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# taz.de -- Film über Rassismus: Täglich Krieg auch in Deutschland
> Rassismus und prekäre Jobs drängen viele Menschen ins Abseits. Im
> Hamburger Film „Un/Sichtbar“ dokumentieren vier von ihnen ihren Kampf ums
> Überleben.
Bild: Vivian träumt vom Studium
Hamburg taz | „Du bis nur für eine Sache gut: Putzen!“, so schätzt Vivian
ihre Position in der deutschen Gesellschaft ein. Sie kommt aus Nigeria und
lebt seit acht Jahren in Hamburg. Sie muss drei Kinder großziehen und macht
jeden Tag in mehreren Jobs die Drecksarbeit, für die sich keine deutschen
Arbeitskräfte finden lassen. Abends von 17.30 bis 21.30 Uhr geht sie noch
zur Abendschule. Ihr Traum ist, Jura zu studieren und Anwältin zu werden.
Vor allem will sie aber gesehen werden, denn sie kann es nur schwer
ertragen, wegen ihrer Hautfarbe und ihrer prekären Lebenssituation im
Schatten zu stehen.
Einen Tag in ihrem Leben, vom Klingeln des Weckers am Morgen bis zum ersten
in Ruhe gegessenen Mahl kurz vor dem Zubettgehen zeigt [1][die
Filmdokumentation „Un/Sichtbar] des Barmbeker Kulturzentrums
„Zinnschmelze“, die am 17. März im Alabama Kino Premiere hatte. Vivian hat
dabei eine kleine Digitalkamera auf sich selbst gerichtet, und so ist ein
großer Teil der Dokumentation in der Ichform gefilmt. Vivian ist dabei eine
von vier Protagonist*innen, denen es so gelingt, aus ihrer Unsichtbarkeit
herauszutreten.
Bei einigen Aufnahmen von Kobina William Paintsil aus Ghana ist zu sehen,
dass er kaum die Augen aufhalten kann – so müde ist er von den vielen Jobs,
zwischen denen er jeden Tag mit seinem Fahrrad durch Hamburg kreuzt. „Ich
bin immer müde“ sagt auch Iklass aus Burkina Faso in einer der
Interviewsequenzen, die etwa ein Drittel des Films ausmachen.
Die 29-jährige Salome aus Georgien gibt dagegen nur in solchen
professionell gefilmten Gesprächen Auskunft. Auch sie hatte eine Kamera,
aber bei ihr gelang das Experiment der filmischen Selbstdarstellungen
nicht. Dies wirkt wie ein Stilbruch, aber es ist vor allem ein Beleg dafür,
wie schwer es ist, solch ein Leben voller Arbeit nicht nur zu bewältigen,
sondern es dann auch noch zu dokumentieren. Avraham Rosenblum, [2][bei der
„Zinnschmelze“ für Diversität, Interkultur und Antirassismus zuständig],
hatte die Idee für dieses Projekt.
Bei der Planung sprach er „auf den Märkten und vor den Behörden“ mit
Hunderten von Betroffenen, von denen viele vom Konzept begeistert waren.
Doch eben weil sie so hart daran arbeiten müssen, sich in Deutschland
durchzuschlagen, hatten fast alle keine Energiereserven mehr, sich auch
noch für solche Filmarbeiten zu engagieren.
Zugesagt hatten schließlich nur sechs Teilnehmer*innen, und auch von
ihnen sprangen noch zwei ab, sodass Vivian, Kobina, Iklass und Salome nicht
die besten, sondern schlicht die einzigen Protagonist*innen des
Projekts blieben. Sie nahmen jeweils mehrere Stunden Filmmaterial auf, doch
bei Salome zeigte sich bei der Sichtung durch das für die Postproduktion
verantwortliche Team der Filminitiative Frame 18, dass sie vor der Kamera
ihre Lebenssituation viel eindrucksvoller und pointierter darstellen konnte
als in ihren eigenen Aufnahmen.
Und es ist wichtig, dass auch sie in dem Film gesehen und gehört wird: Sie
ist als einzige hellhäutig, Europäerin und spricht akzentfrei Deutsch, weil
sie schon als Kind aus Georgien auswanderte. Dennoch macht auch sie
grundsätzlich ähnliche Erfahrungen – etwa wenn sie bei der Wohnungssuche
bei Vermieter*innen nur wegen ihres Namens rassistische Ausgrenzungen
erlebt.
Das schlimmste Wort, das alle vier wie einen auf ihnen lastenden Fluch
aussprechen, ist „Ausländer“. Man kann spüren, wie ausgrenzend und
verletzend es für sie ist, ständig darauf reduziert zu werden. Diese
Verbitterung hat Kobina dazu gebracht, sein Leben als „Krieg“ und sich
selber als „Soldaten“ zu bezeichnen, der nicht weiß, „ob er zurück komm…
wird“.
Salome beschreibt, wie sie „morgens um 4 oder 5 Uhr den Laden zumacht und
nach Hause fährt. Dann sieht man Gesichter, bei denen man denkt, die haben
genauso viel gearbeitet wie ich und das sind zu 90 Prozent Ausländer“.
„Un/Sichtbar“ ist eher ein Dokument als ein Dokumentarfilm. Dennoch ist er
sehenswert, denn er verdeutlicht eindrucksvoll, dass es in Deutschland eine
Schattenarmee von Migrant*innen gibt, die das Land sauber und
funktionstüchtig halten.Und in einem Akt der Selbstbefreiung lässt er
Salome, Kobina, Iklass und Vivian aus ihrem Schatten heraus ins Licht
treten.
20 Mar 2022
## LINKS
[1] http://www.unsichtbardoku.de/
[2] https://zinnschmelze.de/
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Film
Schwerpunkt Rassismus
Landflucht
Afrodeutsche
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