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# taz.de -- Songs über Gentrifizierung: Wenn die Decke nach Fisch stinkt
> Aus seinem Musikstudio wurde er vertrieben. Nun besingt Rafael Triebel in
> seinem Soloprojekt CoppiCat programmatisch den Umbau Berlins.
Bild: Freiheit bemisst sich an der Miete, die man sich leisten kann: Musiker Ra…
„Zeitlos und elegant“ sei sie, die Deckenplatte „Decorate“, verspricht …
Hersteller, sie „kaschiert elegant Baumängel und kleine Risse“. Ist die
Decke erst einmal abgehängt, ziehen die 50 mal 50 Zentimeter großen Platten
„bewundernde Blicke auf sich und geben dem Zuhause einen schwelgerischen
Charakter“. Hinter einer dieser Platten allerdings, in einem ehemaligen
Musikstudio in der Coppistraße, verbirgt sich seit einiger Zeit ein toter
Fisch. Wer also gerade in Lichtenberg nach dem Ursprung dieses
unerklärlichen Gestanks sucht, sollte einen Blick hinter die
Deckenabhängung werfen.
Der vergammelnde Fisch war ein letzter Gruß von Rafael Triebel an jene, die
ihn aus seinem Studio vertrieben haben. Der Musiker gesteht das in einem
Lied, das „In der Coppistraße“ heißt und Teil der ersten, kurzen EP seines
Solo-Projekts CoppiCat ist. Eine EP, in deren drei Songs es programmatisch
um die Veränderung Berlins, den Umbau dieser Stadt geht.
Zugegeben, Triebel ist nicht der Erste, der sich damit beschäftigt. Das
Thema hat lange schon Einzug gefunden in die Popkultur, vor allem in die,
die aus Berlin kommt. Popmusikerinnen und Popmusiker schreiben Lieder,
ganze Alben und Christiane Rösinger mit „Stadt unter Einfluss“ [1][sogar
ein Musical] darüber, dass Berlin auch nicht mehr das ist, was es mal war,
und fragen sich, wohin das noch führen soll.
Das mag wohl nicht zuletzt daran liegen, dass viele Musiker*innen ja
einst nach Berlin gekommen sind, weil es mal billig war und sich ein Leben
in der Nische und ohne viel Geld hier noch halbwegs bewerkstelligen ließ.
Dann aber, logisch, gehörten dieselben Musiker*innen in ihrem
strukturell prekären Lebensentwurf zu den Ersten, die von der
Gentrifizierung betroffen waren. Zuerst verschwanden die Proberäume aus den
Szenevierteln, dann wurden die Clubs verdrängt, und schließlich zogen auch
die Musiker*innen selbst nach Lichtenberg. Dass sie dafür zumindest
mitverantwortlich sind, dass die Verdrängung überhaupt in Gang kam, ist
eine bereits vielfach diskutierte Ironie der Geschichte.
Das, was Rafael Triebel alias CoppiCat passiert ist und zu seiner eben
erschienenen ersten EP geführt hat, darf nun als Paradebeispiel für diese
Geschichte gelten. Der gebürtige Berliner Triebel spielte früher einmal
Gitarre in der Popband Radiopilot, die zwar einen Vertrag bei einer großen
Plattenfirma ergattern konnte, aber anschließend nur sehr überschaubare
kommerzielle Erfolge feierte. Als sich Radiopilot 2013 auflösten, hatte
Triebel bereits sein Studio in der Lichtenberger Coppistraße, in dem er
Filmmusik aufnahm und Bands produzierte, nicht weit entfernt vom
„Rockhaus“.
Triebel war mit dabei bei den Demonstrationen, die dazu beigetragen haben,
dass das „Rockhaus“ mit seinen 186 Proberäumen erhalten werden konnte. Kurz
darauf aber wurde der Mietvertrag für sein eigenes Studio nicht mehr
verlängert, was man getrost als exemplarisch lesen kann: [2][Das Symbol war
gerettet,] aber die grundsätzliche Situation blieb unverändert beschissen,
die Verdrängung ging fröhlich weiter.
Als Triebel nach 13 Jahren sein Studio verlor, war der Moment gekommen,
unter seinem Alias CoppiCat, das er bislang ausschließlich dazu verwendet
hatte, Remixe für Bands wie Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen oder The
House Of Love zu produzieren, einen Kommentar zur Lage abzugeben.
Der erste Song, der entstand und einer von dreien auf der EP, ist
erwartungsgemäß stark autobiografisch: „In der Coppistraße“ ist ein nerv…
vorwärtstreibendes Stück, in dem Triebel mit nölender Stimme den Verlust
alter Selbstverständlichkeiten und Freiheiten beklagt und feststellt, dass
sich die Freiheit eben auch nach der Anzahl der Kubikmeter bemisst, deren
Miete man sich leisten kann.
Sehr viel aufgeräumter ist „Unsere alte Liebe“, ein eingängiger
Power-Pop-Song, dem man eine satte Bläsersektion wünschen würde, aber auch
er handelt ganz konkret vom Umbau der Stadt. „Wir waren verwirrt, wir haben
nichts mehr verstanden“, singt Triebel und führt damit die übliche Klage
über höhere Mieten und reiche schwäbische Erben, die einem mit dem Bugaboo
in die Hacken fahren, auf eine höhere, persönliche Ebene, auf der er sich
auch damit beschäftigt, was dieser Prozess in den Seelen der Verdrängten
anrichtet.
Zu diesem Song gibt es einen sehr schönen POV-Videoclip, in dem der
Protagonist noch einmal seinen alten Kiez abschreitet und unter anderem
auch auf einem Spielplatz landet. Man sieht seine Füße über ein
Balance-Gerüst spazieren oder auf dem Trampolin herumhüpfen, die eigene
Kindheit wird stillschweigend verknüpft mit den neuen Bewohnern, deren
Nachwuchs nun an denselben Orten ähnliche, aber doch ganz neue
Kindheitserfahrungen sammelt, in denen womöglich ja auch „Decorate“ eine
Rolle übernimmt.
Jedenfalls scheinen die Deckenplatten derzeit so beliebt zu sein, dass sie
nicht lieferbar sind.
19 Apr 2021
## LINKS
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[2] /Rockhaus-in-Lichtenberg/!5595032
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Musik
Berlin
Gentrifizierung
Popmusik
zeitgenössische Fotografie
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