# taz.de -- Doku über Migranten in Sizilien: Träger bei der Prozession | |
> Der Dokumentarfilm „A Black Jesus“ zeigt Rassismus gegen afrikanische | |
> Migranten in einer italienischen Kleinstadt – und ist online zu sehen. | |
Bild: Glaube, Liebe, Hoffnung: Szene aus „A Black Jesus“ | |
Lautes Klopfen am Haus einer engen süditalienischen Altstadtstraße. Draußen | |
steht ein bunt kostümiertes Trio, drinnen ein alter Mann: „Lasst uns | |
herein, wir sind arme Fremde, müde von der langen Reise“, heißt es | |
(jedenfalls in den Untertiteln, obwohl das im Original genutzte Wort | |
„pellegrini“ eigentlich Pilger meint). „Hier ist kein Platz für Fremde, … | |
für anständige Leute. […] Schert euch fort!“, kommt als ritualisierte | |
Antwort. | |
Das Prozedere wiederholt sich. Erst beim x-ten Mal entschuldigt sich der | |
alte Mann überschwänglich für seine Härte und den Irrtum und lädt die | |
Pilger (bei denen es sich um die Heilige Familie handelt) zum Essen auf ein | |
Podest unter dem Applaus der umstehenden Passant*innen ein. | |
Die Szene ist Teil des Films „A Black Jesus“, die Akteure sind Laienspieler | |
beim Josefsfest in der Kleinstadt Siculiana bei Agrigent. Hier ist man | |
fromm und patriarchal. Und wie in anderen Städten der Region verspricht ein | |
geheiligtes Kruzifix in der barocken Basilika den Gläubigen ein neues | |
Handy, Gesundheit und ein besseres Leben. | |
## Die Alten bleiben unter sich | |
Vor allem Letzteres haben sie auch nötig, denn die Abwanderung ist groß und | |
die Alten sind in Siculiana unter sich. Nur im Sommer, wenn die | |
Arbeitsmigranten auf Heimatbesuch kommen, sei der Ort noch richtig belebt, | |
erzählt ein alter Mann, der selbst für Jahrzehnte in Köln auf dem Bau | |
gearbeitet hatte. | |
Es kommen auch neue Menschen nach Siculiana: Migranten aus Afrika und Asien | |
auf der gefährlichen Reise über das Meer. Im Film des in Palermo geborenen | |
Luca Lucchesi sind es junge Männer mit dunkler Hautfarbe, die in einem | |
alten Hotelkomplex Bett und Essen bekommen, seelischen Beistand von einer | |
Nonne und einem engagierten Lehrer. Auf den Straßen schüren die Medien und | |
die rechte Lega um Innenminister Matteo Salvini Proteste gegen das | |
Aufnahmezentrum und die Migranten. | |
Doch Lucchesi, dessen Vater aus Siculiana stammte, registriert neben diesem | |
Radau auch die individuellen Stimmen der Einheimischen, deren Vorfahren | |
einst meist selbst hier auf Sizilien gestrandet waren und deren Haltungen | |
nun von Fürsorge bis zur krassen Ablehnung reichen. Für die Älteren steht | |
eine Gruppe von Frauen, die beim gemeinsam Kochen vor der Kamera offen von | |
den ersten Begegnungen mit realen Afrikanern erzählen, die von Angst bis | |
zum Haustür-Plausch reichen. Eine arrangierte Begegnung mit | |
Oberschüler*innen dagegen zeigt auf italienischer Seite vor allem leere | |
Blicke. | |
## Böllern beim Josefsfest | |
Die Afrikaner selbst bewegen sich mit vorsichtiger Neugier durch den Ort | |
und filmen dabei auch die religiösen Gebräuche wie das Josefsfest oder die | |
bewegte, von Böllern und Blaskapelle begleitete Prozession, in der | |
männliche Bewohner des Städtchens eine Statue des Gekreuzigten vom Altar | |
die Kirchenstufen hinab durch den Ort und dann wieder zurück tragen. Das | |
Besondere: Der passionstypisch hagere Mann am Kruzifix hat eine oberste | |
Schicht dunkler Farbe, unter der sich wegen des vielen Streichelns schon | |
das hellfleischige Innenleben abzeichnet. | |
Die Interpretationen dieses „Black Jesus“ sind markant unterschiedlich: | |
Während die Friseurin des Orts die Schwärzung als Symbol sündigen | |
Verhaltens erklärt, entwickeln die jungen Afrikaner aus dem Kontrast | |
zwischen der Verehrung einer zumindest oberflächlich dunkelhäutigen Figur | |
und dem selbst erlebten Rassismus vor Ort ein ganz anderes Narrativ. „Das | |
Komische ist, dass die Einheimischen keine Schwarzen mögen, aber sie lieben | |
diesen schwarzen Jesus. Sie lieben ein schwarzes Stück Holz, aber keine | |
Schwarzen aus Fleisch und Blut. […] Soll mir mal einer erklären“, erläute… | |
einer der Männer am Strand die Sachlage. | |
Für die Filmemacher:Innen ist dieser Konflikt wiederum willkommener | |
Anlass, den Schwarzen Jesus als metaphorisches Motiv und | |
handlungstreibendes Element für ihre Dokumentation aufzugreifen. Denn in | |
Bewegung kommt die Geschichte erst richtig, als drei der jungen Männer – | |
selbst fromme Christen – sich bemühen, einen Herzenswunsch in die Tat | |
umsetzen: einmal als Träger an der Prozession mitzulaufen. Dies gelingt | |
dann im Film erstaunlich konfliktfrei, vielleicht auch, weil Lucchesis | |
Kamera bei einem Besuch der entscheidenden Versammlung gleich nach dem | |
ersten formalen Applaus abblendet. | |
## Prominente Unterstützung | |
So viel Harmonie wäre den Beteiligten gegönnt, hinterlässt aber doch eine | |
merkwürdige Leerstelle im argumentativen Zentrum des von [1][Wim Wenders] | |
produzierten und seiner Nichte [2][Hella Wenders („Berg Fidel“)] | |
mitgeschriebenen Films, der bis dahin hellsichtig und motivisch dicht | |
verknüpft um die Frage möglicher Annäherungen kreist. | |
Zu viel Wohlgefühl verhindert dann aber die Realität mit der unsicheren | |
Zukunft der Protagonisten, die noch zu Drehschluss voll Hoffnung, doch mit | |
wenig Chancen auf ihre Papiere warten. In Zeiten nach [3][„Lovemobil“] | |
sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass auch beim Dreh in Siculiana | |
wohl nicht nur das Josefsspiel – zumindest ein wenig – inszeniert ist. | |
28 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Ehrenbaer-der-Berlinale-fuer-Wim-Wenders/!5020693 | |
[2] /Film-Berg-Fidel-Eine-Schule-fuer-alle/!5084220 | |
[3] /NDR-Doku-Lovemobil/!5757312 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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