# taz.de -- 25 Jahre gescheiterte Länderfusion: Neue Chance für beide Partner | |
> Vor 25 Jahren scheiterte die Länderfusion zwischen Berlin und | |
> Brandenburg. Inzwischen arbeitet man gut zusammen – doch es fehlt eine | |
> gemeinsame Idee. | |
Bild: Damals, 1996: Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (l.) und Ber… | |
Manfred Stolpe räumte noch am Abend eine „schwere Niederlage“ ein. „Das | |
Zukunftsprojekt ist an Brandenburg gescheitert“, sagte Brandenburgs | |
Ministerpräsident am Abend des 5. Mai 1996. Auch [1][Berlins Regierender | |
Bürgermeister Eberhard Diepgen] war enttäuscht und versuchte sich zugleich | |
an einer Erklärung. „In Brandenburg sind die Vorbehalte gegen die alte | |
Hauptstadt der DDR zu groß.“ | |
Die als Länderehe apostrophierte Fusion von Berlin und Brandenburg war | |
[2][vor 25 Jahren an einer Volksabstimmung gescheitert]. Mit einer Mehrheit | |
von 62,7 Prozent der Stimmen votierten die Wählerinnen und Wähler in | |
Brandenburg gegen die Länderfusion. In Berlin dagegen gaben 53,4 Prozent | |
der Stimmberechtigten ihr Ja-Wort. Allerdings unterschied sich das Ergebnis | |
in beiden Stadthälften. Im Westteil war die Mehrheit mit 58,7 Prozent pro | |
Fusion, im Ostteil stimmten 54,7 Prozent dagegen. | |
Zwar weigerten sich Stolpe und Diepgen, nach dem Debakel zurückzutreten. | |
Dennoch stand die Politik beider Länder vor einem Scherbenhaufen – und vor | |
vielen ungelösten Fragen. Wie soll die Zersiedelung des Umlands verhindert | |
werden? Welche Institutionen sind künftig für die grenzüberschreitende | |
Zusammenarbeit zuständig? Und was heißt es, wenn der damalige | |
PDS-Bundeschef Lothar Bisky forderte: „Die Fusion muss jetzt von unten | |
wachsen“? | |
Danach sah es zunächst nicht aus. Eher nach weiteren ungelösten Problemen. | |
Was ist mit Schülerinnen und Schülern aus dem Speckgürtel, die in Berlin | |
auf die Schule gehen? Mehrmals drohte der Streit um den Finanzausgleich in | |
solchen Fällen zu eskalieren. | |
## Preußen blieb in der Mottenkiste | |
Einen zweiten Anlauf für eine Länderfusion gab es nicht, zumindest nicht | |
ernsthaft. Nur einmal, als Angela Merkel 2005 davor stand, das | |
Bundeskanzleramt zu übernehmen, überlegten die SPD-geführten Länder Berlin | |
und Brandenburg, ob sie mit einem gemeinsamen Bundesland bessere Karten | |
gegen eine CDU-Regierung im Bund hätten. Selbst der Brandenburger | |
CDU-Innenminister Jörg Schönbohm war nicht abgeneigt. Einzige Bedingung: | |
Das gemeinsame Bundesland müsse den Namen Preußen bekommen. Merkel wurde | |
tatsächlich Kanzlerin, doch Preußen blieb in der Mottenkiste. | |
Die einzige Institution, in der sich beide Länder über all die Jahre hinweg | |
abstimmten, war die Gemeinsame Landesplanung. Die Verwaltungsabteilung mit | |
Sitz in Potsdam, die sowohl dem Berliner Senat als auch der Brandenburger | |
Landesregierung untersteht, hat seit ihrer Gründung 1996 die Aufgabe, | |
[3][eine übergeordnete Raumplanung zu entwickeln], die sowohl Berlin, den | |
Speckgürtel als auch die berlinferne Peripherie Brandenburgs umfasst. | |
Das barg auch politischen Zündstoff, etwa als Brandenburgs | |
Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) 2005 seine Förderpolitik radikal | |
änderte. Unter der Überschrift „Stärken stärken“ sollten die Mittel nur | |
noch in Regionen fließen, die Wachstum versprachen und wo sie nicht, wie in | |
der Lausitz oder der Prignitz, im märkischen Sand versickerten. Der | |
damalige CDU-Generalsekretär Sven Petke sprach von einer „SPD-Idee zur | |
Entsiedelung breiter brandenburgischer Landstriche“. | |
All das ist inzwischen Geschichte. Alleine durch die zahlreichen | |
Institutionen, die den Namen beider Länder in sich tragen, sind Berlin und | |
Brandenburg zusammengewachsen. Es gibt den Rundfunk Berlin-Brandenburg, | |
eine gemeinsame Medienanstalt, das Medienboard, den Verkehrsverbund, die | |
Flughafengesellschaft, das Landesinstitut für Schule und Medien, ein | |
gemeinsames Amt für Statistik, gemeinsame Gerichte, die Deutsche | |
Rentenversicherung Berlin-Brandenburg, die Akademie der Wissenschaften, die | |
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. | |
Seit 2019 haben Berlin und Brandenburg einen gemeinsamen | |
Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion, der vom Alex bis nach Schwedt an | |
die polnische Grenze reicht und inzwischen auch von der Brandenburger CDU | |
nicht mehr infrage gestellt wird. Grundidee der Planung ist es, das | |
[4][Wachstum entlang der Bahn- und S-Bahn-Trassen] zu konzentrieren. | |
## Keile nach Berlin hinein | |
Zwischen diesen Achsen, so die Hoffnung, reichen die Grünräume wie Keile | |
nach Berlin hinein und verhindern einen ähnlichen Siedlungsbrei wie etwa im | |
Umland von Paris. Weitere Entwicklungsschübe werden von der | |
milliardenschweren Lausitzhilfe, aber auch vom BER und Tesla erwartet. In | |
einer aktuellen Prognos-Studie etwa gehören die Landkreise Dahme-Spreewald | |
und Oder-Spree zu den zehn zukunftsträchtigsten Kreisen in ganz | |
Deutschland. | |
Eines aber fehlt bislang: Eine neue gemeinsame Idee jenseits der | |
behördlichen Raumplanung. Was ist mit der „Fusion von unten“, die Lothar | |
Bisky 1996 eingefordert hatte? | |
Vielleicht ist eine solche Idee für die Zeit nach der Pandemie wichtiger | |
denn je. Denn die „Renaissance der Innenstadt“ scheint zu Ende zu sein. | |
Immer mehr Berlinerinnen und Berliner zieht es aufs Land. Auch weil sich in | |
Berlin inzwischen herumgesprochen hat, dass Brandenburg bunter und | |
vielfältiger geworden ist. | |
Meistens sind die Berliner mit ihren Ideen und Projekten willkommen – | |
vorausgesetzt, sie sind offen für ihre neue Umgebung und agieren auf | |
Augenhöhe. Ansonsten drohen die alten Ressentiments wieder aufzuleben, ist | |
wieder von arroganten „Buletten“ und provinziellen Brandenburgern die Rede. | |
Auch Berlin steht vor neuen Herausforderungen. [5][Corona und Homeoffice] | |
könnten aus der Landlust den Stadtfrust werden lassen. Das bedeutet zwar | |
einen Verlust an Steuereinnahmen, aber auch eine Entlastung des | |
Wohnungsmarkts. | |
Es kommt also einiges in Bewegung. Eine „Fusion von unten“ ist das noch | |
nicht, doch die Bedingungen sind gut. Warum nicht ein Zukunftskataster | |
auflegen, das stadtmüde Hauptstädter und nicht mehr benötigte Grundstücke | |
in der Mark zusammenbringt, in denen Co-Working und Co-Living entstehen | |
kann. Warum müssen Landgasthöfe aufgeben, wenn es in Berlin junge | |
Gastronomen gibt, die neue Wege gehen wollen? | |
Als Berlin im 19. Jahrhundert Industriestadt wurde, versorgte die Mark die | |
Metropole mit Baustoffen und Arbeitskräften. Im digitalen Zeitalter ist es | |
vielleicht umgekehrt. Nun unterstützt Berlin Brandenburg mit neuer Arbeit | |
und neuen Ideen. Eine neuer Stoffwechsel. Und eine Chance für beide Seiten. | |
30 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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