# taz.de -- Medienfreiheit in Armenien: Paschinjans Feldzug | |
> Armeniens Premier hat einst selbst für eine Zeitung gearbeitet. Nun | |
> bringt er ein Gesetz auf den Weg, das Journalist*innen hart bestrafen | |
> kann. | |
Bild: Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan setzt seinen Kampf gegen die Me… | |
BERLIN taz | Kaum ein Tag vergeht, an dem Armeniens Regierungschef Nikol | |
Paschinjan nicht [1][Zielscheibe massiver Kritik] ist. Doch derartige | |
Veröffentlichungen könnten Journalist*innen bald teuer zu stehen | |
kommen. Der „Verräter“ Paschinjan, der den Krieg im November 2020 gegen | |
Aserbaidschan um die Region Bergkarbach verloren und die Kapitulation | |
Armeniens unterschrieben hat, hat zwar seinen Rücktritt angekündigt. Am 20. | |
Juni soll eine vorgezogene Parlamentswahl stattfinden. Dennoch führt er | |
seinen Kampf gegen die Medien unbeirrt fort. | |
In der vergangenen Woche stimmten die Abgeordneten des regierenden | |
Bündnisses „Mein Schritt“ für eine Gesetzesänderung, die Verleumdung mit | |
einer Geldstrafe von umgerechnet bis zu etwa 9.700 Euro belegt. Im Fall | |
einer Beleidigung wird die Hälfte dieser Summe fällig. Ein*e | |
Journalist*in verdient durchschnittlich etwa 300 Euro im Monat. | |
„Das neue Gesetz wird [2][die Meinungs- und Pressefreiheit in Armenien] | |
stark einschränken. Daher ist es extrem gefährlich“, sagt Schuschan | |
Dojdojan, die die Organisation „Zentrum für Informationsfreiheit“ in der | |
Hauptstadt Jerewan leitet. Politiker*innen könnten | |
Medienmacher*innen fortan viel schneller vor Gericht bringen, denn | |
jedwede sachliche Kritik könne als Beleidigung und Verleumdung | |
interpretiert werden. Aktuell ist Armenien auf der Rangliste von „Reporter | |
ohne Grenzen“ auf dem 61. von 180 Plätzen zu finden. | |
Medienexpert*innen sehen in Paschinjans Vorgehen den Versuch, die | |
Propaganda für die regierende Partei zu verstärken und dabei gleichzeitig | |
die Wahlkampagne der Opposition zu behindern. Ohnehin ist der | |
Premierminister gegenüber den Medien schon länger in Kampfeslaune. Denn ein | |
Großteil der Presse sowie der TV-und Radiosender gehört immer noch | |
Personen, die der Vorgängerregierung nahe stehen. | |
## Zeitung bankrott | |
Dabei hatte Paschinjan, der 2018 durch die „Samtene Revolution“ an die | |
Macht kam, vor seiner politischen Karriere selber als Journalist für die | |
oppositionelle Presse gearbeitet. 1999 war er als Chefredakteur der Zeitung | |
„Oragir“ von der damaligen Regierung wegen Verleumdung verklagt worden. Er | |
konnte die Geldstrafe nicht zahlen, die Zeitung ging bankrott. | |
Jetzt mache Paschinjan im Umgang mit der Medienfreiheit genau das Gleiche, | |
sagt Schuschan Dojdojan. Deshalb hat sie gemeinsam mit zehn armenischen | |
Medienorganisationen einen Appell unterzeichnet. Darin wird Präsident Armen | |
Sargsjan aufgefordert, das verabschiedete Gesetz nicht zu unterzeichnen und | |
es dem Verfassungsgericht zwecks Überprüfung auf eine Vereinbarkeit mit der | |
Verfassung vorzulegen. | |
Auch internationale Organisationen kritisieren das Gesetz. „Es ist | |
bedauerlich, dass die armenische Regierung Geldstrafen in einem Gesetz | |
festschreiben lässt. Dadurch werden die freie Meinungsäußerung behindert | |
und die finanzielle Lebensfähigkeit der Medien im Land gefährdet“, heißt es | |
in einer Erklärung der US-Menschenrechtsorganisation „Freedom House“. | |
2010 hatte Armenien Verleumdung und Beleidigungen nach einer entsprechenden | |
Intervention der Parlamentarischen Versammlung des Europarates | |
entkriminalisiert. Im vergangenen Jahr führte die Regierung im Zuge der | |
Coronakrise eine Zensur ein. Medien dürfen nur noch amtliche Informationen | |
über die Pandemie veröffentlichen. Journalist*innen drohen bei | |
Zuwiderhandlung hohe Strafen. Selbst die Berichterstattung über die | |
Covid-19-Lage im Ausland wird streng gefiltert. | |
1 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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