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# taz.de -- Komplexe Pandemie-Logistik: Ein Satz zum Einrahmen
> Endlich wieder ins Museum! Und dann auch gleich zum Shoppen? Mit der „Na
> ICH pass ja auf“-Attitüde kann man sich jedes Corona-Risiko schönreden.
Bild: Ein Kolosseum mitten im Hamburger Bahnhof. Dahinter verbirgt sich die Sch…
„Am Donnerstag geh ich mit S. in den Hamburger Bahnhof. In 1 Museum!!1ELF1
Aufregend!!!“, schreibt mir C. vorige Woche auf Whatsapp und schiebt
hinterher: „Dinge, die man 2021 sagt.“ – „Das geht???!!!!?!?!!?“, ant…
ich und bin tatsächlich so überrascht, wie die Satzzeichenmenge andeutet.
Liegen nicht die Inzidenzen weit über 100? Und las ich nicht neulich, dass
die Berliner Modellprojekte im Kulturbereich gestoppt werden?
Das wurden sie auch, aber das waren andere Projekte und die Museen müssten
vielleicht laut Notbremse schließen, aber haha, reingelegt – tun sie
natürlich nicht. Stattdessen wurde der Hamburger Bahnhof noch zusätzlich
geöffnet. Pandemie, LOL.
Andererseits will ich am gleichen Donnerstag etwas am Kurt-Schumacher-Platz
abholen, mit dem Rad, denn ich bewege mich ja so wenig gerade, und auf dem
Weg dorthin liegt mein Steuerberater, wo ich eh noch Unterlagen hinbringen
muss, praktischerweise sehr nah beim Hamburger Bahnhof, und weil außerdem
meine Freundin in diesen Tagen ihre Teenager-Nichte zu Besuch hat, die
wiederum shoppen will in Berlin, weswegen die beiden eh einen Schnelltest
machen müssen, schlage ich vor, dass wir drei ebenfalls in den Hamburger
Bahnhof gehen, dann sieht die Nichte auch noch Kultur und so.
Den vorigen Satz dürfen Sie sich ausschneiden und als Beispiel für „Wie man
sich jedes eigene Coronarisiko schönreden kann“ einrahmen. Und weil es so
schön ist, buche ich mir erstmals Click&Meet-Shopping-Slots, mit schlechtem
Gewissen, aber auch mit einer „Na ja, das dauert nur fünf Minuten und ICH
pass ja auf“-Attitüde. Es gibt da nämlich eine nicht online bestellbare
Handcreme, die ich am Ku’damm bekommen kann. Dazu noch der logistisch
perfekt gelegene Gratis-Schnelltest am Moritzplatz und fertig ist mein
Pandemie-Unterhaltungsnachmittag.
## Selbst die Schließfach-Nutzung ist ein Ereignis
Am Hamburger Bahnhof sollen wir unsere Negativtests an der Eingangstür
vorzeigen, aber in den zwei Sekunden, in denen der Mann auf unsere Handys
schaut, hätte ich ihm jedes beliebige PDF hinhalten können. Egal: Wir sind
drin, und wieder in ein Museum zu gehen hat schon etwas Ergreifendes, sogar
die Nutzung der Schließfächer fühlt sich bedeutend an. Dann rein in die
große Halle, in die [1][Pauline Curnier Jardin ein Kolosseum wie aus
Marzipan gebaut hat] – ergreifend! Aber das sagte ich ja bereits.
Leider wartet davor eine Schlange. Der Film im Kolosseum dauert 20 Minuten,
es dürfen aber nur fünf Leute gleichzeitig in die zirkuszeltgroße Arena. In
Verbindung mit den im Viertelstundentakt verkauften Einlass-Timeslots fühlt
sich das einigermaßen sinnlos an. Die meisten anderen Gäste werden eine
Karte für sämtliche Ausstellungen besitzen, wir haben aber nur genau für
diese eine gebucht und sind ratlos. Bleiben? Gehen? Auch wenn der Hamburger
Bahnhof hoch ist und alle Masken tragen, richtig geil ist das nicht mit den
Aerosolen.
Als einige Leute vor uns aufgeben, bleiben wir schließlich und warten
dennoch fast eine Stunde. Drinnen läuft noch zwölf Minuten ein Countdown
runter, dann erst startet der Film auf einer Riesenleinwand. Die braucht er
auch, denn er zeigt Menschenmassen, ein präpandemisches Gewusel und
Getümmel, das man kaum noch begreifen kann, aufgenommen beim Kölner
Karneval 2020 und kurz zuvor beim Fest der heiligen Agata in Catania. „Fat
to Ashes“ ist ein Rausch aus Bildern und Tönen, Luftballons und Leibern,
Süßspeisen und Schweinen, in dem streng rituelle Abläufe und
Kontrollverlust direkt nebeneinanderstehen. Immerhin hat sich das Warten
gelohnt.
Nur ist jetzt meine ausgeklügelte Logistik im Eimer. Ich schaffe es noch
rechtzeitig zum Kurt-Schumacher-Platz, aber nicht mehr zum Ku’damm, denn
coronabedingt machen die Läden schon um 18 Uhr zu. Kein Shopping also. Na
ja. Ist ja eh viel zu riskant bei den Inzidenzen gerade!
21 Apr 2021
## LINKS
[1] /Ausstellung-Fat-to-Ashes/!5764623
## AUTOREN
Michael Brake
## TAGS
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