Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Politische Resignation in Belarus: Sinus-Stimmungen
> Werden wir siegen? Oder werden wir alle erschossen? Die Stimmung fährt
> Achterbahn. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge
> 81.
Bild: Arbeiten und Steuern bezahlen, damit die Omon-Leute weiterhin Freunde sch…
Die derzeitige Stimmung in der belarussischen Bevölkerung wird sehr gut
durch einen Cartoon illustriert, auf dem eine Sinuskurve zu sehen ist. An
den Hochpunkten steht: „Wir werden siegen“, an den Tiefpunkten: „Wir werd…
alle erschossen“. In jedem Witz steckt bekanntlich ein bisschen Humor, der
große Rest ist die Wahrheit. Und an diesem Cartoon kann man deutlich
erkennen, wie die Volksseele quasi wie auf einer Schaukel hin- und
herfliegt.
Es ist schwierig, gleichbleibend gute Laune zu bewahren, [1][während die
Repressionen immer stärker werden], Gesetze nicht mehr gelten und Menschen,
die ganz offensichtlich psychisch krank sind, nicht ärztlich behandelt
werden.
Swetlana Tichanowskaja ist ohne Zweifel eine gute Frau und bemüht sich auf
internationaler Ebene. Aber wie lange wird sie ihre Europa-Tournee wie ein
Rockstar noch fortsetzen können, wenn es keine konkreten Ergebnissen gibt?
Unwillkürlich denkt man darüber nach, ob die Politiker sie überhaupt ernst
nehmen oder ob es ihnen genügt, ihr tiefes Bedauern darüber auszudrücken,
was in unserem Land passiert.
Es macht mich sehr traurig, dass die Hälfte meiner Freund*innen im
Gefängnis sitzt, und [2][die andere Hälfte in die Emigration gezwungen
wurde]. Fragte man mich, ob die Proteste vorbei seien, wüsste ich keine
Antwort. Weil es fast niemanden mehr gibt, der überhaupt auf die Straße
gehen könnte. Die meisten Menschen klammern sich verzweifelt daran fest,
dass sie Kinder haben, die sie versorgen müssen, Kredite, die es abzuzahlen
gilt. Und gehen deshalb weiter zur Arbeit und zahlen Steuern, mit denen die
Gehälter der OMON-Leute (Sondereinheit der Polizei, die vor allem gegen
Demonstrant*innen eingesetzt wird, Anm. der Redaktion) gezahlt werden,
die dann ihre Freunde und Nachbarn schlagen und töten. Wo ist der Sinn?
Wo bleibt bei ihnen der Wunsch zu erfahren, wie die Zukunft für ihre Kinder
aussehen wird. Lukaschenko hat es schon geschafft, das Land in seiner
Entwicklung um mindestens ein halbes Jahrhundert zurückzuwerfen. Er möchte
die Sowjetunion in ihrer schlimmsten Erscheinungsform wiederbeleben. Seine
Beziehung zu Putin bringt einen auf den Gedanken, dass er das Land einfach
verkauft. Und dass er auf die Unabhängigkeit von Belarus pfeift, und nur an
seinen eigenen Vorteil denkt.
Und die Belaruss*innen zeigen keine Solidarität, z.B. durch einen
Generalstreik, an dem sich alle beteiligen. Aber brauchen sie ein neues
Belarus und ein neues Leben, oder eine fortdauernde Sklaverei? Und
leidenschaftlichen, engagierten Menschen stellt sich die logische Frage:
[3][lohnt es sich für mich, meine Gesundheit, Freiheit und vielleicht sogar
mein Leben zu opfern für solche Mitmenschen]?
In Belarus gibt es das Sprichwort: „Meine Hütte steht am Rand“ (deutsche
Entsprechung: „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“, Anm. d.
Redaktion). Also im übertragenen Sinne: „Das ist nicht meine Sache“. Oder
auch, dass mein Haus das letzte an der Straße ist und das, was im Zentrum
passiert, mich nicht betrifft.
Aber wenn man sich das Bild mit dem Haus am Rande mal näher anschaut, dann
versteht man, dass bei einem Überfall oder einem Angriff genau dieses Haus
als erstes niederbrennt. Die Belaruss*innen mit ihren „Krediten und
Kindern“ sollten darüber nachdenken. Und darüber, wie es um ihre Würde
bestellt ist.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
7 May 2021
## LINKS
[1] /Repressionen-in-Belarus/!5758673
[2] /Emigration-aus-Belarus/!5714602
[3] /Medien-in-Belarus/!5748143
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Janka Belarus
## TAGS
Kolumne Notizen aus Belarus
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Belarus
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Gewalt gegen Frauen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gekaperter Ryanair-Flug in Belarus: Entführer im Präsidentenamt
Alexander Lukaschenko jagt Oppositionelle jetzt auch in der Luft. Die
Konsequenz: Europas Fluggesellschaften sollten Belarus nicht mehr
überfliegen.
Anzeige gegen Lukaschenko: Weckruf für Brüssel
Ob die Strafanzeige deutscher Anwälte in Karlsruhe gegen den belarussischen
Diktator Erfolg hat, ist ungewiss. Dennoch ist sie ein wichtiges Signal.
Staatliche Folter in Belarus: Strafanzeige gegen Lukaschenko
Der belarussische Autokrat geht brutal gegen die Opposition vor. Nun wollen
ihn Folteropfer dafür in Deutschland strafrechtlich belangen.
Gewalt gegen Frauen in Kirgistan: Nationalisten langen hin
Dutzende Männer nehmen in der Hauptstadt eine Demonstration von
Aktivist*innen auseinander. Die Polizei lässt sie gewähren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.