Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Steuervermeidung von Großkonzernen: Das Milliarden-Versagen
> Weltkonzerne wie Amazon zahlen in Europa kaum Steuern. Brüssel will das
> ändern. Aber nach Berlin stellt sich auch Paris quer.
Bild: Zieht Großkonzerne magisch an: Schaf im Steuerparadies Irland
Amazon demonstriert Europas Schwäche ganz cool. Als der amerikanische
Techriese kürzlich die [1][Jahresbilanz 2020 seiner Luxemburger
Dachgesellschaft] für das Europa-Geschäft vorlegte, fand sich dort ein
verblüffender Eintrag: Unter „Steuern“ waren Einnahmen gebucht, keine
Ausgaben. Zwar trieb die Pandemie die Umsätze des Konzerns in Europa von 31
auf 42 Milliarden Euro hoch. Doch im Rechenwerk für die Steuerbehörde ging
das Umsatzplus von 30 Prozent mit einem Verlust von mehr als einer
Milliarde Euro einher. Prompt schrieb das Luxemburger Finanzamt dem
Unternehmen 56 Millionen Euro an Gewinnsteuern gut, und der Fiskus ging
EU-weit leer aus.
So geht das seit Jahren. Insgesamt sicherte sich die Luxemburger „Amazon EU
S.a.r.l“, wo der Konzern die Geschäfte von Italien bis Schweden bündelt,
schon mehr als eine Milliarde Euro Steuergutschrift. Bringt also Europa dem
weltgrößten Onlinehändler nur Verluste ein? „Natürlich nicht, die Gewinne
werden nur anderswohin verschoben, wo weniger oder gar keine Steuern
erhoben werden“, sagt Christoph Trautvetter, Finanzexperte beim deutschen
Zweig des [2][Tax Justice Network].
Zum Beleg verweist er auf eine weitere Zeile in der Bilanz. „Andere externe
Ausgaben“ schlagen sich dort mit 12,4 Milliarden Euro nieder, bezahlt für
„Dienstleistungen durch verbundene Unternehmen.“ Doch wofür und wohin genau
die Milliarden fließen, darüber gibt Amazon keine Auskunft. So nutze der
Konzern steuerfrei Europas staatliche Infrastruktur, „und die Bürger
erfahren nicht einmal, wo die Gewinne versteckt werden, die auf ihre Kosten
entstehen“, empört sich Trautvetter. „Da versagen die EU-Regierungen
kläglich.“
Dieses Versagen hat System. Das dokumentiert das Schicksal einer geplanten
Reform des EU-Bilanzrechts, die eigentlich Licht ins Dunkel der
Steuerflucht der internationalen Konzerne bringen sollte. Diese droht zu
scheitern, weil die Regierungen von Frankreich und Deutschland Hand in Hand
mit der Konzernlobby das Projekt sabotieren, ergaben Recherchen des
Journalistenteams [3][Investigate Europe] und des französischen Magazins
Contexte.
## Altmaier sperrt sich
Ausgangspunkt der Misere ist das Steuerdilemma der EU. Wie Amazon buchen
Hunderte der in Europa tätigen Konzerne ihre Gewinne dort, wo die
Steuersätze besonders niedrig sind, wie in Irland oder den Bermudas. Dabei
erzielen sie die zugehörigen Umsätze woanders. Das kostet die Staatskassen
der EU-Länder nach Schätzung der EU-Kommission bis zu 70 Milliarden Euro im
Jahr, fast die Hälfte des jährlichen EU-Budgets.
Die Steuervermeidung ist meist legal, weil sich die Staaten im Wettbewerb
um Investitionen gegenseitig unterbieten. Zugleich halten die
EU-Regierungen eisern an ihrer Steuerhoheit als Ausdruck der nationalen
Souveränität fest. Gemeinsame Steuergesetze können im Rat der EU, der
zweiten Instanz zu EU-Gesetzgebung, daher nur einstimmig beschlossen
werden. Das verhindern aber stets die Steuerfluchthelfer von Irland bis
Zypern.
Darum schlug die EU-Kommission bereits im April 2016 vor, alle Unternehmen
mit jährlich mehr als 750 Millionen Euro Umsatz über das Bilanzrecht
gesetzlich zu verpflichten, offenzulegen, wie viel Steuern sie auf welche
Erträge in welchem Staat bezahlen – eine Reform, die mit Mehrheit
beschlossen werden kann. Eine ähnliche Regelung gilt für den Finanzsektor
schon seit 2015. Das führte bei den betroffenen Geldhäusern schon binnen
drei Jahren „zu einem deutlichen Anstieg ihrer effektiven Steuerniveaus“,
ermittelten die Ökonomen Michael Overesch und Hubertus Wolff von der
Universität Köln.
Das public country-by-country reporting, wie es im EU-Jargon heißt, „wird
dazu beitragen, das Steuerverhalten multinationaler Unternehmen zu
untersuchen“ und sie „dazu veranlassen, Steuern dort zu zahlen, wo sie
Gewinne erzielen“, [4][begründet darum die Kommission ihren Vorschlag]. Im
EU-Parlament fand die Reform im Juni 2017 eine breite Mehrheit.
Doch die deutsche Bundesregierung sperrte sich. Die öffentliche
Berichtspflicht über Gewinne und Steuerzahlungen „würde deutsche
Unternehmen im internationalen Wettbewerb benachteiligen“, behauptete
Wirtschaftsminister Peter Altmaier unisono mit der Stiftung
Familienunternehmen und dem Industrieverband BDI, ohne das je zu belegen.
Im Rat schmiedete die Bundesregierung daher eine Allianz mit zwölf
Mitgliedsstaaten, die als Sperrminorität die notwendige qualifizierte
Mehrheit von 55 Prozent verhinderte.
Welche Regierungen da mit den Deutschen gemeinsame Sache machten, blieb
jahrelang verborgen, weil die EU-Staaten die Öffentlichkeit bei den
Ratsverhandlungen ausschließen. Erst im Herbst 2019 kam heraus, dass dazu
nicht nur die bekannten Niedrigsteuerstaaten gehörten, sondern auch das
sozialdemokratisch geführte Portugal.
## Neuer Verbündeter
Die dort regierenden Sozialisten hatten ihren Wählern aber das Gegenteil
versprochen. Nachdem [5][Investigate Europe darüber berichtete], wechselte
Altmaiers portugiesischer Kollege Siza Vieira prompt ins Lager der
Befürworter. Darum gab es im November 2019 eigentlich eine Mehrheit. Bei
der angesetzten Abstimmung votierte jedoch Kroatien unerwartet dagegen.
Später stellte sich heraus, dass Altmeier zwei Tage zuvor mit seinem
kroatischen Ministerkollegen über die anstehende Entscheidung gesprochen
hatte, wie die Bundesregierung auf Anfrage der Linken einräumen musste.
Bald darauf verpflichtete das Parlament in Österreich seine Regierung auf
Zustimmung für den Vorschlag der EU-Kommission. Seitdem gibt es erneut eine
Mehrheit. Aber das scherte die CDU und ihren Wirtschaftsminister nicht. Als
die Bundesregierung im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft
übernahm, weigerte sie sich, das Vorhaben auf die Tagesordnung zu setzen.
Erst als Portugal die Ratsführung im Januar übernahm, wurde ein
Kompromissvorschlag erfolgreich verabschiedet. Mit dem folgenden Start des
„Trilogs“, der Aushandlung eines gemeinsamen Gesetzestexts mit dem
Parlament und der Kommission, schien die Reform nun erstmals in greifbarer
Nähe.
Doch jetzt hat die Konzernlobby einen neuen starken Verbündeten gefunden:
die Regierung Macron in Paris. Das belegt ein Positionspapier, das
Frankreichs EU-Diplomaten vor der jüngsten Trilog-Runde lancierten. Darin
fordern sie, der Rat müsse gegenüber dem Parlament darauf bestehen, die
Berichtspflichten für die Konzerne drastisch zu beschränken, wie es der
Ratsbeschluss als Maximalposition formuliert hatte.
Demnach wäre es den Unternehmen erlaubt, unter Verweis auf vermeintliche
Geschäftsgeheimnisse die Offenlegung der Daten sechs Jahre lang zu
verschieben, ohne dass die Begründung durch die Kommission geprüft und
widerrufen werden kann.
## Gewinne verschwinden
Noch schwerer wiegt, dass die Daten für die meisten Länder außerhalb der EU
nur „aggregiert“ veröffentlicht werden sollen. Die Gewinnverschiebung in
die großen Steuerfluchtzentren wie die Bermudas bliebe weiterhin verborgen.
Das deckt sich nicht nur mit den Forderungen des Verbands der französischen
Industrie Medef. Frankreich Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat sich das
Papier direkt von der Lobby schreiben lassen. Das geht aus den Metadaten
der zugehörigen Datei hervor, die das Ministerium verschicken ließ. Die
Frage von Investigate Europe, warum Frankreich sich seine Position zur
Steuerflucht von Lobbyisten schreiben lässt, mochte die Regierung in Paris
bis Redaktionsschluss nicht beantworten.
Das empört selbst die Vertreterin der konservativen EVP-Fraktion im Trilog,
die finnische Abgeordnete Sirpa Pietikäinen. „Würde ich das als Ministerin
in Finnland so machen, gäbe es vielleicht sogar eine Ermittlung“, sagt sie.
„Aber hier auf EU-Ebene geben sie den Willen der Wirtschaftslobby als
nationales Interesse aus, ganz gleich, wie pervers das ist“, erklärt sie
die EU-Mechanik. „Mit wem verhandeln wir, mit der Medef oder den
EU-Staaten?“, fragt auch die französische Abgeordnete Manon Aubry, die die
Linken im Trilog vertritt. Der Forderung aus Paris dürfe das Parlament
nicht nachgeben. Andernfalls verkomme das Gesetz zur „politischen Show ohne
Wirkung und Nutzen“.
Genau das aber bahnt sich an. Denn die Parlamentarier sind erpressbar.
Finden die EU-Gesetzgeber jetzt keinen Kompromiss, könnte das Vorhaben
endgültig scheitern, fürchtet die Sozialdemokratin Evelyn Regner, die seit
Jahren das Parlament in der Sache vertritt. Nach Portugal übernimmt
Slowenien die Präsidentschaft, dessen Regierung ohnehin kein Interesse
daran hat.
Dem folgen die Franzosen, die sich jetzt schon querstellen. Wenn es der
Regierung Macron gelingt, die übrigen EU-Staaten bei der nächsten Sitzung
der ständigen Vertreter am 26. Mai auf die harte Position der Konzernlobby
einzuschwören, dann wird den Parlamentariern wohl nichts anderes übrig
bleiben, als einem schlechten Gesetz zuzustimmen und darauf zu hoffen, dies
später nachzubessern. Die Gewinne von Amazon und Co. werden wohl weiter im
Nirgendwo der Steueroasen verschwinden.
Dieser Artikel ist Teil des Projekts [6][„Geheimnisse des Rates“] von
Investigate Europe, ein Team von Journalisten aus zehn europäischen
Ländern. Im Rat der EU verhandeln Beamte der nationalen Regierungen Gesetze
hinter dem Schleier diplomatischer Geheimhaltung. Deshalb [7][versucht IE
aufzuklären], welche Regierungen welche Politik im Rat betreiben.
15 May 2021
## LINKS
[1] https://e-justice.europa.eu/content_find_a_company-489-en.do
[2] https://www.taxjustice.net/
[3] https://www.investigate-europe.eu/de/
[4] https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/company-reporting-and-audit…
[5] https://www.dn.pt/edicao-do-dia/23-nov-2019/governo-bloqueia-lei-europeia-s…
[6] https://www.investigate-europe.eu/de/2020/secrets-of-the-council-2/
[7] https://www.investigate-europe.eu/de/2020/secrets-of-the-council-2/
## AUTOREN
Sigrid Melchior
Harald Schumann
## TAGS
Steuern
Amazon
Europa
GNS
Steuerpolitik
Kommission
EU-Finanzpolitik
Online-Shopping
## ARTIKEL ZUM THEMA
Steuertransparenz in der EU: Härtere Regeln für Unternehmen
Amazon, Google und Co. müssen ihre Steuerzahlungen in den 27 EU-Ländern nun
offenlegen. Fünf Jahre wurde um diese Transparenz gerungen.
Unternehmensbesteuerung in der EU: Brüssels Plan gegen Steuertricks
Ohne Briefkästen und mit mehr Transparenz: Die EU-Kommission will Konzerne
besser besteuern. Doch ein Problem bleibt.
EU-Finanzminister vertagen sich: Streit um Steuerparadiese
Die EU-Finanzminister können sich nicht auf eine neue schwarze Liste von
nicht-kooperativen Staaten einigen. Die Türkei und Luxemburg atmen auf.
Paketsteuer für Onlinehändler: Die Lex Amazon ist Quatsch
Zwei CDU-Abgeordnete fordern eine Paketabgabe für Onlinehändler. Die ist
Unsinn – und würde an der Verödung der Innenstädte auch nichts ändern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.