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# taz.de -- Die Wahrheit: Arme deutsche Sprak
> Neues von der Sprachkritik: Hinterlistige Cocktails und fatale
> Bärendienste sind die neuesten Errungenschaften rhetorisch versierter
> Medien.
Bild: Formen Sie mit der Zunge im Mund ein L wie Labern
„Oh, was ist die deutsch Sprak für eine arm Sprak! Für eine plump Sprak!“,
ruft in Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“ der französische Offizier
Riccaux de la Marlinière aus. Der ist eine Karikatur, richtig ist das plump
Gegenteil: Deutsch ist eine reich Sprak, will Lessing sein Publikum lehren.
Heute sind die Massenmedien an Lessings Stelle getreten. Sie beweisen, dass
die deutsch Sprak sogar reicher als die Welt ist, die sie abbilden! Oder
gibt es in der platten Wirklichkeit „ausgelaufene Schuhe“ (NDR4) und ein
„längliches Verhör“ (taz)? Kann ein Paar nach der Ehekrise „sich wieder
zusammenraffen“ (t-online.de), und musste wirklich „der Wrack des Prinzen
genäht werden“ (Göttinger Tageblatt)? Fürwahr, „die Cocktails sind
hinterlistig“ (taz), wenn man sie schon während der schweren Spracharbeit
in der Redaktion säuft!
Wer aber nüchtern auf dem Boden der Tatsachen bleibt, kann über die
„glanzvolle Blütezeit“ Ägyptens informieren (arte) oder mit „Indira Gan…
eine weibliche Premierministerin“ (NDR4) porträtieren anstelle einer
männlichen, kann beklagen, dass eine Politikerin „ihrer Partei einen
fatalen Bärendienst“ (taz) erweist oder „Tiere ihrem eigenen Schicksal
überlassen“ wurden (arte).
„Die deutsche Sprache ist auf einen so hohen Grad der Ausbildung gelangt,
daß einem jeden in die Hand gegeben ist, sich dem Gegenstande wie der
Empfindung gemäß nach seinem Vermögen glücklich auszudrücken“, befand
Goethe und hatte leicht reden. Schwerer hat es die taz; wenn sie behauptet:
„Schach ist in der Ukraine von großer Bedeutung, obwohl es auch statistisch
gesehen das populärste Brettspiel auf der ganzen Welt ist“, so trifft das
eine tatsächlich zu, obwohl das andere auch stimmt. Sicher ist sicher!
Schach und matt!
## Seil und Haken
Was den Bergsteigern Seil und Haken, sind den Journalisten deshalb Wörtchen
wie „dort“ und „jeweils“. „Es hatte große Hoffnungen in Montenegro
gegeben“, schreibt die taz, „als der grün-liberale Politiker Dritan
Abazovic dort zum Ministerpräsidenten gewählt wurde“ – und nicht anderswo.
Sie lobt „Walter-Borjans, der als NRW-Finanzminister dort gute Arbeit
geleistet hat“, und aus Frankreich berichtet die taz dies: „Doch Hervé Le
Moal hat aus Zorn über die Asylpolitik des Gemeinderates beschlossen, die
‚Bar‘ zu schließen, die vorher jeweils als einziger Treffpunkt am
Freitagmorgen geöffnet war.“
Eher überraschend ist, dass die taz nicht schreibt „der Walter-Borjans“ und
„der Le Moal“, obwohl sie „den Staatschef Xi Jinping“ kennt und „den
Fraktionschef Manuel Hagel“ von der CDU Ba-Wü zitiert – vielleicht, um
diese ehrenwerten Männer ein wenig zu striezen. Die Ursula von der Leyen,
die ist übrigens auch so eine, „die hat die Schaffung einer Ethikbehörde
versprochen, doch diese Behörde lässt auf sich warten“ (taz).
„Nicht immer ist wichtig, was man sagt, stets jedoch, wie man es sagt“,
sagt Maxim Gorki. Nicht wenige machen es umgekehrt: Sie tun Wichtiges, nur
nicht immer richtig. Also fährt ein „taz-Genosse aus Überzeugung langsam
auf der Autobahn. Mit einem Aufkleber erhofft er sich viele zum Nachahmen
zu bewegen“ – statt es einfach zu hoffen, und zwar ohne autistisches sich,
weil’s um die anderen geht. Schnell „hat man sich ein Eigentor geschossen“
(NDR4)!
## Menschen und Huftiere
Wo „man“ steht, sind „Menschen“ gemeint, nur dass ihm die menschelnde
Aufdringlichkeit fehlt. Eben die fehlt aber manchen. Deshalb müssen
„Menschen“ rein, selbst wenn sie überflüssig sind: „Die Wahlbeteiligung…
Menschen“ und nicht die der Huftiere gibt NDR4 bekannt, und beim
Karnevalstreiben eines belgischen Städtchens endet „die Feier der Menschen
in einer Tragödie“ (taz) statt die der Moschusochsen. Nur wo Menschen
notwendig sind, fehlen sie: „Die lauteste Meinung hat häufig nicht die
leiseste Ahnung“, so die laute Meinung des besser mal ganz leisen
Handelsblatts.
„Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht“, dichtete Klopstock.
Schön auch ist die deutsche Sprache, wenn sie prächtige Euphemismen
erfindet, „Formfleisch“ für Fleischabfall, „Eigenverantwortung übernehm…
für selber bezahlen; auch bedrückt die Arbeit weniger, wenn sie keine
Ausbeutung, sondern nur eine „Form der Ausbeutung“ ist, womit der Akzent
auf der Form liegt und die Ausbeutung mehr so durchrutscht. Die Folge:
„eine hohe Identifikationsfunktion“ (Phoenix) mit der kapitalistischen
Realität.
Oder ist der Kapitalismus abgeschafft, ohne dass es jemand gemerkt hat? Wie
ist’s passiert? Ein Wissenschaftler, dessen Aussage die taz paraphrasiert,
weiß, woran es nicht lag: „Der Kapitalismus ist nicht an der sozialen Armut
kaputtgegangen.“ Bleibt nur die Frage: Woran dann?
Der Kapitalismus zeichnet sich durch eine reich Sprak aus, von der die arm
deutsch Sprak sich was abschauen kann, findet der Kritiker. Womit die
Glosse „final abgeschlossen sei“ (taz)!
13 Sep 2022
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Sprache
Sprachkritik
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Esoterik
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Die Wahrheit
Deutsche Sprache
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