# taz.de -- Bildungsangebot für Sinti: Der Schlüssel ist Vertrauen | |
> Eine Hamburger Schule plant Unterricht in der geheimen Sprache Romanes. | |
> Das soll helfen, Sinti-Kinder an die Schule heranzuführen. | |
Bild: Künftig mit speziellem Angebot für Sinti: Elbinselschule Wilhelmsburg | |
Hamburg taz | Hamburg geht [1][im Stadtteil Wilhelmsburg neue Wege], um die | |
Kinder von Sinti-Familien an die Schule heranzuführen. Eine | |
Mutter-Kind-Gruppe in der Kita soll den Kleinen bessere | |
Startvoraussetzungen verschaffen, wenn sie in die Vorschule kommen. Dazu | |
kommt Unterricht in der Sprache Romanes, die nicht verschriftlicht ist und | |
nur unter Sinti weitergegeben wird. | |
„Was wir am allermeisten brauchen, ist Bildung“, findet Christian Rosenberg | |
vom [2][Hamburger Sinti-Verein], einem Familienbildungszentrum für Sinti | |
und Roma. Aus historischen und traditionellen Gründen tun sich viele | |
Sinti-Familien schwer, ihre Kinder länger als nötig, wenn überhaupt, auf | |
die Schule zu schicken. Allerdings reift bei vielen inzwischen die | |
Erkenntnis, dass sie ihren Kindern damit Aufstiegschancen verbauen. | |
Rosenberg ist überzeugt, dass viele Sinti und Roma ihr Potenzial nicht | |
ausschöpfen. „Wir sind nicht bildungsfern, wir wurden von der Bildung | |
ferngehalten“, sagt der Projektleiter mit Blick auf eine lange Geschichte | |
der Aus-grenzung. Und wenn Sinti-Kinder dann mal in der Schule waren, sei | |
ihnen ein Malbuch in die Hand gedrückt worden. Viele Sinti zogen den | |
naheliegenden Schluss, die Kindern dann eben ihre traditionellen Berufe wie | |
Torf- oder Schrotthändler lernen zu lassen. | |
Er habe versucht, Wege aus dieser Sackgasse zu finden, erzählt Rosenberg. | |
Eine dieser Ideen seien Bildungsbegleiter, die die Mütter mit ihren Kindern | |
in die Kitas lotsen. In Mutter-Kind-Gruppen, wie es sie Hamburger Westen | |
bereits gibt und wie sie für Wilhelmsburg geplant sind, sollen sie Müttern | |
und Kindern helfen, sich voneinander zu lösen. | |
## Kinder können zu den Müttern laufen | |
Der Tag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück. Die Gruppen haben zwei | |
Räume, einen für die Mütter, einen für die Kinder, wobei die Kinder | |
jederzeit hin und her wechseln können. „Am Anfang ging es zu wie im | |
Taubenschlag“, erinnert sich Rosenberg, so oft seien die Kinder zwischen | |
ihrer Gruppe und ihren Müttern hin und her gelaufen. | |
Doch die Mütter, die traditionell ein starkes Gefühl haben, ihre Kinder | |
behüten zu müssen, entspannten sich; die Kinder gewöhnten sich daran, den | |
Familienverband zu verlassen, und die Mütter erhielten die Gelegenheit, | |
sich über pädagogische Ideen auszutauschen. | |
Möglich wurde das, weil die Bildungsbegleiter selbst Sinti und Roma sind, | |
für die dieser Beruf zugleich eine Qualifizierungschance bietet. „Das | |
Zauberwort ist Vertrauen“, sagt Rosenberg – Vertrauen und eine Begegnung | |
auf Augenhöhe. | |
Beides ist auch entscheidend für die Zusammenarbeit mit der Schule | |
Rahmwerder Straße, die neben der Sinti-Siedlung Georgswerder Ring liegt. | |
„Es geht für die Familien darum, einen ersten Schritt zu wagen in ein | |
behördliches System, in dem Bildung angeboten wird“, sagt Christian Meyer, | |
Abteilungsleiter der [3][Elbinselschule], zu der Rahmwerder gehört. Dabei | |
werde dieses System schnell als übergriffig empfunden. | |
Rosenberg ist voll des Lobes für Meyer und dessen Chef Thomas Hawellek: | |
„Die Leute merken: Hier ist ein Team entstanden, das uns mitnimmt.“ Die | |
beiden Lehrer hätten den Mut, „Ansätze zu finden, die konform sind mit dem | |
Schulgesetz, aber eine gewisse Freiheit lassen“, sagt er. Ohne eine so | |
entgegenkommende Haltung wäre es nicht möglich, eine Mutter-Kind-Gruppe | |
einzurichten. Dabei soll die Gruppe nicht auf Roma beschränkt sein, sondern | |
sich auch anderen öffnen, etwa den bulgarischen Wanderarbeitern im | |
Stadtteil. | |
## Unterricht in Romanes | |
Das Vertrauensverhältnis ermöglicht auch ein Pilotprojekt: | |
Romanes-Unterricht an der Schule durch Lehrer, die ebenfalls Sinti sind. Im | |
Unterschied zu Roma dürfen Sinti ihre Sprache nicht öffentlich machen. „Bei | |
den Verfolgungen hat uns unsere Sprache das Leben gerettet“, sagt | |
Rosenberg. Nun drohe diese Sprache aber verloren zu gehen. | |
Es wäre schade, wenn da altes kulturelles Wissen verschwände“, sagt | |
Schulleiter Meyer. Das Sprachangebot mache deutlich, dass die Sinti ihren | |
Platz an der Schule hätten. | |
Die Sprachkompetenz der Kinder solle zunächst mündlich vertieft werden, | |
sagt Rosenberg, mit dem Ziel, den Unterricht irgendwann auch zu | |
verschriftlichen. „Es geht darum, dass man die eigene Identität nicht | |
verliert.“ | |
28 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Wie-weiter-in-Wilhelmsburg/!5025574 | |
[2] http://sinti-verein.de/ | |
[3] https://elbinselschule.hamburg.de/category/schule/ | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Sinti | |
Sinti und Roma | |
Schule | |
Integration | |
Bildung | |
Sprache | |
Kita | |
Kita | |
Sinti | |
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti | |
Sesamstraße | |
NS-Verfolgte | |
Sinti und Roma | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
CDU fordert Vorschulen für Bremen: Wer lernt wann und wo? | |
Die CDU-Forderung nach Vorschulen für Bremen finden auch in der | |
Regierungskoalition einige interessant. Doch viele halten das Modell für | |
veraltet. | |
Sinti-Siedlung in Hamburg-Wilhelmsburg: Neustart nach 40 Jahren | |
Anfang der 80er hat der Hamburger Senat eine Siedlung für Sinti errichtet. | |
Danach schaute er weg. Jetzt will die Stadt die Mietverhältnisse ordnen. | |
Diskriminierung von Sinti und Roma: Der lange Weg zur Anerkennung | |
Bis heute begegnen Sinti*zze und Rom*nja Vorurteilen. Nicht nur in | |
Behörden fehlt es oft an Verständnis für die Traumata der Familien. | |
„Sesamstraße“ gegen Rassismus: Wer nicht fragt, bleibt dumm | |
Die US-amerikanische „Sesamstraße“ hat zwei neue Figuren. „Elijah“ und | |
„Wes“ sollen helfen, Kinder über Rassismus aufzuklären. | |
NS-Opferverbände rufen Schlichterin an: Entscheidung mit Signalwirkung | |
Opferverbände sind gegen den Einzug der belasteten Firma Wintershall-Dea | |
ins Gebäude eines NS-Gedenkorts in Hamburg. Nun beginnt ein | |
Schiedsverfahren. | |
Rassismus gegen Sinti und Roma: Aus der Mitte der Gesellschaft | |
Rassistische Vorurteile gegen Sinti und Roma sind ein Problem – besonders | |
im Kontakt mit Behörden habe das existenzielle Auswirkungen auf Betroffene. |