| # taz.de -- Medienzensur in der Coronakrise: Willkürliche Kontrolle | |
| > In Armenien dürfen Medien nur noch amtliche Informationen über die | |
| > Corona-Pandemie veröffentlichen. JournalistInnen drohen hohe Strafen. | |
| Bild: Ein U-Bahn wird in Jerewan von Mitarbeitern desinfiziert | |
| Weil sie über das Coronavirus berichtete, bekam die 42-jährige Journalistin | |
| Marine Kharatjan Polizeibesuch. Sie durfte nicht publizieren, obwohl genau | |
| das ihr Job ist. Armenien befindet sich [1][seit dem 16. März] im | |
| Ausnahmezustand, die Regierung verkündete Einschränkungen für die | |
| Massenmedien. Als einzige Informationsquelle über das Coronavirus bleiben | |
| den BürgerInnen offizielle Berichte der Regierung. Laut einem Gesetz darf | |
| sich die Berichterstattung im Zusammenhang mit Corona nur auf diese | |
| offiziellen Quellen und auf Regierungserklärungen beziehen. | |
| Bislang beziffern diese die Zahl der Coronafälle für das von knapp drei | |
| Millionen Menschen bewohnte Armenien auf 194. Die Journalistin Kharatjan | |
| verfügt über eigene Quellen. Ihren Recherchen zufolge werden | |
| MitarbeiterInnen eines großen Fleisch- und Wurstbetriebs in der Hauptstadt | |
| Jerewan zur Arbeit gezwungen, obwohl sie Fieber haben. Sie haben sich bei | |
| der Journalistin gemeldet, weil sie für ihre Berichterstattung über | |
| Korruption, Oligarchie und Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Auch | |
| MitarbeiterInnen des Betriebs, die sich noch gesund fühlten, machten sich | |
| Sorgen, blieben aber nicht zu Hause. | |
| Deutlich habe der Arbeitgeber gewarnt, wer nicht arbeiten komme, werde | |
| sofort gekündigt, sagt Kharatjan mit Verweis auf ihre Quellen. Der | |
| Jerewaner Fleisch- und Wurstbetrieb gehört einem Oligarchen, der auch | |
| Kaffee-, Textil- und Teigwarenfabriken besitzt. Samvel Aleksanjan, der | |
| knapp 15 Jahre lang im Parlament saß, galt als einer der Hauptakteure von | |
| Wahlfälschungen für die ehemalige Regierung. | |
| Wegen der staatlichen Einschränkungen darf Kharatjans Nachrichtenagentur | |
| newarmenia.am die Recherche nicht ins Netz stellen. Der Agentur droht sonst | |
| eine Strafe in Höhe von bis zu 1.500 Euro, das ist fünfmal so viel wie der | |
| Durchschnittslohn eines armenischen Journalisten. | |
| ## Polizei greift durch | |
| Kharatjan postete ihre Recherche deshalb auf ihrer Facebook-Seite. | |
| Innerhalb einer Stunde habe sie einen Anruf von der Polizei erhalten, | |
| erzählt sie. Sie müsse den Post sofort entfernen, weil sie damit Panik | |
| verbreite, hieß es. Nach drei Stunden klingelten zwei Polizisten an ihrer | |
| Haustür. Damit sie nicht vor Gericht lande, empfehle man ihr, die Meldung | |
| zu löschen. „Die mediale Einschränkung ist extrem. Meldungen über | |
| Menschenrechtverletzungen muss man ernst nehmen, aber wie denn, wenn wir | |
| davon nichts berichten können“, sagt Kharatjan. | |
| Hasmik Budaghjan, Medienexpertin bei der lokalen NGO „Komitee zum Schutz | |
| der Meinungsfreiheit“ ist alarmiert. Sie dokumentiert die Fälle von | |
| staatlicher Zensur der Medien während des Ausnahmezustandes. Selbst die | |
| Berichterstattungen über die Lage im Ausland werden streng gefiltert, sagt | |
| Budaghjan. So habe zum Beispiel die armenische Tageszeitung Aravor einen | |
| Beitrag mit einem Hinweis auf den russischen Sender Sputnik von ihrer | |
| Webseite entfernt, in dem ein russischer Experte die mangelnde Maßnahmen | |
| gegen Corona der russischen Regierung kritisierte. | |
| Die Begründung der armenischen Behörden sei dieselbe wie im Falle von | |
| Kharatjans Fleischfabrik-Recherchen: Der Bericht könne Panik auslösen. | |
| Budaghjan ist überzeugt, dass das Gegenteil der Fall ist: Gerade das | |
| Einschränken von Informationen könne Panik auslösen, sagt sie. Die | |
| armenischen Behörden unterwürfen die Medien des Landes einer willkürlichen | |
| Kontrolle. „Genau das birgt die Gefahr, ein mediales Chaos zu verursachen“, | |
| sagt sie. | |
| ## Kein Platz für Kritik | |
| Der aktuelle Premierminister Nikol Paschinjan kam durch die „Samtene | |
| Revolution“ 2018 an die Macht. Seine Partei hat mit über 70 Prozent eine | |
| absolute Mehrheit im Parlament. Mit einem Verfassungsreferendum möchte er | |
| nun die Justiz reformieren, von der alten Regierung eingesetzte | |
| Verfassungsrichter entlassen. | |
| Hrant Bagratjan, Premierminister der 1990er Jahre und Gegenspieler der | |
| aktuellen Regierung, kritisiert die Regierung für das ursprünglich für den | |
| 5. April geplante und mittlerweile abgesagte Referendum. Bagratjan schrieb | |
| auf seiner Facebook-Seite, dass die Absage zu spät erfolgt sei, erst | |
| nachdem große Menschenmengen bei der Referndumskampagne zusammengekommen | |
| waren. Inzwischen mussten Medien, die den Post von Bagratjan verbreitet | |
| haben, diesen wieder entfernen. | |
| 24 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tigran Petrosyan | |
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