# taz.de -- Perspektive für Marzahn-Hellersdorf: Und den Menschen zugewandt | |
> In Marzahn-Hellersdorf kandidiert die Linke Juliane Witt bei den Wahlen | |
> im Herbst für das Amt als Bezirksbürgermeisterin. Ein Porträt. | |
Bild: Will Bürgermeisterin werden: Juliane Witt (Linke), hier vor dem Gedenkor… | |
Berlin taz | Leuchtturmwärterin, das wäre etwas, was sich Juliane Witt auch | |
hätte vorstellen können. „Da könnte ich Menschen Orientierung geben.“ | |
Orientierung geben und etwas bewegen will sie auch in dem Beruf, auf den | |
sich die 58-Jährige gerade bewirbt: Sie [1][kandidiert am 26. September] | |
für die Linke als Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf. Die | |
Nominierung der bisherigen Kulturstadträtin war parteiintern unumstritten, | |
und es wäre ein Wunder, wenn Witt in der Hochburg der Linken nicht | |
Bürgermeisterin werden würde. | |
Juliane Witt hat einen ganz anderen Stil als die von manchen etwas dröge | |
empfundene Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle, ebenfalls Linke. Pohle geht | |
nach den Wahlen am 26. September in den Ruhestand. Von ihr konnte man in | |
der Vergangenheit den Eindruck gewinnen, sie [2][rede Probleme im Bezirk | |
gerne klein], weil sich Bürger des Bezirks durch Medienberichte über Armut | |
und eintönige Architektur diskriminiert fühlen könnten. | |
„Das ist nicht mein Thema“, sagt Witt dazu. Auf ihrer Facebook-Seite macht | |
Witt aus ihrem Privatleben kein Geheimnis. Wenn sie dort von ihren | |
Fahrradausflügen am Wochenende erzählt und die Natur beschreibt, hat man | |
den Eindruck, an Witt ist eine Schriftstellerin verloren gegangen. Aber | |
Ambitionen einen Roman zu schreiben, hätte sie nicht, sagt Witt der taz. | |
In die Politik ist die studierte Kulturwissenschaftlerin mehr oder weniger | |
hineingeschlittert. In der DDR war sie an einer Hochschule tätig. Nach der | |
Wende arbeitete sie in Kinder- und Jugendprojekten in Berlin und war | |
nebenbei Bezirksverordnete im Prenzlauer Berg, wo sie damals wohnte. Nicht | |
für die PDS, sondern für Bündnis90. | |
Die Bündnis-Mitgliedschaft legte sie ab, als der damalige | |
Jugendstaatssekretär Frank Ebel von der SPD sie 2000 fragte, ob sie nicht | |
seine persönliche Referentin werden wolle. Als persönliche Referentin hatte | |
sie dann verschiedene Jobs im Senat und landete schließlich bei dem | |
damaligen Wirtschaftssenator Harald Wolf von der Linken, für den sie bis | |
2011 arbeitete. Während dieser Zeit trat Witt auch in die Linkspartei ein | |
und zog nach Biesdorf im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Mit ihrer | |
Verwaltungserfahrung und ihrer offenen, den Bürgern zugewandten Art brachte | |
sie die Voraussetzungen dafür mit, dass ihre Partei sie 2011 in | |
Marzahn-Hellersdorf zur Kulturstadträtin machte. | |
## Am Stadtrand | |
Mit der taz, deren regelmäßige Leserin sie sei, wie sie sagt, verabredet | |
sich Juliane Witt am Otto-Rosenberg-Platz. Gedenkstelen erinnern an das | |
Zwangslager für Berlins Sinti und Roma, das hier ab 1936 stand, als Berlin | |
für die Olympischen Spiele „zigeunerfrei“ gemacht werden sollte. Wäre das | |
Wetter besser gewesen, hätte Witt einen Bistrotisch und eine Kaffeekanne | |
mitgebracht, um mit der taz im Freien zu sprechen. | |
So dreht sie mit dem Besuch eine Runde, bevor sie in das Stadtteilzentrum | |
geht: Vor einem Obdachlosenheim neben dem Gedenkort legen Männer und Frauen | |
gerade Hochbeete an. Die GärtnerInnen kennen sie, sie sind überrascht von | |
ihrem Besuch. Witt ist mit dem Fortschritt der Arbeiten zufrieden und lobt | |
die GärtnerInnen: „Man muss auch mal unangekündigt nach dem Rechten | |
schauen“, sagt sie. | |
Es ist ein etwas vergessener Ort, direkt am S-Bahnhof | |
Raoul-Wallenberg-Straße, den außerhalb des Bezirks kaum jemand kennt. | |
Eingepfercht zwischen S-Bahntrassen und einem riesigen Friedhof haben hier | |
der [3][Mitmachzirkus Cabuwazi] sowie Obdachlosen- und Flüchtlingsheime | |
einen Ort. „Die Bahn hält es nicht für nötig, für diese Menschen einen | |
barrierefreien Zugang zu schaffen“, klagt Witt. Trotz Umbauten und | |
Mahnungen des Bezirks nicht. | |
Aber als Stadtrandbezirk hätte es Marzahn-Hellersdorf viel schwerer als die | |
Innenstadtbezirke, mediale Aufmerksamkeit für solche Mängel zu bekommen, | |
erklärt sie. „Das ist bei fast allen Themen so. Berichten Zeitungen | |
beispielsweise über die Digitalisierung der Bibliotheken, dann fahren sie | |
in eine Innenstadtbibliothek statt zu uns. Der Weg ist für die | |
JournalistInnen dann kürzer.“ | |
Als sie Kulturstadträtin in Marzahn-Hellersdorf wurde, „da habe ich | |
gemerkt, dass wir einen viel größeren Aufwand brauchen, um unsere Projekte | |
in die Öffentlichkeit zu bringen als ein Innenstadtbezirk“. Dass die Gärten | |
der Welt durch die Internationale Gartenausstellung berlinweit endlich | |
bekannt sind, sei so einer der wenigen Erfolge. | |
Wenn man Witt reden hört, wie sie den Außenblick auf den Bezirk und die | |
Sicht der BewohnerInnen gegenüberstellt, dann meint man, hier spreche eine | |
Politologin und nicht eine Politikerin, die im Wahlkampf steht. „Viele | |
Menschen, die hierherziehen, schätzen die Ruhe, das Grün und die niedrigen | |
Mieten. Sie wollen nicht den Mauerpark kopieren.“ | |
Doch genau so etwas geschehe derzeit unausweichlich: Marzahn-Hellersdorf | |
gehört zu den Bezirken, in denen am meisten gebaut wird. „Sicher auch, weil | |
unser Bauamt so gut ist, aber vor allem, weil wir die Freiflächen haben“, | |
sagt die Politikerin. Aber wenn auf einer Freifläche, auf der die Anwohner | |
vor Kurzem noch Schafen beim Weiden zusehen konnten, nun Fünfgeschosser | |
gebaut würden, wenn Kitas und Schulen übervoll seien, wie auch die | |
S-Bahnen, wenn Parkplätze fehlten: „Dann verlieren die alteingesessenen | |
Bewohner ihre gewohnte Lebensqualität“, sagt Witt. | |
## Urbanisierung als Herausforderung | |
Diese „Urbanisierung“ des Stadtrands sei die große Herausforderung für die | |
Bezirkspolitik in den kommenden Jahren, glaubt die Linken-Politikerin. „Es | |
gibt Tendenzen, dass die Ressentiments gegen Fremde, die sich ab 2013 gegen | |
Flüchtlinge zeigten, nunmehr Menschen treffen, die aus Cottbus oder | |
Mannheim hierher ziehen.“ | |
Wie macht man Wahlkampf unter Coronabedingungen? Neben digitalen | |
Veranstaltungen plant Witt, an ihrem Bistrotisch, an dem sie auch mit der | |
taz hatte sprechen wollen, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. „Diese | |
Gespräche sind auch ohne Wahlkampf wichtig. Aber im Coronajahr, in dem | |
zeitgleich der Bundestag gewählt wird, kommt es für die Leute hauptsächlich | |
darauf an, wie unsere Bundespolitiker so im abendlichen Fernsehen | |
auftreten.“ | |
[4][Wichtigster Gegner der Linken im Bezirk ist die AfD], die die laut | |
Wahlprognosen knapp vor der Linken stärkste Partei ist. „Wir haben nicht | |
nur inhaltlich die größten Differenzen, sondern auch im Stil, was | |
Ernsthaftigkeit und Verantwortung betrifft,“ sagt Witt. | |
Da es in Zukunft sechs statt fünf Stadträte gibt, werden die | |
Rechtspopulisten in dem Ostbezirk sehr wahrscheinlich nach den Wahlen zwei | |
Stadträte stellen – statt bisher einen. Ein Gedanke, der nicht nur | |
antirassistischen Projekten, sondern auch Frauenprojekten, KünstlerInnen | |
und Firmen Angst mache, sagt die Linke Witt. | |
19 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Im-September-ein-Superwahltag-in-Berlin/!5749914 | |
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[3] /Streit-ums-Tempelhofer-Feld-in-Berlin/!5605155 | |
[4] /AfDler-teilte-Mordaufruf-gegen-Kanzlerin/!5770038 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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