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# taz.de -- 100 Tage US-Präsident Joe Biden: „Wir“ statt „ich“
> Am Vorabend seines 100. Tags im Amt hat US-Präsident Biden vor beiden
> Kammern des Kongresses gesprochen. Es war eine besonnene und progressive
> Rede.
Bild: Joe Biden im Kongress: Progressiv und mit zwei Frauen im Präsidium
New York taz | Nach dem Gepoltere und den Beleidigungen kommt das
Geflüster. Als Joe Biden am Abend seines 99. Tages als Präsident am
Mittwoch erstmals vor beiden Kammern des Kongress spricht, muss frau genau
hinhören, um seiner mit präzisen Politikvorschlägen gespickten Rede zu
folgen. Er spricht in einem leisen, und oft beschwörenden Ton.
Statt [1][in der ersten Person zu prahlen], benutzt er das „wir“, das sein
Publikum einbezieht. Und statt die Opposition zu attackieren, umarmt er die
RepublikanerInnen mit Worten, dankt ihnen für ihre punktuelle Unterstützung
zu dem Gesetz gegen anti-asiatischen Hass und fordert sie zu mehr
Zusammenarbeit auf.
Während der etwas über [2][einstündigen Rede] sieht das große Publikum
erstmals wieder den Raum, in den am 6. Januar die Kapitolsstürmer mit
Trump- und Konföderierten-Fahnen eingebrochen waren und gewählte
PolitikerInnen beider Kammern in die Flucht getrieben hatten. Biden nimmt
in seiner Rede mehrfach Bezug auf das [3][Ereignis]. Nennt es den
„schwersten Angriff auf die Demokratie seit dem Bürgerkrieg“. Denkt laut
darüber nach, ob das System seines Landes standhalten wird. Und spricht
immer wieder über „Autokraten“.
Der Name seines Amtsvorgängers kommt nicht über seine Lippen. Der einzige
Staatschef, der bei ihm namentlich vorkommt, ist Xi Jinping. Mindestens
drei Mal spricht Biden von Xi und dem Kräftemessen mit China. Gegenüber
dieser wichtigsten Beziehung verblassen alle anderen Länder.
## Radikale Wende zum Amtsvorgänger
Es ist eine [4][ruhige und souveräne Rede]. Mit seinem Ton versucht Biden
alle Seiten des parlamentarischen Spektrums anzusprechen. Mehrfach
appelliert er direkt an die RepublikanerInnen, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Aber zugleich benutzt er Worte, die direkt aus einem Wahlkampfauftritt des
demokratischen Sozialisten [5][Bernie Sanders] zu kommen scheinen.
Biden befasst sich mit den Milliardären, deren Vermögen während der
Pandemie rasant gewachsen sind. Er schilt Steuerbetrug und die Verlagerung
von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer. Und er verlangt
Verantwortungsbewusstsein und Gleichbehandlung. „Das Trickle Down“, so der
Präsident, „hat noch nie funktioniert. Es ist an der Zeit, die Wirtschaft
von der Mitte heraus wieder aufzubauen“. Das ist eine radikale Kehrtwende
zu seinem Amtsvorgänger.
Zu den großen Erfolgen seiner Anfänge zählt Biden die [6][Covid]-Impfungen.
Unter seiner Ägide sind die tödlichen Covid-Verläufe bei Senioren um 80
Prozent zurück gegangen und sind bereits mehr als 220 Millionen Menschen
geimpft worden. Inzwischen hat jede Person über 16 Jahren Anspruch auf eine
Impfstoff. Die Kampagne, die das möglich gemacht hat, nennt Biden „einen
der größten logistischen Erfolge“ in den USA.
Stolz verweist er auch auf das gegen die RepublikanerInnen zustande
gekommene Konjunkturpaket, das 1,9 Billionen US-Dollar an Menschen und
Betriebe verteilen wird, die in der Pandemie ökonomische Härten erleben.
## Gleichheit als „amerikanische Idee“
Dann beschreibt er seine nächsten Projekte: ein gigantisches
[7][Infrastrukturprogramm], die Anhebung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar,
die Einführung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Ende von
Rassismus bei Polizei und in der Strafjustiz, eine neue
Einwanderungspolitik, die Ausweitung der Krankenversicherung, sowie massive
Investitionen in Kinderbetreuung, in Schulen und Vorschulen. Letzteres
gehört für Biden zu der notwendigen Modernisierung seines Landes dazu und
zu der Wappnung für den Wettkampf mit China.
Nach mehr als vier Jahrzehnten, in denen sowohl Republikaner als auch der
Demokrat Bill Clinton auf „big government“ eingedroschen und die
öffentlichen Ausgaben – außer für das Militär und die anderen bewaffneten
„Dienste“ – reduziert haben, dreht Biden die Einschätzung um. Er ist der
erste Mann im Weißen Haus, der eine positive Rolle in der Regierung sieht
und sie öffentlich beschreibt. Der erste nach langer Zeit, der die
Regierung nicht als Gegnerin, sondern als Instanz beschreibt, die dabei
helfen kann, die „amerikanische Idee“ zu verwirklichen. Laut Biden ist
diese „amerikanische Idee“ die Gleichheit.
Biden und die DemokratInnen glauben, dass die Pandemie für ein Umdenken bei
vielen US-BürgerInnen gesorgt hat. Und dass sie der Regierung größere
Aufgaben zugestehen, als zuvor.
Statt der üblichen 1.600 ZuhörerInnen, die sonst zu der jährlichen
Ansprache des Präsidenten im Kongress kommen, sitzen am Mittwoch wegen der
Pandemie nur 200 weit verstreut im Raum. Hinter dem Präsidenten sitzen – in
den Personen von Vizepräsidentin [8][Kamala Harris] und Sprecherin Nancy
Pelosi – erstmals in der US-Geschichte zwei Frauen.
[9][Senator Tim Scott antwortet Biden] für die Opposition. „Biden scheint
ein guter Mensch zu sein“, sagt Scott. Aber die ausgestreckte Hand des
Präsidenten nimmt er nicht an. Scott ist der einzige schwarze Senator der
RepublikanerInnen. Bidens Politikvorschläge sind für ihn „big government“,
und „eine Geldverschwendung“. Getreu einer republikanischen Doktrin, die in
den zurückliegenden vier Jahren noch stärker geworden ist, betrachtet Scott
höhere Steuern für UnternehmerInnen als riskant. Seine Logik: sie würden
Arbeitsplätze in den USA vernichten.
29 Apr 2021
## LINKS
[1] /Trump-vor-dem-US-Kongress/!5662033
[2] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2021/04/28/remark…
[3] /Rechter-Sturm-auf-US-Kongress/!5738355
[4] https://www.youtube.com/watch?v=dggKaPXt0gI&ab_channel=CNBCTelevision
[5] /Vorwahlen-in-den-USA/!5663961
[6] /Pandemie-in-den-Vereinigten-Staaten/!5753661
[7] /Investitionen-in-den-USA/!5763890
[8] /Naechste-US-Vizepraesidentin-Kamala-Harris/!5724046
[9] https://www.youtube.com/watch?v=RzOfR5Rp5bc&ab_channel=CNBCTelevision
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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