# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Kirgistan: Nationalisten langen hin | |
> Dutzende Männer nehmen in der Hauptstadt eine Demonstration von | |
> Aktivist*innen auseinander. Die Polizei lässt sie gewähren. | |
Bild: In den Straßen von Bischkek | |
BERLIN taz | Viel Zeit hatten die rund 30 Aktivist*innen in der | |
kirgischen Hauptstadt Bischkek am vergangenen Mittwoch nicht. Kaum hatten | |
die Frauen mit ihrer Protestaktion vor dem Innenministerium begonnen, | |
traten mehrere Dutzend selbst ernannter national-patriotischer Männer auf | |
dem Plan, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Sie riefen Slogans wie „Haut | |
doch in den Westen ab!“, „Verkauft Kirgistan nicht für schmutziges Geld!“ | |
und „Dreckige Feinde des Volkes!“ | |
Kurz darauf war die Demonstration vorbei. Die Polizei griff nicht ein, um | |
die Frauen zu schützen. Es bestehe die Gefahr, dass diese ganzen | |
sogenannten Werte den Kirgis*innen aufgezwungen würden. Wer solche Werte | |
vertrete, solle das doch in anderen Ländern tun“, sagte einer der | |
„Patrioten“ der Lokalzeitung Vetcherny Bischkek (deutsch Bischkek am | |
Abend). Gemeint waren damit LGBT-Rechte, für die Protestierenden angeblich | |
eingetreten seien. | |
Doch da müssen er und seine Brüder im Geiste wohl etwas falsch verstanden | |
haben. Der ursprüngliche Protest richtete sich nämlich gegen Frauengewalt – | |
ein Thema, das viele Kirgis*innen dieser Tage besonders in Atem hält. | |
Aktuell geht es um den [1][Fall Aizada Kanatbekowa]. Die 27-jährige war | |
Anfang April am hellichten Tag mitten in Bischek von vier Männern in ein | |
Auto gezerrt und weggebracht worden. Videokameras hatten das Verbrechen | |
festgehalten. Einige Stunden später waren Kanatbekowa sowie einer der | |
Entführer, der dank der Vioedeoaufnahmen identifiziert werden konnte, tot | |
aufgefunden worden. Er hatte sich, nachdem er Kanatbekowa erwürgt hatte, | |
mit mehreren Messerstichen selbst gerichtet. | |
## Wichtige Details | |
Wenige Tage später gingen in Bischek Hunderte auf die Straße und forderten | |
den Rücktritt des Innenministers. Da waren bereits wichtige Details an | |
Licht gekommen. Der Entführer hatte Heiratsabsichten und Kanatbekowa in der | |
Vergangenheit diesbezüglich mehrfach belästigt. Als die Familie Schutz bei | |
der Polizei gesucht hatte, wurde sie abgewiesen. Auch eine | |
Vermisstenmeldung von Kanatbekowas Mutter wurde ignoriert. Mittlerweile | |
wurden der Polizeichef von Bischkek sowie elf weitere hochrangige | |
Uniformträger gefeuert. | |
Vor wenigen Tagen wurden weitere Einzelheiten über den Entführer bekannt. | |
Der war bei der Polizei wegen sexueller Gewalt gegen Frauen nämlich schon | |
seit Längerem aktenkundig. Laut des Nachrichtenportals eurasianet.org | |
berichtete eine Betroffene gegenüber dem kirgisischen Dienst von Radio | |
Freies Europa, der Mann habe ihre Wohnungstür eingetreten, sie auf den | |
Balkon gestoßen und gedroht, sie hinunter zu werfen. Sie habe die Polizei | |
darüber informiert, die sei jedoch untätig geblieben. | |
Eine derartige Ignoranz ist in dem mehrheitlich muslimischen | |
zentralasiatischen Staat, wo der sogenannte Brautraub eine lange Tradition | |
hat, an der Tagesordnung. Laut eines Berichts der Vereinten Nationen aus | |
dem Jahr 2018 wurden jährlich im Schnitt 14 Prozent der Frauen unter 24 | |
Jahren zwangsverheiratet. | |
Laut Polizei, so der Bericht, sollen innerhalb von fünf Jahren 895 Fälle | |
von Brautraub registriert worden sein. Dabei dürfte die Dunkelziffer | |
erheblich höher liegen. Denn die Mehrheit der Frauen bringt derartige Fälle | |
bei der Polizei nicht zur Anzeige. Die Passivität der Ordnungshüter an | |
diesem Mittwoch dürfte sie darin eher noch bestärken. | |
17 Apr 2021 | |
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[1] /Femizide-in-Kirgistan/!5760728 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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