# taz.de -- Dragqueen in Tunesien: Mit Stereotypen aufräumen | |
> Khookha McQueer ist Tunesiens bekannteste Dragqueen. Kommt es in der | |
> dortigen LGBT-Szene zu Spannungen, ist die 34-Jährige zur Stelle. | |
Bild: Vermittelt zwischen scheinbar inkompatiblen Welten: die tunesische Draque… | |
TUNIS taz | Wer anders ist, muss in Tunesien lernen, mit strafenden Blicken | |
und Kommentaren auf der Straße umzugehen. Die Strategie von Khookha McQueer | |
ist freundliche Ignoranz. Als die 34-Jährige das Café betritt, in dem wir | |
verabredet sind, richten sich die Blicke der anderen Gäste abwechselnd auf | |
die Tätowierungen auf ihrem kahl rasierten Kopf und den femininen Gang. | |
Ihre Mütze nimmt Tunesiens bekannteste Dragqueen in der Öffentlichkeit nur | |
selten ab, denn Tattoos sind für religiös Konservative eine Provokation. | |
Doch hier in Gammarth, einem Vorort der Hauptstadt Tunis, mit seinen | |
kilometerlangen Stränden und Bars sind [1][viele junge Tunesier auf der | |
Suche nach neuen Identitäten]. Khookha kennen sie von Instagram, wo sie | |
zwischen femininen und maskulinen Rollen wechselt. „Meine Botschaft ist, | |
dass auch in Tunesien jedes Lebensmodell respektiert werden kann“, sagt sie | |
und streicht sich durch den Vollbart, der an die Zeit erinnert, als Khookha | |
noch Khalil hieß. | |
Als bärtige Dragqueen will sie auch mit den Stereotypen der Queerszene | |
aufräumen. „Ich versuche, den Gebrauch von diffamierenden Worten im | |
Arabischen öffentlich zu hinterfragen.“ In ihren Workshops vermittelt die | |
in dem Vorort Ariana geborene Tunesierin zwischen scheinbar inkompatiblen | |
Welten. | |
Das macht sie eigentlich schon seit ihrer Kindheit. Ihre Mutter wurde von | |
den TV-Sendern der Golfstaaten radikalisiert. Ihre Schwester trägt Niqab | |
und denunzierte sie bei den Brüdern als schwul, ein Cousin schloss sich dem | |
Islamischen Staat in Syrien an. „Khookha ist kein Künstlername, sondern | |
meine neue Identität, die mir erlaubt, die Gewalt der Vergangenheit hinter | |
mir zu lassen.“ | |
## Dragqueen-Shows gab es nur in Touristenhotels | |
Der erste Befreiungsschlag war ihr Coming-out als Homosexueller während des | |
Grafik-Design-Studiums. Dragqueen-Shows gab es in Tunesien schon Mitte der | |
90er Jahre, doch nur in für Tunesier verbotenen Hotels. [2][Nach der | |
Revolution von 2011 nahmen Islamisten die aufblühende Aktivistenszene und | |
Kreative ins Visier.] In den Hafenstädten Sousse und Tunis wurden Bordelle | |
und Treffpunkte der Schwulenszene gestürmt. | |
Khookhas zweites Coming-out, diesmal als non-binäre Dragqueen-Aktivist*in, | |
war die Antwort auf die Forderung von schwulen Aktivisten nach mehr | |
Männlichkeit in der LGBT-Szene, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. | |
„Wenn ihr meint, dass wir Transsexuellen und femininen Schwulen faule Äpfel | |
sind, dann sage ich: Ich bin einer!“, rief sie mitten bei einem Treffen. | |
Seitdem wird Khookha McQueer immer dann gerufen, wenn es zwischen den | |
Szenen Spannungen gibt. | |
Mehrere Dragqueens wurden wegen Störung der öffentlichen Ordnung zu | |
mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Khookha McQueer macht dennoch | |
weiter. Ein Leben im sicheren Exil in Berlin oder in Paris will sie nicht. | |
„Viele LGBTQ*-Aktivisten aus der Provinz schreiben mir, dass sie durch | |
meine Arbeit Hoffnung auf Wandel geschöpft habe. Zu gehen, wäre für mich | |
wie ein Verrat an ihnen.“ | |
26 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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