# taz.de -- Antirassistische Webserie „L.S.D.“: Zauberkräfte gegen Herrenm… | |
> In der Serie „L.S.D.“ helfen übernatürliche Wesen diskriminierten | |
> Migrant*innen. Produziert wurde sie von der Hamburger Gruppe New Media | |
> Socialism. | |
Bild: Tief in die Trickkiste gegriffen: Der Auftritt der übernatürlichen Krä… | |
Gegen die Ausländerbehörde kann man nur mit Zauberkräften etwas bewirken. | |
Und auch gegen rassistische Nachbarn helfen den Migrant*innen aus | |
Westafrika nur die Dämonen, die sie aus ihrer Kultur kennen. [1][Dies ist | |
die Prämisse der Mini-Webserie „L.S.D.“], die von der Künstlergruppe New | |
Media Socialism produziert wurde. Seit ein paar Tagen kann man sie [2][auf | |
Youtube sehen.] | |
Der Titel weckt wohl nicht ganz unbeabsichtigt falsche Erwartungen, denn | |
„L.S.D“ steht für „League for Spiritual Defense“, also „Liga für | |
spirituelle Verteidigung“. Ein junger Migrant aus Gambia sucht in der | |
ersten der fünf zwischen zwölf und sechs Minuten langen Folgen eigentlich | |
nur nach einem Weg, seine Geldsorgen loszuwerden. Dabei findet er einen | |
„Digital Dschinn“, den er nicht wie in „Tausendundeine Nacht“ aus einer | |
Flasche, sondern aus einem Handy befreit. | |
Dieser Geist aus dem Netz kann alle digitalen Prozesse manipulieren, und so | |
bekommt der erste Kunde von „L.S.D.“ nicht nur einen positiven Bescheid von | |
der Ausländerbehörde, sondern wegen eines angeblichen Systemfehlers auch | |
eine Nachzahlung von 100.000 Euro. Zu dem Dschinn, der ja eigentlich eher | |
zur Mythologie der arabischen Welt gehört, gesellt sich bald ein | |
westafrikanischer „Doublefaced Demon“, der das „Mindset“ von Menschen | |
beeinflussen kann. | |
Die helfen nun Migrant*innen in Hamburg bei ihren Kämpfen gegen | |
Behördenwillkür und Rassismus. Doch auch die Reaktionäre haben noch | |
Einfluss in der übernatürlichen Welt. [3][Die „Herrenmenschen“ holen unter | |
der Leitung des „Old White Man“ Lothar von Trotha zum Gegenangriff aus]. | |
Dagegen können nur die „Panafrican Ghostbusters“ helfen. Fortsetzung | |
folgt! | |
„Empowertainment“ nennen die Künstler*innen von New Media Socialism ihre | |
Arbeiten, also eine Mischung aus Selbstbemächtigung und Unterhaltung. In | |
ihren Erzählungen werden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. So können | |
Wunschfantasien durchgespielt werden. Bereits in ihrer [4][Webserie „The | |
Justice Project“] wurde bei einem Prozess gegen einen Migranten alles | |
umgedreht, sodass sich Richter und Staatsanwalt auf der Anklagebank | |
wiederfanden und der ursprüngliche Angeklagte über sie richten durfte. | |
„Lebensrealitäten werden ins Fantastische gekippt“ – so beschreibt die | |
Dramaturgin Nadine Jessen diesen Prozess. Sie führt Regie bei den | |
Dreharbeiten, wird aber weder im Abspann noch in den sonstigen | |
Filminformationen genannt. Denn eines der Prinzipien von New Media | |
Socialism besteht darin, dass das Kollektiv gleichberechtigt arbeitet und | |
auftritt. In den Gewerken wie Kamera, Ton, Filmtrick und Montage arbeiten | |
Medienprofis, aber die kreativen Entscheidungen werden von der Gruppe | |
getroffen. Bei „L.S.D.“ bestand sie aus 25 Künstler*innen, von denen die | |
meisten Migrant*innen sind, die in Hamburg leben. | |
In ihren Geschichten geht es vor allem um ihre alltäglichen | |
Schwierigkeiten. In „L.S.D.“ erzählen sie von der Angst vor der allmächtig | |
scheinenden Ausländerbehörde und den rassistischen Ausfällen eines | |
Polizisten. Die Handlung entwickelt das Team, aber es gibt kein Drehbuch | |
mit vorher geschriebenen Dialogen, nur die Szenenfolge und die Richtung der | |
Handlung sind festgelegt, die Darsteller*innen improvisieren ihre | |
Dialoge bei den Dreharbeiten. | |
Die Erzählung ist deshalb nicht so pointiert und dramaturgisch ökonomisch, | |
wie es normalen Sehgewohnheiten entspricht. Eine Folge von „L.S.D.“ beginnt | |
etwa mit einem Telefongespräch zweier Gambier in ihrer Heimatsprache | |
Mandinka – ohne Untertitel. | |
Aber langweilig wird es nie. Für die Auftritte der fantastischen Wesen wird | |
tief in die digitale Trickkiste gegriffen. Für den Vorspann wurde extra | |
eine poppige Hymne komponiert. Die Darsteller*innen sind offensichtlich | |
Laien, aber gerade dadurch wirken sie authentisch, auch wenn sie oft extrem | |
übertrieben spielen. Die weißen alten Männer sind dagegen Karikaturen und | |
der Antisuperheld Lothar von Trotha trägt sogar einen kleinen, angeklebten | |
Papierschnurrbart. | |
## Völkermörder-Auftritt als Cliffhanger | |
Von Trotha ist eine historische Figur: 1904 gab der preußische General den | |
Befehl zum Völkermord an den Herero und Nama in Namibia. In „L.S.D.“ hat er | |
nur einen kurzen Auftritt in der letzten Folge – die mit einem großen | |
Cliffhanger endet. Denn „L.S.D.“ erzählt nur die Vorgeschichte zu der viel | |
aufwendiger geplanten Webserie „Tansania Zombie Park“, die New Media | |
Socialism im kommenden Herbst produzieren will. | |
Darin soll es schließlich zum Kampf kommen zwischen den reaktionären und | |
den antirassistischen Geisterteams, den „Herrenmenschen“ und den | |
„Panafrican Ghostbusters“. Gedreht wird zum Teil im Hamburger | |
„Tansania-Park“, einer berüchtigten Denkmalanlage in Hamburg-Jenfeld, auf | |
der Ehrenmale und Skulpturen aus der deutschen Kolonialgeschichte | |
aufgestellt wurden. Die aber wurden nach internationalen Protesten gar | |
nicht eröffnet – und öffentlich zugänglich ist die Anlage nicht. | |
Die Hamburger Kulturbehörde, die New Media Socialism auch fördert, hat dem | |
Projekt dort aber eine Drehgenehmigung erteilt. Nadine Jessen hat zwar in | |
einem Telefoninterview versichert, dass sie keines der Artefakte | |
„zerstören“ werden, einen spannenden „Live-Showdown“ verspricht sie | |
trotzdem. Kommt es dann etwa in Hamburg zu einer antirassistischen, | |
sozialistischen Revolution? Fortsetzung folgt. | |
6 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kampnagel.de/de/programm/02-new-media-socialism-league-for-spir… | |
[2] https://www.youtube.com/c/NewMediaSocialism/videos | |
[3] /!808930/ | |
[4] /Kampnagel-Webserie-The-Justice-Project/!5752663 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Deutscher Kolonialismus | |
Hamburg | |
Serie | |
Fantasy | |
Hamburg | |
Festival | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hamburger Festival „48h Jenfeld“: Von und für die Menschen vor Ort | |
„48h Jenfeld“ bringt die Musik eines stigmatisierten Hamburger Stadtteils | |
und versucht, den Bewohner:innen ein Stück Lebensqualität | |
zurückzugeben. | |
Sommerfestival Kampnagel-Theater Hamburg: Magischer Mosquito | |
Beim Sommerfestival des Kampnageltheaters Hamburg wird eine vom kanadischen | |
Kid Koala konzipierte Graphic-Novel als Puppenspiel inszeniert. | |
Film über Rassismus: Täglich Krieg auch in Deutschland | |
Rassismus und prekäre Jobs drängen viele Menschen ins Abseits. Im Hamburger | |
Film „Un/Sichtbar“ dokumentieren vier von ihnen ihren Kampf ums Überleben. | |
Distanzierung wegen Brechmitteleinsätzen: Püschel nicht mehr willkommen | |
Die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel distanziert sich von einer Lesung des | |
Rechtsmediziners Klaus Püschel. Der schade dem Antirassismus des Hauses. | |
Kampnagel-Webserie „The Justice Project“: Rassismus auf der Anklagebank | |
Vorwürfe mal in die andere Richtung: In der Kampnagel-Webserie „The Justice | |
Project“ halten schwarze Geflüchtete über weiße Richter Gericht. |