sein. Im Gegenteil: Sie werde
sogar „ein bisschen weiter rechts“ stehen als die jetzige, so Bennett, der
unter Netanjahu einst als Verteidigungsminister diente. Allerdings machte
er auch deutlich, dass wohl alle einen Teil ihrer ideologischen
Überzeugungen werden zurückstellen müssen, „um das umsetzen zu können, was
geht, und nicht die ganze Zeit darüber zu streiten, was nicht geht.“
Für die Anti-Netanjahu-Koalition hat Lapid bereits Vereinbarungen mit der
linksliberalen Meretz-Partei, der einst mächtigen, aber mittlerweile nur
noch wenig bedeutsamen Arbeitspartei sowie der rechten Partei Israel
Beitenu von Ex-Außenminister Avigdor Lieberman getroffen.
Netanjahus Chancen, eine Einheitsregierung noch zu verhindern, schwinden
derweil. Selten hat man den Premier, der sich seit Jahren an die Macht
klammert, so aufgelöst gesehen wie in diesen Tagen. Gegen den 71-Jährigen
läuft ein Gerichtsprozess wegen Korruptionsverdachts. Im Falle einer
Verurteilung könnte er zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt
werden. Bliebe er hingegen Regierungschef, könnte er im Parlament ein
Immunitätsgesetz durchsetzen, das ihn vor der Haft bewahren würde.
## Verratsvorwürfe
Nach Bennetts Ansage am Sonntag beschimpfte Netanjahu seinen ehemaligen
Verteidigungsminister regelrecht: Bennett würde den „Betrug des
Jahrhunderts“ begehen, sollte er Lapids Bündnis beitreten. Er warnte vor
einer „Links-Regierung“ und sprach von einer „Gefahr für die Sicherheit
Israels“.
Gleichzeitig forderte er Bennett erneut auf, doch noch einer
Rechtskoalition mit Likud beizutreten. Für diese [2][fehlten Netanjahu aber
selbst mit Hilfe von Bennetts Jamina-Partei die nötigen Stimmen im
Parlament].
Allerdings: Noch ist der Koalitionsvertrag für eine Einheitsregierung, der
der Knesset vorgelegt werden muss, nicht geschrieben. Fraglich ist, wie
sich der siedlerfreundliche Hardliner Bennett mit Politiker*innen der
sozialdemokratischen Arbeitspartei, der links-liberalen Meretz oder der
zentristischen Zukunftspartei auf politische Ziele einigen wird.
Offensichtlich wird der ideologische Graben etwa bei der vergangenes Jahr
heiß diskutierten Frage nach einer Annexion von Teilen des
palästinensischen Westjordanlands liegen.
Mit voller Unterstützung von Ex-US-Präsident Donald Trump hat Netanjahu in
den vergangenen Jahren die Siedlungspolitik weiter vorangetrieben.
Mittlerweile hat er aber von seinem Versprechen, zumindest die Siedlungen
zu israelischem Staatsgebiet zu erklären, Abstand genommen, nachdem die
Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Sudan und Marokko sich bereit
erklärten, Israel offiziell anzuerkennen. Mit dem Sudan ist die angestrebte
Normalisierung allerdings bislang nicht über eine Absichtserklärung
hinausgekommen.
## Explosive Mischung
Bennett befürwortet weiter eine Annexion von Teilen des Westjordanlands. In
seinen Augen wäre ein palästinensischer Staat „Selbstmord“; gegenüber dem
Nachrichtensender Al Jazeera sprach er von einem „Terrorstaat, der nur
wenige Minuten von meinem Zuhause entfernt“ wäre. Die Mitte-Links-Parteien
dagegen halten am Ziel einer Zweistaatenlösung fest, in der die
Palästinenser*innen einen eigenen Staat an der Seite Israels erhalten
würden.
Besonders schwierig dürften die Koalitionsverhandlungen dadurch werden,
dass die neue Regierung auf die islamisch-konservative Partei Ra’am
angewiesen wäre, auch wenn diese wohl nur im Parlament unterstützen und
selbst keine Minister*innenämter übernehmen würde. Doch die Stimmen
der arabischen Abgeordneten dürfte wohl keine Regierung erhalten, die eine
Annexion palästinensischer Gebiete anstrebt.
Auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen jüdischen und muslimischen
Bürger*innen innerhalb Israels dürfte angesichts der vergangenen
Gewaltausbrüche auf den Straßen des Landes Zündstoff bereithalten.
Sobald Lapid sein Bündnis in trockenen Tüchern hat, muss er Staatspräsidet
Reuven Rivlin informieren. Dann hätte er sieben Tage Zeit für die
Vereidigung der neuen Regierung durch das Parlament.
31 May 2021
## LINKS
[1] /Israelischer-Politiker-Mansour-Abbas/!5754938
[2] /Regierungsbildung-in-Israel/!5770251
## AUTOREN
Judith Poppe
Jannis Hagmann
## TAGS
Israel
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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