# taz.de -- Neue Journalismus-Modelle im Netz: E-Mail für dich | |
> Digital lässt sich ein genau definiertes Publikum mit passenden Inhalten | |
> erreichen. Auch immer mehr freie Journalist:innen nutzen das. | |
Bild: Esra Karakaya führt ihre Talkshow per Crowdfunding fort | |
Journalismus für kleinere, dafür genau definierte Zielgruppen anstatt für | |
die Breite – das ist erst mal nichts Neues. Ein Beispiel: das Printmagazin | |
Basket für die deutsche Basketballszene. Dessen Bielefelder Verlag gibt | |
derzeit eine Auflage von 20.000 verkauften Exemplaren an – das wäre | |
gerade mal ein Verlust von rund 10 Prozent gegenüber 2007, in | |
Printkrisenzeiten ist das vergleichsweise stabil. Das liegt vor allem an | |
jener Szene, die es treu unterstützt. Denn kleine, spezielle Zielgruppen | |
sind aus wirtschaftlicher Sicht oft verlässlicher als das breite Publikum. | |
Nun kommen immer mehr Möglichkeiten hinzu, solche exakten Zielgruppen | |
online anzusprechen. Das ist attraktiv für journalistische Unternehmen auf | |
der Suche nach einem einigermaßen krisenfesten zusätzlichen Standbein. | |
Journalistische Youtube-Sendungen für ein altersspezifisches Publikum sind | |
ein Beispiel, es gibt sie von öffentlich-rechtlichen Sendern wie auch von | |
freischaffenden Macher:innen. Aber auch themenspezifische Podcasts und | |
E-Mail-Newsletter sind Teil dieser Entwicklung. | |
Das Berliner Crowdfunding-Start-up Steady hat darauf letzthin mit einer | |
Umstellung seines Geschäftsmodells reagiert: Anstatt zeitlich begrenzter | |
Projektförderung kann man dort jetzt journalistische Formate langfristig | |
über Leser:innen finanzieren lassen. Wer auf Steady ein Projekt anlegt, | |
kann dort Inhalte veröffentlichen und Abonnent:innen sammeln. Die | |
Plattform verwaltet die Abos und wickelt die Beitragszahlungen ab. Wie hoch | |
die Beiträge sind, bestimmt die Publisher:in selbst. 10 Prozent gehen an | |
Steady. | |
Zu diesem Relaunch präsentierte die Plattform 40 Journalist:innen, die | |
ihre Inhalte künftig dort anbieten, etwa Esra Karakaya, | |
Grimme-Online-Award-Preisträgerin [1][für die Talkshow „Karakaya Talk]“. | |
Die wurde nach einer Staffel auf dem ARD/ZDF-Kanal „funk“ abgesetzt, was | |
Fans ärgerte. Auf Steady will Karakaya ihre Show crowdfinanziert | |
weiterführen. Sie spreche eine bestimmte Gruppe an, die sich in klassischen | |
Medien nicht vertreten fühle. Es gehe „um genau die Themen, die Millenials | |
of Color bewegen“, sagt Karakaya. Bei 1.000 abgeschlossenen Steady-Abos | |
könnten sie und ihr Team regelmäßig neue Folgen produzieren, zurzeit habe | |
sie etwas über die Hälfte. | |
## Wenn Social Media nerven | |
Das Prinzip von Steady gibt es ähnlich schon bei Plattformen wie Substack, | |
Patreon oder OnlyFans. Auf Patreon bieten Podcaster:innen, | |
Gaming-Entwickler:innen und sogar Non-Profit-Unternehmen | |
Multimediainhalte an. Die viel diskutierte Plattform OnlyFans ist zwar | |
offen für jegliche Inhalte, wird jedoch hauptsächlich für Erotisches | |
genutzt. Das jüngste Unternehmen, das im Zuge des Medienwandels für | |
Aufsehen gesorgt hat, ist Substack. Dort können Autor:innen | |
Bezahl-Newsletter versenden. Substack hat mittlerweile 500.000 zahlende | |
Nutzer:innen, Expert:innen sagen weiteres Wachstum voraus. Der | |
erfolgreichste Newsletter auf Substack ist „Letters from an American“ der | |
Historikerin Heather Cox Richardson. Richardson verdient jährlich über eine | |
Million US-Dollar mit ihrem Newsletter, obwohl sie ihn zunächst umsonst | |
anbietet. Auch Twitter hat den Trend erkannt und im Januar den | |
niederländischen Newsletterdienst Revue aufgekauft. | |
Der Trend, zielgruppenspezifische Inhalte anzubieten, hat auch längst die | |
Zeitungsverlage erreicht. Medienhäuser probieren Formate für | |
Special-Interest-Gruppen aus. Die Annahme: Nutzer:innen sind genervt vom | |
Nachrichtenkonsum auf sozialen Medien, wo es viel um provokante | |
Schlagzeilen geht. Als Gegenangebot funktionieren Podcasts und | |
E-Mail-Newsletter, die regelmäßig und unabhängig vom Algorithmus des | |
eigenen Feeds erscheinen. | |
Die Leser:innen müssten „fühlen, dass ein echter Mensch dahintersitzt, | |
der seine Gefühle und sein Erleben mitteilt“, sagt Lorenz Maroldt, | |
Chefredakteur des Tagesspiegels, der den Newsletter Checkpoint herausgibt. | |
Der sei für den Verlag zu einer rentablen Einkommensquelle geworden, sagt | |
Maroldt, ohne Zahlen nennen zu wollen. | |
Das Prinzip E-Mail-Newsletter scheint die Medienlücke zwischen den | |
Generationen zu füllen: Die E-Mail ist etabliert genug, um auch Ältere zu | |
erreichen, aber trotzdem so digital, dass sie auch Digital | |
Nativesanspricht. Zudem sind E-Mails technisch nicht aufwendig, sodass | |
Newsletter in dieser Hinsicht kostengünstig betrieben werden können. | |
## Infos und Gemeinschaftsgefühl | |
Vorbild für Checkpoint war der Playbook-Newsletter des US-Magazins | |
Politico, der sich an die Washingtoner Politszene richtet. Die Zielgruppe | |
des Tagesspiegels sei analog dazu die Berliner Politikbubble, sagt Maroldt. | |
Als idealen Zeitpunkt für seinen Newsletter nennt er den frühen Morgen. | |
Viele Menschen nutzten mittlerweile ihre Mobilfunkgeräte als Wecker. Die | |
Aufmerksamkeit sei dann ohnehin schon auf dem Bildschirm. „Man tritt den | |
Leuten quasi die Tür ein, bevor sie die Augen aufgemacht haben“, sagt der | |
Chefredakteur. Ergänzt wird das Angebot durch Aktionen, die Leser:innen | |
einbinden, etwa mit einer Karte, auf der sich Abonnent:innen während der | |
Sommerferien markieren lassen konnten. Offline gibt es eine | |
Checkpoint-Laufgruppe und eine Checkpoint-Band. Interaktionen wie diese | |
binden an das Format – und steigern womöglich die Bereitschaft der | |
Leser:innen, Geld für die Plus-Version auszugeben. | |
Marketing, Veranstaltungen, Community – die Anforderungen an den modernen | |
Journalismus sind gestiegen. Den Leser:innen reichen gut recherchierte | |
Informationen nicht mehr aus, sie sehnen sich auch nach dem | |
Gemeinschaftsgefühl, das ihnen ein Print-Abo einst vermittelt hat. | |
29 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Studie-ueber-Talkshow-Gaeste/!5711685 | |
## AUTOREN | |
Leonard Maximilian Schulz | |
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