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# taz.de -- Stadtmagazin „RUMS“ in Münster: Engagiert weglassen
> Das digitale Stadtmagazin „RUMS“ hat den Sprung vom Gratisangebot über
> die Bezahlschranke geschafft. Nun geht es darum, sich nicht zu
> verzetteln.
Bild: Münster von oben: „RUMS“ soll auch die 60.000 Studierende in der wes…
In der Innenstadt Münsters, gegenüber dem Theater, steht ein ehemaliges
Fabrikgebäude. Die Münstersche Zeitung hatte in diesem Haus jahrzehntelang
ihren Sitz, wurde dort, mitten in der Stadt, geschrieben, gesetzt und
gedruckt. Der Journalist Ralf Heimann begann als Volontär in dem Gebäude
seine Karriere. 2014 aber wird die Münstersche Zeitung von ihrer einzigen
und auflagenstärkeren Konkurrenz, [1][den Westfälischen Nachrichten,]
übernommen. Seitdem ist sie eine Zombiezeitung: Wirkt auf den ersten Blick
eigenständig, besteht aber ausschließlich aus Inhalten der Westfälischen
Nachrichten.
Weil eine Zombiezeitung keine Räumlichkeiten braucht, ist die Münstersche
Zeitung aus dem Backsteinbau mittlerweile ausgezogen. Ralf Heimann hingegen
ist wieder da. Er ist Redaktionsleiter von RUMS, einem digitalen
lokaljournalistischen Projekt. RUMS steht für „Rund um Münster“, hat
mittlerweile über 20 Mitarbeiter:innen – und soll die Medienlandschaft
in der Stadt vielseitiger machen. Die Idee dafür entstand in den Köpfen von
Diplom-Kaufmann Götz Grommek und Journalist Marc-Stefan Andres. Beide sind
in Münster aufgewachsen und sich schon lange einig, dass ihre Stadt etwas
Neues braucht: ein digitales, unabhängiges, konstruktives Alternativangebot
zu den Westfälischen Nachrichten. Ein Produkt nach Vorbild des
Tagesspiegel-Newsletters „Checkpoint“, das Neu- und Alt-Münsteraner:innen
erklärt, was so los ist vor ihrer Haustür.
Grommek und Andres organisieren Workshops mit Journalist:innen aus der
Region, scharen Menschen um sich, die ihr Projekt für unterstützenswert
halten. Den in Münster geborenen ehemalige Spiegel-Chefredakteur Klaus
Brinkbäumer zum Beispiel, Correctiv-Gründer David Schraven oder den
Ehrenvorsitzenden der CDU Münster, Ruprecht Polenz. Schließlich sind es
zehn Gesellschafter:innen, die RUMS finanziell auf den Weg bringen. Als die
Pandemie losgeht, beschließt das Team, sich nicht mehr länger schillernde
Kampagnen auszudenken, sondern ihr Produkt einfach an den Start zu bringen.
Anders als vorher geplant, erst mal umsonst.
Von Anfang an kommunizieren die Macher:innen, dass RUMS nach ein paar
Monaten kostenpflichtig werde. Als sie nach einem halben Jahr, im September
2020, 8 Euro verlangen, zieht über ein Viertel der Leser:innen mit. Eine
ziemlich gute Rate. Die Redaktion verschickt ihren Newsletter dienstags und
freitags. Obwohl viele der RUMS-Briefe Teamarbeit sind, lächelt –
[2][ähnlich wie beim Tagesspiegel-Newsletter „Checkpoint“] – immer nur
ein:e Absender:in vom Briefkopf. Aufmerksame Leser:innen wissen nach
ein paar Wochen, wer welche thematischen Schwerpunkte hat und bekommen
durch sparsam eingestreutes Persönliches ein Gefühl für die
RUMS-Autor:innen.
## Der Streit um die Fahrradbrücke
Diese Nähe ist wichtig, findet Ralf Heimann. „Wir wollen den Menschen
vermitteln, dass sie uns immer anschreiben und anrufen können. So entstehen
ja auch Geschichten“, sagt er. Aus seiner Zeit bei der Lokalredaktion wisse
er, dass es Leser:innen oft nicht besonders leicht gemacht werde, zu
Redakteur:innen Kontakt aufzunehmen. „Aber natürlich ist dieses
Ansprechbarsein ein großer Zeitfaktor“, sagt Heimann. „Und das versuchen
wir gerade noch in Einklang zu bringen.“
Die Redaktion muss viel weglassen, um sich Raum zu verschaffen. Anders als
ein klassischer Lokalteil hat RUMS keinen Anspruch auf Vollständigkeit,
will nicht ganzheitlich abbilden, was in der Stadt passiert. Die Briefe
haben im Schnitt nur zwei bis drei Themen, die dafür aber – rechnet man die
Zeichenzahl um – jeweils ganze Zeitungsseiten füllen würden. Kleinteiliges
wie Kurzmeldungen und Veranstaltungstipps kommen vor, allerdings sehr stark
reduziert.
Heimann und seine Kolleg:innen versuchen ihre Themen so aufzubereiten,
dass auch Menschen einen Zugang finden, die nicht schon seit Jahrzehnten
die Lokalberichterstattung verfolgen. Den 60.000 Studierenden
beispielsweise, von denen ein Großteil nur für ein paar Jahre in Münster
ist, wollen sie mit ihrem Journalismus zeigen, dass es lohnt, sich mit dem
Stadtgeschehen zu beschäftigen. Denn selbstverständlich lässt sich auch an
kommunalen Infrastrukturprojekten die Verkehrswende erzählen.
Aktuell streitet Münster über eine geplante Fahrradbrücke namens Flyover,
zu der es widersprüchliche Versionen eines Gutachtens gibt. Die
RUMS-Redaktion taufte die Causa „Flyover-Leaks“ und rekonstruierte für ihre
Leser:innen die Projektgeschichte. Bei Bauvorhaben, die über Jahre vor
sich hin brodeln, tendieren viele Lokalzeitungen dazu, auf dem Wissen ihrer
Abonnent:innen aufzubauen. „Wir versuchen einen Schritt zurückzugehen
und die Debatte von allen Seiten zu beleuchten“, sagt Heimann. Wie sinnvoll
ist diese Fahrradbrücke auf lange Sicht? Löst sie wirklich die bestehenden
Probleme? Oder soll sie bloß ein gewisses Bild erzeugen? Und wie handhaben
es eigentlich andere Städte mit ihren Radwegen?
## Prominente Kolumnist:innen
Auch so eine Freiheit, die es bei vielen Lokalteilen nicht gibt, weil sie
sonst den überregionalen Ressorts in die Quere kommen: „Größere
Zusammenhänge herstellen, nicht immer nur die lokalen Experten und
Expertinnen befragen, sondern mal zeigen, wie zum Beispiel Frankreich oder
Dänemark über autofreie Innenstädte diskutieren.“ Auch die fünf
RUMS-Kolumnist:innen dürfen das Konzept Lokaljournalismus Woche für Woche
neu interpretieren.
Marina Weisband, Klaus Brinkbäumer, Ruprecht Polenz, Michael Jung und Carla
Reemtsma schreiben immer im Wechsel sonntags auf, was sie aktuell
beschäftigt. Bei der Diplom-Psychologin und Ex-Piratin Weisband ist das zum
Beispiel die Situation der Pflegekräfte, der ehemalige US-Korrespondent
Brinkbäumer kommentiert Bidens Pandemiemanagement, Ruprecht Polenz
analysiert Umfragen zur Bundestagswahl, Lehrer Michael Jung ordnet
Münsteraner Bildungspolitik ein und FFF-Aktivistin Reemtsma hat Gedanken
zum Klimaschutzgesetz.
Namhafte Autor:innen und einflussreiche Medienmenschen, die Geld in die
Hand genommen haben – dazu ein außergewöhnliches Informationsbedürfnis der
Menschen durch die Pandemie: RUMS hatte komfortable Startbedingungen. Aber
lässt sich das Konzept auch auf andere Städte und coronafreie Zeiten
übertragen? „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass niemand auf neue lokale
Medien wartet“, sagt Ralf Heimann, der auch als Medienjournalist arbeitet.
Vielen Leser:innen sei erst durch den neuen Newsletter die desolate
Zeitungslage in der Stadt bewusst geworden.
[3][Studien zeigen aber auch, dass die Bereitschaft wächst,] für lokalen,
kritischen und gut recherchierten Journalismus zu bezahlen. Das üppige
Startkapital ermöglichte RUMS, ein halbes Jahr lang ohne Bezahlschranke
unter Beweis zu stellen, dass es Unterstützung verdient. Die Zahl der
RUMS-Abonnent:innen steigt langsam aber kontinuierlich, aktuell liegt
sie bei 1.700. „2.500 bräuchten wir, um das, was wir jetzt gerade leisten,
ohne monatliche Zuschüsse aus dem Startkapital beibehalten zu können“, sagt
Geschäftsführer Marc-Stefan Andres. Bisher ist bis auf drei geringfügig
Beschäftigte noch niemand festangestellt. Auf lange Sicht soll sich das
ändern, aber „gerade sind wir halt noch in dieser Start-up-Phase“.
Sich „diese Start-up-Phase“ leisten zu können, ist ein Privileg. Ralf
Heimann weiß um die bequeme Ausgangssituation, trotzdem bestehe auch bei
RUMS die Gefahr, zwischen ständiger Erreichbarkeit, fundierter Recherche
und Pressekonferenzen hin- und hergerissen zu werden. „Wir müssen uns
zwingen, wegzulassen. Dann bleibt das, was wir machen, gut.“
4 Jun 2021
## LINKS
[1] /Pressevielfalt-in-NRW/!5660705
[2] /Neue-Journalismus-Modelle-im-Netz/!5770147
[3] https://mailchi.mp/f393bf2eeef3/guter-lokaljournalismus-darf-geld-kosten
## AUTOREN
Leonie Gubela
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