| # taz.de -- Aus Liebe zur Druckerschwärze: Treffpunkt Kiosk | |
| > Im fränkischen Weinstädtchen Lauda führt Angela Kaserer den wohl letzten | |
| > klassischen Bahnhofskiosk Deutschlands. Mit Erfolg. | |
| Bild: Angela Kaserer in ihrem Laden | |
| Man sieht es Angela Kaserer nicht an, dass sie jeden Morgen im Jahr in | |
| aller Herrgottsfrühe aufsteht, ihren Kiosk neu bestückt und dann zwischen 6 | |
| Uhr und 19 Uhr Kunden bedient. „Ich habe sozusagen eine 91-Stunden-Woche“, | |
| sagt sie gut gelaunt, perfekt frisiert. „Mir macht das aber nichts aus. Ich | |
| bin mein eigener Herr und an keine Kette gebunden.“ | |
| Geli, wie sie bei ihren Kunden heißt, hat mit ihrem Laden, in dem es | |
| neuerdings auch Coffee to go gibt, so etwas wie Seltenheitswert. Die | |
| Einzelkämpferin ist überzeugt, dass ihr Bahnhofskiosk der letzte in | |
| Deutschland ist, dessen Geschäft zu 98 Prozent aus Zeitungen und | |
| Zeitschriften besteht. Die übrigen zwei Prozent sind Lotto und besagter | |
| Kaffee, zu dem man einen Gratiskeks bekommt. Ein fast ausgestorbenes | |
| Geschäftsmodell. | |
| „Mein Kiosk ist im Grunde eine Art Wohnzimmer, meine Kunden kommen nicht | |
| zum Zeitungskauf, sie wollen einen Plausch. Hier geht keiner ohne gute | |
| Laune raus“, sagt sie selbstbewusst und zeigt auf den hinteren Teil des | |
| Ladens. Dort treffen sich einmal im Monat Frauen aus dem Ort. „Wenn die | |
| neuen Handarbeitszeitungen kommen, reden sie dahinten über ihre Strick-und | |
| Patchworksachen, knien auf dem Boden und schauen Schnittmuster an. Wenn du | |
| strickst und bastelst, brauchst du Auswahl“, erläutert sie. Und die gibt es | |
| bei Geli. | |
| Sie überlebt dank eines enorm breiten Sortiments an Magazinen, wie man es | |
| nicht einmal auf Deutschlands Flughäfen findet. 2.500 Titel führt sie, im | |
| Winter, wo die Leute besonders viel lesen, sind es sogar 3.000. Die | |
| Angebotspalette ist unerschöpflich, führt über Reisen, Auto, Computer, | |
| Esoterik, Psychologie, Kochen, Gärtnern und Handarbeiten bis in | |
| hochspezialisierte Felder, wie etwa die Gewässergestaltung für die | |
| Modellbahnlandschaft. Sogar das Straßenbahn-Jahresbuch für Deutschland | |
| findet man hier, ebenso wie ein Magazin für Vinyl-Kultur, Akustik-Gitarre | |
| oder eine Einführung in das Betriebssystem Ubuntu. Sogar Architekten kommen | |
| hierher und holen sich ihre Fachmagazine | |
| ## Keiner kaufte die taz | |
| „An Zeitschriften haben wir alles, was man sich vorstellen kann“, sagt Geli | |
| stolz. Dafür wurde sie im Jahr 2001 von der kleinen Bild mit dem Titel | |
| „Bahnhof des Monats“ prämiert. Für den Kampf gegen das Internet fühlt sie | |
| sich bestens gerüstet. „Dort hat man doch nicht die Möglichkeit, so viele | |
| Magazine auf einmal zu sehen wie hier, wo ich in aller Ruhe blättere und | |
| dann eine freie Auswahl treffe, was ich lesen will“, so Geli. Das | |
| Zeitungsgeschäft ist freilich auch bei ihr rückläufig, immer seltener | |
| greifen die Menschen zu überregionalen Blättern. „Die taz führte ich | |
| anfangs, aber im Taubertal wurde sie nicht gelesen“, sagt sie fast | |
| entschuldigend. | |
| Gelis Laden ist eine Institution in Lauda, einem verschlafenen Städtchen, | |
| das vielen Menschen in Deutschland nur ein Begriff ist, weil es als | |
| Haltepunkt auf der Zugstrecke nach Hamburg liegt. Vor 53 Jahren eröffnete | |
| Gelis Vater Alois den Laden, auf gerade einmal acht Quadratmetern, damals | |
| gab es auch ein kleines Fensterchen zu den Bahngleisen. Als der Vater | |
| starb, wollte die gelernte Fotografin den Laden nicht übernehmen. Doch ein | |
| Jahr später erbarmte sie sich. Denn der Kiosk wäre fast pleitegegangen, | |
| weil man einen Angestellten zahlen musste. | |
| „Im Jahr 1986 entbrannte meine Liebe zum Bahnhof“, sagt sie. Sie kaufte den | |
| davor gelegenen Friseurladen gleich dazu und vergrößerte den Kiosk, damals | |
| kam auch der Kachelofen hinzu. „Ich habe die Entscheidung nie bereut, mein | |
| Laden ist ein irrer Treff, eine Insel“, sagt Geli. Gerne erinnert sie sich | |
| an einen Außendienstler, von der Süddeutschen, einen gewissen Herrn Graf, | |
| der in Gelis ersten Kioskjahren regelmäßig vorstellig wurde. „Der sagte | |
| immer, wenn du einmal an der Druckerschwärze klebst, kommt du nie wieder | |
| weg. Er sollte recht behalten“. | |
| 1 May 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Ute Müller | |
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