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# taz.de -- Doku über investigative Recherche: Zähe Arbeit hinter dem Coup
> Die Doku „Hinter den Schlagzeilen“ zeigt die Arbeit der
> Investigativredaktion der „SZ“. Sie eröffnet online das Dok.fest Münche…
Bild: Malta: Recherche zum Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia
„Dann, an die Arbeit!“ So beendet SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach eine
informelle Besprechung in einem Großraumbüro der Zeitung nach dem wohl
größten Coup des Blatts in den letzten Jahren. Gerade hat man nach langer
Vorbereitung ein brisantes Video bei Sueddeutsche.de und Spiegel Online ins
Netz gestellt.
Jetzt geht es – parallel zum Warten auf erste Reaktionen – um die
publizistische Rahmung der Geschichte mit Hintergrund und Kommentaren.
Dabei mahnt Krach eindringlich Nüchternheit und den Verzicht auf
„Triumphgeheule“ an.
Dieses am 17. Mai 2019 veröffentlichte Video schrieb Geschichte. Als
Grundlage der sogenannten Ibiza-Affäre zeigte es heimlich mitgeschnittene
politisch höchst unmoralische Angebote der FPÖ-Politiker Heinz-Christian
Strache und Johann Gudenus an eine vermeintlich steinreiche junge Russin.
Einen Tag später traten beide Männer von allen Ämtern zurück und Kanzler
Kurz verkündete die Auflösung der Koalitionsregierung aus ÖVP und FPÖ.
[1][Ende 2020 wurde in Berlin ein Wiener Privatdetektiv verhaftet], der die
Aufnahmen verfertigt haben soll und angibt, aus politischen Motiven ohne
materielle Interessen gehandelt zu haben.
## Für Außenstehende selten Sichtbares
Zu dem Zeitpunkt war der Dokumentarfilm von Daniel Sager (Regisseur und
Koautor) und Marc Bauder (Koautor und Produzent) schon abgedreht. Doch auch
sonst hätte dieser eher kriminalistische Aspekt der Geschichte wohl
höchstens einen Randplatz in ihm gefunden.
Denn statt für Kolportage interessieren sich die Filmemacher für die zähe
Arbeit hinter dem journalistischen Coup – von ersten klandestinen Kontakten
über die langwierige Sichtung und Transkription des Materials bis zu
juristischen Beratungen und dem Formulieren begleitender Anfragen und
Texte.
Für investigative Journalisten typische Aktivitäten, die jedoch für
Außenstehende selten sichtbar sind. So ist es ein privilegiertes Angebot
dieses Films, mit Hilfe diverser Kameraleute tief in den beruflichen Alltag
der für investigative Recherchen zuständigen Abteilung der Süddeutschen
Zeitung und einigen ihrer MitarbeiterInnen (meist junge Männer) in den
oberen Geschossen des verglasten SV-Hochhauses in München-Bogenhausen
blicken zu können.
Im Zentrum stehen dabei die beiden vielfach ausgezeichneten (zuletzt für
die Panama Papers) leitenden Redakteure Bastian Obermayer und Frederik
Obermaier. Dabei war bei Drehbeginn keineswegs klar, welche Volten der Film
nehmen würde.
## Von Unbekannten angeboten
Eigentlich waren die Journalisten gerade mit Recherchen zum [2][Mord an der
maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia] und einem internationalen
Waffenhändler unterwegs, als ihnen das Ibiza-Material von Unbekannten
angeboten wurde. Ein Angebot, das erst mal beiläufig mitlief und auch – aus
Sorge, selbst kompromittiert oder instrumentalisiert zu werden, – mit
Misstrauen beäugt wurde.
Dann folgten viele oft arbeitsintensive Schritte zur peniblen Dokumentation
und Überprüfung der personellen und medialen Authentizität der Aufnahme und
den ethischen, rechtlichen und journalistischen Implikationen einer
möglichen Veröffentlichung. Darunter auch die zentrale Frage, ob es
überzeugende inhaltliche Gründe dafür gibt, das illegal gedrehte Material
als Video und nicht bloß als Textversion zu veröffentlichen.
Der Film zeigt auch Recherchereisen nach Malta oder Israel. Doch jenseits
eventueller Klischees vom aufregenden Journalistenleben sind die meisten
Abläufe im Film eher wenig spektakulär und spielen sich im gepflegten
Büromilieu hoch über der Stadt ab. Inhaltlich zeigen sie detailreich das
Bild eines Journalismus, der seine Aufgabe gegenüber der Gesellschaft
gewissenhaft ernst nimmt.
Als solches ist „Hinter den Schlagzeilen“ auch zu verstehen, als deutliche
Antwort auf die „Lügenpresse“-Vorwürfe der Rechtspopulisten, deren
Doppelmoral durch die von Strache intendierte massive Einflussnahme auf die
redaktionelle Unabhängigkeit der Kronenzeitung ins Licht gerät.
## Snowden warnt vor Instrumentalisierung
Whistleblower Edward Snowden, den die Obermay/iers im Vorspann des Films in
einem Moskauer Hotel treffen, spricht auch deutlich die Gefahr gezielter
Instrumentalisierung aufklärend gedachter Recherchen durch
antidemokratische Kräfte an.
„Hinter den Schlagzeilen“ ist wohl durch seine Unaufgeregtheit weitgehend
vor solcher Gefahr gefeit. Doch dass der in Fly-on-the-Wall-Manier gedrehte
Film den Prozess und Kontext der eigenen Entstehung weitgehend ausblendet,
scheint gerade für ein journalistisches Sujet erstaunlich unreflektiert.
Dabei wäre es etwa interessant zu erfahren, wie und mit welchen Absprachen
Sager/ Bauder vor Ort gearbeitet und wie die Kooperation mit den
Zeitungsleuten zustande kam.
Erhellung gibt es vielleicht Mittwochabend, wenn der Film zur Eröffnung des
– online stattfindenden – DOK.fest München gezeigt wird. Angekündigt ist
dabei auch ein ausführliches Gespräch von Festivalleiter Daniel Sponsel mit
Regisseur Sager und den Protagonisten.
4 May 2021
## LINKS
[1] /Interview-mit-Ibiza-Video-Macher/!5752440
[2] /Mord-an-Journalistin-auf-Malta/!5750516
## AUTOREN
Silvia Hallensleben
## TAGS
Film
Ibiza-Affäre
Doku
Edward Snowden
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