# taz.de -- Die Wahrheit: Hier wirst du Deutsch gelernt | |
> Neues von der Sprachkritik: Die guten alten Medien wie Zeitungen können | |
> selbstverständlich alles. Außer richtig Schreib. | |
Bild: Mancher Sprecher malt mit der Zunge krude Sprachbilder | |
Das Beste wäre, man könnte auf Deutsch Englisch sprechen. Das ist keine | |
Werbung für oder Klage übers sogenannte Denglisch: Es geht nur um einen | |
bestimmten Fall, und zwar die Fälle, lateinisch: die Kasusse, nein: Kasi, | |
auch nicht: Kasus’… nee … die Kasus! (im Plural selbstverständlich mit | |
langem u). | |
Hintersinn der kurzen Abschweifung: Das schwierige Deutsch gilt den simplen | |
Briten als das Latein von heute. Wie in diesem gibt es in jenem | |
Kasusmorpheme sonder Zahl, worüber die im Irrgarten der Grammatik | |
taumelnden Deutschlernenden die Orientierung verlieren. Nicht nur sie! | |
Muttersprachlern ergeht es nicht anders. | |
Wie zum Beispiel geht der Genitiv? Die taz, in der „ein Drittel der von | |
Cybergewalt Betroffener“ zur Sprache kommen, weiß es nicht. Heißt es etwa | |
„der von Grammatikfehlern Betroffenen“? Oder nicht eher „der von | |
Grammatikfehlern Betroffenem“? Das wäre nicht verwunderlich in dieser | |
unserer Zeitung, die auch den „Vorwurf sexuellem Missbrauchs“ kennt. | |
Im Deutschen muss man mit allen möglichen Morphemen hantieren und obendrein | |
zwischen starker und schwacher Beugung wählen: Des Hirschen? Des Hirsches? | |
Oder Hirschs? Dem Nachbarn? Dem Nachbar? Gar dem Nachbaren? Dem Nachbarem?! | |
Am besten, man lässt buchstäblich am Ende alles weg: | |
## Gereinigt von Kasusflecken | |
„Mach kein Murks!“, mahnt der NDR das einfache Volk; in der | |
Akademikerhochburg Göttingen verbittet man sich die Werbeblättchen im | |
Briefkasten: „Bitte kein Blick oder ExtraTip einwerfen“; und mit dem Satz | |
„9 von 10 Verwender sind überzeugt!“ wirbt die Firma Lenor für eine von | |
Kasusflecken gereinigte Sprache. | |
Sie alle sind überzeugt: Im Falle eines Falles steht der Nominativ einfach | |
für alles. In Deutschland: Es „sprach alles für Markus Söder als | |
gemeinsamer Kanzlerkandidat“. In Österreich, über Thomas Bernhard: | |
„Der,Todesvogel' begleitet den Todkranken schon als junger Erwachsener“. | |
Und auf dem Balkan klagt einer: „Er hat mich als Viehhändler, | |
Prostituierter und Krimineller bezeichnet“ (alle Beispiele aus der taz) – | |
dabei denunziert „Er“ sich doch selbst! | |
Der Nominativ kann aber nicht nur Akkusativ, sondern ebenso Dativ: „Der | |
Inthronisierung von Armin Laschet als nächster deutscher Bundeskanzler | |
steht nichts mehr im Wege“, wähnte mal wieder die taz noch vor Kurzem – | |
nichts, außer Söder und ein falscher Kasus. Doch halt! Wäre nicht „einem | |
falschen Kasus“ der richtige Kasus? | |
Mag sein, doch der Nominativ bemächtigt sich auch dieser Präposition. | |
„Niemand sitzt mehr gerade, außer meine Tante“, schreibt Ella Carina Werner | |
in ihrem schönen Geschichtenband „Der Untergang des Abendkleides“, und: | |
„Alles geht viel schneller, außer die Gute-Nacht-Küsse und die | |
Steuererklärung“. Zum Trost sei gesagt: Außer der richtige Kasus kann | |
Werner alles. | |
Oder außer den richtigen Kasus? Der Okkupativ, äh: Nominativ muss sich | |
nämlich hier die Herrschaft mit dem Akkusativ teilen: „Die Deutschen lieben | |
alles an Italien. Alles, außer die Bewohner, die sind nämlich faul, korrupt | |
und allesamt Mafiosi“, spöttelt die kasusgeplagte taz. Es klappt sogar mit | |
dem Genitiv. | |
Der Genitiv ist bekanntlich des Dativs Tod, aber der lehrt dafür dem | |
Akkusativ das Fürchten wie in ebendiesem Satz. So gibt es in einem Film | |
„eine Liaison, die ihm Namen und Ehre kosten wird“ (arte); John le Carré | |
beklagt, Personen begegnet zu sein, dass „es ihm gruselte“ (taz); und | |
Privatdetektiv Wilsberg „findet heraus, dass Marc in Drogendeals verwickelt | |
ist – und noch Schlimmerem“ (ZDFneo). | |
## Würfelspiel der Fälle | |
„Kasus“ bedeutet wörtlich Sturz, Fall, dann auch Unfall, sogar Zufall – … | |
Grammatik ist Zufall. Tatsächlich ist der sprachwissenschaftliche Begriff | |
„Kasus“ dem Würfelspiel abgeschaut: Wie das geworfene Spielgerät | |
verschiedene Ziffern zeigt, so das Wort verschiedene Formen im Satz – und | |
welche es gerade sind: Das ist Glückssache. | |
Wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht gibt es dann Fälle, über die man streiten | |
kann, wenn man es darauf anlegt. „Ich habe mir in den Finger geschnitten“: | |
Der Körperteil rückt in den Vordergrund; „Ich habe mich geschnitten“: Die | |
ganze Person steht im Fokus. Der Streit ist also überflüssig, so einfach | |
ist das – in der Theorie. | |
Nur da ist die Sache mit dem Kasus klar. Er zeigt die syntaktischen | |
Beziehungen an zwischen Substantiv und Verb, Präposition und Substantiv, | |
Substantiv und Substantiv – und in der Praxis auch die zwischen Satz und | |
Sprecher. Dort liegt die Fehlerquelle wie in der Reklame eines | |
Versandantiquariats, die Käufer eines Buches über die Rolling Stones | |
erwarte „neben deren teils überraschender Werke über 700 Abbildungen“ – | |
neben hoffentlich nicht ganz so vielen teils überraschendem | |
Grammatikfehlers. | |
„Wo wird einem gelehrt“ (taz), wie es richtig gemacht wird? Das ist der | |
Kasus knacksus. Die Glosse schließt mit „Dank an allen“, wie einmal eine | |
Fernsehzeitung den Fall knackte. | |
27 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
## TAGS | |
Sprache | |
Sprachkritik | |
deutsch | |
Sprache | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Sahra Wagenknecht | |
Kiosk | |
Bodo Ramelow | |
Schlachthof | |
Die Wahrheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Arme deutsche Sprak | |
Neues von der Sprachkritik: Hinterlistige Cocktails und fatale Bärendienste | |
sind die neuesten Errungenschaften rhetorisch versierter Medien. | |
Die Wahrheit: Die Lunte brennt! | |
Bundestagswahl 2021: 44 faszinierende Mini-Parteien dürfen am Urnengang | |
teilnehmen, 43 hat der Bundeswahlleiter nicht zugelassen. | |
Die Wahrheit: Ein Prickel von einem Kerl | |
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Frank-Walter „Steini“ | |
Steinmeier, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. | |
Die Wahrheit: Bis hinter den roten Mond | |
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Sahra „Skurril“ | |
Wagenknecht, die bekannteste Langstreckenradlerin des Ostens. | |
Aus Liebe zur Druckerschwärze: Treffpunkt Kiosk | |
Im fränkischen Weinstädtchen Lauda führt Angela Kaserer den wohl letzten | |
klassischen Bahnhofskiosk Deutschlands. Mit Erfolg. | |
Die Wahrheit: Roter Zar im grünen Herzen | |
Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Bodo „Revolution“ | |
Ramelow, klassenkämpferischer Herr des Bratwurstlandes Thüringen. | |
Die Wahrheit: Der Schweineflüsterer | |
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Clemens „Kotelett“ | |
Tönnies, der letzte, große deutsche Schlachtviehversteher. | |
Die Wahrheit: Bis in die Wohnung verfolgt | |
Neues von der Sprachkritik: Auf die Reihenfolge es kommt an. Dabei darf man | |
„scho au“ (Bundestrainer Jogi Löw) pingelig sein. |