# taz.de -- Buch über Bäume: Runzeln sind ihre Zierde | |
> Aus Ehrfurcht vor uralten Bäumen: Zora del Buono ist ihnen auf der ganzen | |
> Welt hinterhergereist. eine Datenbank zeigt, wo sie stehen. | |
Bild: Wird dieser Baum einmal unter Denkmalschutz stehen? – Wenn der Klimawan… | |
Auch Bäume haben ein Leben. Und werden schöner von Tag zu Tag. Runzeln sind | |
ihre Zierde, und wenn sie altern und knochiger werden, wenn sie immer | |
dicker und mächtiger werden und irgendwann alle Dimensionen sprengen, dann | |
werden sie geliebt und bestaunt. Und wenn sie – uralt geworden – | |
schließlich gestützt und präpariert auf satte tausend Jahre Dasein | |
zurückblicken können, dann vertiefen wir kurzlebigen Menschen uns schon mal | |
andächtig in ihre Lebensgeschichte. | |
Zora del Buono erzählt in ihrem Buch „Das Leben der Mächtigen“ eine solche | |
Geschichte: Von der Linde in Schenklengsfeld bei Hersfeld im nördlichen | |
Hessen. Denn mit ihr verbinde sich wie in einem Brennglas deutsche | |
Historie, angefangen bei Germanen und Thing-stätten bis hin zu einer | |
späten, versöhnlichen Wiederbegegnung eines ehemals vertriebenen Juden und | |
Schenklengsfeldern. | |
Diese Linde soll im Jahr 760 gepflanzt worden sein, sie gilt als ältester | |
Baum Deutschlands. Vielleicht war sie ein Siegeszeichen der | |
Christianisierer um den Mönch Bonifatius. Sie stand im Zentrum | |
mittelalterlicher Gerichtsbarkeit und sommerlicher Feste und ländlicher | |
Märkte, sie erlebte die Verwerfungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Heute | |
ist sie eine touristische Attraktion. | |
Fünfzehn dieser „Mächtigen“ ist Zora del Buono auf der ganzen Welt | |
hinterhergereist. Sie hat ihnen ihre „Aufwartung“ gemacht. Aber | |
ausgerechnet die Schenklengsfelder Linde habe ihr eine schlaflose Nacht im | |
Gasthof gegenüber beschert. Zu nah die Gespenster des Mittelalters mit | |
ihren Folterwerkzeugen, den Halseisen, dem Schandpfahl, den johlenden | |
Gaffern, diesem ganzen Grauen. | |
## Autorität Baum | |
Andererseits wirkt diese alte Linde selbst etwas gespenstisch. Wo ein Stamm | |
sein sollte, ist eher ein dunkles, vergammeltes Nichts, stattdessen gibt es | |
vier prächtige, ehemals „geleitete“ Seitentriebe. Dendrologische Fachleute, | |
etwa Andreas Roloff von der TU Dresden, geben diesem Ensemble | |
allerhöchstens 900 Jahre – aber immerhin: der gesamte Umfang macht circa 18 | |
Meter aus. Imponierend auch die massive Stützkonstruktion, die die | |
Riesenlinde rundum stabilisiert. Man merkt, dass sich dieser Baum bis heute | |
als eine Autorität behauptet hat. | |
Schenklengsfeld selbst ist eigentlich kein Ort, der fesselt. Eher | |
funktional als idyllisch, einer wie viele andere im ländlichen Raum. Der | |
ehemalige Marktplatz ist eher ein Parkplatz. Doch hier kümmert man sich um | |
den alten Baum. Und das ist nicht selbstverständlich. In Romrod, auf der | |
Höhe von Alsfeld, besuchen wir auf der Rückfahrt nach Frankfurt die dickste | |
Robinie in Deutschland. Aus dem zerklüfteten alten Reststamm wachsen | |
jüngere Stämme. Sie steht auf privatem Grund an einer Mauer zur Straße, | |
neben Verkehrsschildern und einem großen Parkplatz samt Rewe gegenüber. | |
Kein schöner Anblick. | |
Dabei sind und waren Bäume in der Menschheitsgeschichte ein Dauerthema. Mal | |
groß in Mode als Freiheitsbäume zu revolutionären Zeiten, mal als wertvolle | |
Geschenke unter Adeligen und Staatenlenkern. Es gibt sie seit jeher als | |
Heiligtümer, sie gehörten einmal auf jeden Marktplatz wie die Kirche ins | |
Dorf oder der Hutebaum auf die Weide, und einen Baum zu pflanzen war | |
„Mannespflicht“ wie ein Haus zu bauen und ein Kind zu zeugen. | |
Jenseits jeden praktischen Nutzens als Ressource wecken Bäume | |
Leidenschaften wie einst bei Goethe, der sich in den in China entdeckten | |
Ginkgo vernarrte. Bäume machen immer Sinn. Sie könnten das Klima retten. | |
Wobei jetzt aber die Sorge umgeht, dass viele wertvolle alte Bäume unter | |
dem Klimawandel schnell absterben könnten. In Parkanlagen sind Schäden | |
bereits unübersehbar. | |
## Bäume unter Denkmalschutz | |
Vor allem die Uraltbäume sind wichtig. Zora del Buono bewundert sie als das | |
Universum, das sie für viele Lebewesen darstellen, „ein ganz eigenes Reich, | |
das viele seiner Bewohner niemals verlassen …“ Es sind Biotope. Eine alte | |
Eiche bietet Lebensraum für mindestens eintausend verschiedene Arten – vom | |
Eichelhäher bis zum Klapperschwamm. | |
In den Jahresringen der Bäume sind [1][Klimainformationen der | |
Vergangenheit] gespeichert. Selbst Ereignisse wie das Jahr ohne Sommer, | |
1816, lassen sich darin ablesen. Die Ringe geben Auskunft, wie der Baum | |
beziehungsweise seine Art mit den Klimazyklen der Vergangenheit | |
zurechtgekommen ist – und dies vielleicht in Zukunft bewältigt. | |
Viele der alten Bäume stehen unter Denkmalschutz. Trotzdem: etwas mehr | |
Aufmerksamkeit sei dringend nötig, so der Forscher Andreas Roloff. Die | |
Deutsche Dendrologische Gesellschaft hat mit Roloff im Jahr 2019 die | |
Initiative „Nationalerbe-Bäume“ gestartet. Erklärtes Ziel: fachgerechte | |
Pflege, sensible Förderung und unterstützende Maßnahmen, damit die alten | |
Bäume „in Würde“, und das heißt möglichst unverstümmelt altern können… | |
Dendrologe beklagt unsachgemäße Baumschnitte und Kappungen, etwa um der | |
(Verkehrs-)Sicherheit willen. Und verweist auf England, ein Land mit sehr | |
vielen sehr alten Bäumen, wo es auch ein Hinweisschild tue mit Aufschrift: | |
„Trees can be dangerous.“ | |
100 Nationalerbe-Bäume hat sich die Initiative vorgenommen, sieben haben | |
bis jetzt diesen Status erreicht. Voraussetzung ist ein Stammumfang von | |
mindestens 4 Metern und ein Alter von mindestens 400 Jahren. Eine Stiftung | |
übernimmt vorerst die Kosten. | |
Mit ihrer Datenbank zu [2][ChampionTrees] hat die Dendrologische | |
Gesellschaft bereits eine interessante und auch für Laien spannende | |
Informationsgrundlage aufgebaut. Was viele nicht wissen: Tausend Jahre alte | |
Bäume gibt es hierzulande eigentlich nicht. Darüber hinaus schafft es | |
allenfalls mal eine Eibe. Zwischen fünfhundert und tausend Jahre alt werden | |
sonst nur Sommer- und Winterlinden, Stiel- und Traubeneichen, Esskastanien | |
und in Berggebieten noch Bergahorn, Lärchen und Arven. | |
Von den beliebten Ginkgos kann das niemand wissen, sie wurden erst vor 280 | |
Jahren eingebürgert. Ähnliches gilt für die noch jüngeren Zedern. Die | |
beiden Letzteren – und dazu könnte man beispielsweise auch Platanen zählen | |
– gelten manchen als Hoffnungsträger, um dem Klimawandel zu trotzen. | |
## Datenbanken über Bäume | |
Einige Exemplare dieser neuen Arten machen jetzt schon einen großartigen | |
Eindruck. Im Auerbacher Staatspark „Fürstenlager“ an der Bergstraße hat es | |
ein Bergmammutbaum in 170 Jahren auf über 50 Meter Höhe geschafft. Er ist | |
das Superlativ unseres nächsten Ausflugs, nämlich Deutschlands höchster | |
Mammutbaum. Und ein Gruß aus Kalifornien. Die mächtigste Zeder – es ist | |
eine Libanonzeder – wächst am Rande des Taunus in Bad Homburg vor dem | |
dortigen Schloss. Sie kam 1818 als Geschenk ins Hessische. Die große, | |
ausladende Zeder erinnert an ganz andere, archaische Landschaften. | |
Diese alten Bäume in der Umgebung ausfindig zu machen, ist einfach. Im Netz | |
finden sich einige Datenbanken, Kartenansichten mit Koordinaten und vielen | |
Infos von Baumliebhabern, auch unabhängig von den universitären Experten. | |
Mindestens fünf Uraltbäume könnten wir auf einem Ausflug an den Rhein in | |
Richtung Rüdesheim besuchen. Im Weinort Geisenheim treffen wir auf das | |
Gegenstück zu Schenklengsfeld, die ehemalige Gerichts- und Tanzlinde. Sie | |
steht mitten im Ort im historischen Ensemble des alten Marktplatzes vor dem | |
alten Rathaus. Aber anders als die Schenklengsfelder steht die Geisenheimer | |
Linde auch mitten im Leben, sie gehört zum belebten Ortskern und ist Teil | |
des Alltags der Bewohner. | |
Hier hält man sich ganz selbstverständlich auf. Ein Anblick wie auf | |
heimatfühligen Postkarten. Man könnte sentimental werden. Die Geisenheimer | |
Linde ist möglicherweise 700 Jahre alt. Sie hat also noch etliche Jahre vor | |
sich. Wir wünschen ihr viel Glück. Überleben wird sie uns allemal. | |
10 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Schadensrekorde-bei-Baeumen/!5702886 | |
[2] https://ddg-web.de/championtrees.html | |
## AUTOREN | |
Christel Burghoff | |
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