# taz.de -- Erotik in Computerspielen: Sex als Belohnung | |
> Sex in Games sieht oft unbeholfen aus, sofern er überhaupt gezeigt wird. | |
> Dabei würde das interaktive Medium jede Menge Potenzial bieten. | |
Bild: Progressiv und grafisch überzeugend: Sex im Videospiel „The Last of Us… | |
Der Sex beginnt mit einer Abblende. Der Bildschirm wird kurz schwarz, dann | |
sehen die Spieler*innen ihre Hand ungelenk unter dem Shirt einer Frau. | |
Nächste Abblende: Die Hand liegt nun auf dem freigelegten BH. Noch eine: In | |
Ego-Perspektive steigen die Spieler*innen auf die Frau, hören Stöhnen, | |
das lustvoll klingen soll. Nachdem der Bildschirm ein letztes Mal schwarz | |
wird, sinkt die Frau erschöpft zu Boden. Die Spieler*innen hinterlässt | |
das Ganze eher peinlich berührt. | |
So wie hier in „Terminator: Resistance“ sieht Sex leider [1][in vielen | |
Blockbuster-Videospielen] aus. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, diesen | |
so wichtigen Teil menschlicher Interaktion spielbar zu machen – | |
vorausgesetzt, die großen Studios nähmen ihr eigenes Medium ernst. | |
Um zu einer Sexszene wie in „Terminator: Resistance“ zu kommen, müssen die | |
Spieler*innen ein paar Aufgaben erledigen. Sie müssen die richtigen | |
Antworten oder Fragen in einem Dialogsystem auswählen, dann gibt es | |
Geschlechtsverkehr. So läuft es in vielen Spielen: „Assassin’s Creed: | |
Valhalla“, [2][„Cyberpunk 2077“] oder die „Mass Effect“-Reihe, die ge… | |
erst neu aufgelegt wurde und zu den ersten Spielen gehörte, die Sex zu | |
einem bedeutenden Teil des Geschehens machten. | |
In diesen Spielen findet Sex jenseits von festen | |
Geschlechterkonstellationen statt. Die Spieler*innen können sowohl | |
wählen, ob sie einen Mann oder eine Frau steuern wollen, als auch, wem sie | |
Avancen machen. | |
## Antworten, die zum Sex führen | |
Dann gilt es, Dialogboxen anzuwählen und sich vom Computer gesteuerten | |
Figuren zu nähern. Vielleicht ein Kompliment machen, oder sie auf einer | |
Mission unterstützen. In vielen Fällen setzt das Spiel freundlicherweise | |
neben die Antworten, die zum Sex führen, ein kleines Herzchensymbol oder | |
einen Kussmund. Geschlechtsverkehr ist in diesen Spielen ein Preis für | |
Leistung. Haben die Spieler*innen alles richtig gemacht, werden sie mit | |
Sex belohnt – ein Fenster ploppt auf und zeigt: Trophäe erhalten, Sex | |
freigeschaltet. | |
Die Szenen selbst sind dabei ähnlich unbeholfen inszeniert wie die eingangs | |
beschriebene in „Terminator: Resistance“. Es reiben sich polygonale Figuren | |
aneinander, krude modellierte Arme schlingen sich um Körper – bis die | |
erlösende Abblende kommt. | |
## Technik keine Hürde mehr | |
Man muss wissen, dass Videospiele für viele Menschen inzwischen das erste | |
erzählende Medium sind. 58 Prozent der Deutschen spielen Videospiele. In | |
den USA macht die Games-Branche mehr Geld als Filme und Sport zusammen aus. | |
Games prägen ein Verständnis davon, was eine Erzählung sein kann, wie | |
Interaktion funktioniert. Zu lange wurde dabei die technische über die | |
erzählerische Innovation gestellt. Inzwischen ist es zumindest nicht mehr | |
die Technik, die die Darstellung von Sex beschränkt. Früher mag es die | |
Modellierung der Figuren gewesen sein, die Probleme machte. Diese Hürde ist | |
mittlerweile beseitigt. | |
Ein Grund, wieso das Spiel [3][„The Last of Us 2“] vielerorts als ein | |
Videospiel-Meisterwerk beschrieben wurde, ist, dass die Figuren in | |
beeindruckender Grafik Sex haben – und zwar kein Blümchensex, sondern Sex, | |
der von Verlangen, Begehren, Verzweiflung und ein wenig von Hass getrieben | |
ist. Sex, der Brüste nicht verdeckt und in dem eine Protagonistin sich von | |
hinten nehmen lässt. Eine plastischere und unmittelbarere Darstellung von | |
Sex, als sie sonst in Blockbuster-Games – oder überhaupt in Medien – | |
stattfindet. | |
Doch Sex in Videospielen findet eigentlich immer außerhalb der | |
Spielmechaniken statt, so auch in „The Last of Us 2“. Der Begriff | |
„Spielmechanik“ meint dabei den Teil eines Games, in dem Spieler*innen | |
etwas tun können: schießen, sich heilen oder auf einen Berg klettern. Geht | |
es im Plot aber um Gefühle, um die Auseinandersetzung mit Gewalt, um die | |
Folgen von Entscheidungen, dann wird das meistens in Zwischensequenzen | |
verhandelt, in der die Spieler*innen keine Handlungsmacht mehr haben. | |
Sie wohnen dem passiv bei, was sich vor ihnen abspielt. | |
Beim Sex wird das besonders deutlich: Der Sex verändert nichts. Er löst | |
nichts aus. Das Dialoggeklicke vorher ist der Auslöser für den Sex. Und | |
wenn er dann passiert, ist dieser Erzählstrang auserzählt. Sex ist eine | |
Sackgasse. | |
## Wenig Zutrauen ins Medium | |
Freilich ist die Darstellung von Sex in den genannten Games dennoch ein | |
Fortschritt im Vergleich zu einer Zeit, als Sex in Games gleichbedeutend | |
war mit der Sexualisierung weiblicher Körper. Der Blick von Frauen auf Sex | |
oder auch queeres Begehren hatte in Videospielen lange keinen Raum. Das ist | |
heute anders. In „The Last of Us 2“ etwa gibt es eine Liebesbeziehung | |
zwischen zwei Frauen, auch sie haben Sex. Allerdings endet auch ihr Sex | |
direkt nach den Küssen in einer Abblende. | |
Die Aufzählung hier beschränkt sich bewusst auf die Games, die von großen | |
Studios hergestellt werden. Blockbusterspiele, die ein Millionenbudget | |
haben, mit modernster Technik entwickelt werden, echte Menschen | |
digitalisieren und Bewegungen dadurch möglichst realistisch machen wollen. | |
Spiele, die in vielen Fällen aber auf dieser grafischen Oberfläche bleiben, | |
wenn komplexe Themen verhandelt werden. Man mag den Eindruck bekommen, dass | |
diese Studios und die Publisher dahinter ihre Spieler eben doch als | |
Produkt betrachten und nicht als Werk. Dem Medium mit seinem Publikum | |
vielleicht nicht zutrauen, auch Sex spielen zu können. | |
## In Indiespielen wird Sex verhandelt | |
Dabei böte gerade das interaktivste aller Medien neue Möglichkeiten, Sex zu | |
verhandeln. Ihn nicht nur zu zeigen, die Spieler*innen dabei in die | |
Passivität zu verdammen, sondern ihn zu einem Raum für Experimente zu | |
machen. Ein Ausprobieren, das von Spielmechaniken ermöglicht wird. | |
In Indie-(Sex-)Spielen, oft unbeachtet von einer größeren Öffentlichkeit, | |
existiert diese Auseinandersetzung schon. In [4][„Rinse and Repeat“ (2015)] | |
ist es die Aufgabe der Spieler*innen, einem Mann unter der Dusche sanft | |
den Körper einzuseifen. In „One Night Stand“ (2016) wachen die | |
Spieler*innen in einer fremden Wohnung auf und müssen herausfinden, mit | |
wem sie da eigentlich Sex hatten. | |
Nach all den technischen Errungenschaften der Blockbuster-Videospiele ist | |
es an der Zeit, Narrationen und Mechaniken zu finden, um Sex aus der | |
Leerstelle zu holen. Die Abblende verbannt Spieler*innen in die | |
Passivität. Und so schön eine passive Rolle auch sein kann: Sie | |
funktioniert nur, wenn sie selbstgewählt ist. | |
23 May 2021 | |
## LINKS | |
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[4] https://radiatoryang.itch.io/rinseandrepeat | |
## AUTOREN | |
Matthias Kreienbrink | |
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