# taz.de -- Ex-Senator zum Berliner Stadtforum: „Das war eine Gratwanderung“ | |
> Heute vor dreißig Jahren fand die erste Sitzung des Berliner Stadtforums | |
> statt. Sein Erfinder, Volker Hassemer, ließ sich so von Fachleuten | |
> beraten. | |
Bild: In den 1990er Jahren war der Potsdamer Platz ein Thema für das Stadtforum | |
taz: Herr Hassemer, am 12. April jährt sich zum 30. Mal die erste Sitzung | |
des Stadtforums. Welche konkreten Erinnerungen haben Sie an den Abend? | |
Volker Hassemer: Für uns war interessant, ob das überhaupt funktioniert, | |
sich mehrere Stunden lang produktiv miteinander auszutauschen. Es war ja | |
keine Vortragsveranstaltung, sondern ein Abend, an dem es darum ging, die | |
Zukunft der nicht mehr geteilten Stadt vorzubereiten. Ich war am Ende vor | |
allem froh, dass es überhaupt funktioniert hat. Wir hatten keine Vorbilder. | |
Dass sich ein Politiker von einem Gremium wie dem Stadtforum beraten lässt | |
und auf öffentliche und teilweise kontroverse Debatten hört, war ja eher | |
ungewöhnlich zu dieser Zeit. Was hat Sie dazu bewogen, dieses Experiment | |
einzugehen? | |
Ich behaupte, dass es nicht nur damals ungewöhnlich war, sondern auch heute | |
noch ungewöhnlich ist. Ich war aber überzeugt davon, dass wir uns bei den | |
Fragen, wie das neue Berlin aussehen soll, nicht allein auf uns selbst, | |
nicht allein auf die Politik oder die Verwaltung verlassen durften. Was uns | |
also trieb, war, das Wissen und die Erfahrung und auch den Enthusiasmus | |
vieler aus der Stadt und darüber hinaus einzubeziehen. | |
Große Fragen erfordern neue Wege? | |
Ich hatte großen Respekt davor, die Antworten auf all die Fragen | |
verantworten zu müssen, die sich in der nun nicht mehr geteilten Stadt | |
unausweichlich stellten. Ich war entschlossen, diese Antworten zu geben. | |
Aber ich wollte sie erst dann geben, wenn ich gehört hatte, was andere dazu | |
sagen. | |
Welche Rückmeldungen haben Sie aus Ihrer Partei, der CDU, bekommen, und was | |
hat der schwarz-rote Senat dazu gesagt, dessen Stadtentwicklungssenator Sie | |
damals waren? | |
So etwas geht im Ergebnis nur, wenn Sie zu einem solchen Schritt | |
entschlossen sind. Und wenn alle anderen diese Entschlossenheit auch | |
spüren. Dann entwickeln die auch nicht die Kraft, diesen Schritt | |
aufzuhalten. Ich hab gar nicht erst gefragt, ob ich das darf, ich hab das | |
gemacht. Ich hab das Risiko dieses Projekts ganz auf mich genommen. | |
Die Aufgabe des Stadtforums bestand zunächst darin, herauszufinden, wie | |
beide Stadthälften zusammenwachsen können. Auf einer der ersten Sitzungen | |
ging es um den Potsdamer Platz, der dabei eine Art Scharnier werden sollte. | |
Der damalige Daimler-Chef Edzard Reuter hat damals gewarnt, Berlin dürfe | |
nicht zu einem Posemuckel werden. Harte Worte. | |
Ich war froh, Edzard Reuter für das Stadtforum zu gewinnen. Der Potsdamer | |
Platz ist ein gutes Beispiel dafür, wie offen die Fragen damals waren. Die | |
Investoren, zu denen auch Edzard Reuter gehörte, hatten ein Interesse, sich | |
am Potsdamer Platz „hoch aufragend“ zu zeigen. Auf meinem Schreibtisch lag | |
aber auch der Plan des Vorgängersenats für eine Bundesgartenschau dort. | |
Unser Ergebnis war weder das eine noch das andere. Unsere Überzeugung war, | |
dass der Potsdamer Platz seiner städtischen Funktion wieder gerecht werden | |
sollte. Er sollte wieder das Gelenkstück werden, das im Organismus der | |
Stadt besonders wichtig gewesen war. Aber er sollte eben auch keine Kopie | |
des ehemaligen Potsdamer Platzes werden. All das musste diskutiert werden, | |
bevor ich den Wettbewerb zum Potsdamer Platz ausschreiben konnte. | |
Zwischendurch schien Ihnen das ganze Verfahren zu entgleiten. Warum sonst | |
haben Sie gesagt, Sie müssten jetzt den Tiger reiten. Der Tiger, das waren | |
in diesem Fall die Investoren, und Sie wollten oder mussten ihr Dompteur | |
sein. | |
Das war eine Gratwanderung. Die Investoren wollten gerne bei der | |
Entscheidung um den Wettbewerb dabei sein und zuhören. Meine Fachleute | |
haben gesagt, das geht nicht. Ich habe gefragt, warum eigentlich nicht? Wir | |
haben nichts zu verbergen. Sie waren dann dabei und haben zugehört. | |
Parallel dazu aber haben sie mit Richard Rogers einen eigenen Entwurf | |
entwickelt und wollten den mit viel Druck erzwingen. Das war ein | |
gigantisches innerstädtisches Einkaufszentrum. Am Ende habe ich mich | |
durchgesetzt. Aber es war eine heiße Angelegenheit. Wir waren dankbar, dass | |
die Investoren kamen, aber wir konnten sie nicht wie auf eine freie | |
Wildbahn lassen. | |
Wenn Sie heute über den Potsdamer Platz gehen, was denken Sie da? | |
Ich wüsste bis heute nicht, wie man das hätte besser machen können. Damals | |
mussten wir uns an anderen europäischen Projekten messen wie etwa La | |
Defense in Paris oder den Entwicklungen in London. Im Vergleich dazu ist | |
das, was wir in Berlin gemacht haben, gut und richtig gewesen. Etwas | |
anderes konnten wir damals nicht hinkriegen. Wenn man keine nostalgische | |
Nachzeichnung wollte wie etwa am Frankfurter Römer, ist jede andere Lösung | |
nicht rundherum befriedigend. Damit muss man leben. | |
Welchen Anteil hatte das Stadtforum eigentlich daran, dass | |
stadtentwicklungspolitische Diskussionen einen breiten Teil der Bevölkerung | |
erreichten? Architekturfragen waren damals plötzlich politisch aufgeladene | |
Debatten. | |
Das war fast eine logische Folge. Wenn Sie die Hintertüren bei der | |
Entscheidungsfindung öffnen, dann ist die positive Nebenwirkung, dass sich | |
ein breites Interesse an diesen Fragen entwickeln kann. Die Argumente waren | |
im Stadtforum sicher reichhaltiger als in diesen Hinterzimmergesprächen. | |
Das Stadtforum entwickelte so eine politische Kraft und mir selbst verlieh | |
es dann auch eine Unterstützung in den politischen Auseinandersetzungen, | |
die ich ohne nicht gehabt hätte. Auch gegenüber Investoren. | |
Politische Entscheidungsfindung an der Schnittstelle zwischen Politik und | |
Zivilgesellschaft: Warum hat es so lange gedauert, bis mit dem Runden Tisch | |
Liegenschaftspolitik ein solches Format wiederauftauchte? | |
Das ist eine der Fragen, die ich mir bis heute stelle. Warum ist das, was | |
wir mit dem Stadtforum konzipiert und erfolgreich praktiziert hatten, nicht | |
mehr aufgegriffen worden? Auch der Runde Tisch Liegenschaftspolitik ist | |
inzwischen von den radikalen Erneuerungen des Stadtforums weit entfernt. | |
Betroffene von Bauvorhaben und ihre Vertretungen haben gesagt, unsere | |
Stimme wird im Stadtforum nicht gehört. Deshalb haben sie 1995 das | |
Stadtforum von unten gegründet. Konnten Sie die Kritik verstehen? | |
Ja. Aber ich hatte keine Lösung. Das Stadtforum war eine Gruppe von 80 | |
Leuten, aber natürlich waren das 80 bekannte, einflussreiche, fachlich | |
ausgewiesene Leute. Auch Künstler waren dabei, deren Vorträge haben oft | |
auch Kopfschütteln hervorgebracht, sie haben produktiv irritiert. Aber die, | |
die auch sonst nie gehört wurden, waren nicht dabei. So weit hätten wir | |
nicht gehen können. Insofern war das Stadtforum von unten eine richtige | |
Entwicklung. Andere hatten kein Verständnis für die Kritik. | |
1996 kam dann die Zäsur. Nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus wurde Peter | |
Strieder, ein SPD-Mann, Ihr Nachfolger. Damit hat sich auch der Charakter | |
des Stadtforums radikal verändert. Die taz hat damals geschrieben: „Volker | |
Hassemer war 1991 tatsächlich mit dem Anspruch angetreten, sich beraten zu | |
lassen, und setzte deshalb vor allem auf Meinungsvielfalt. Sein Nachfolger, | |
Peter Strieder, dagegen zog es vor, sich aufs Feld der Machtpolitik zu | |
begeben. Nicht um Input ging es ihm, sondern um Output, nicht um | |
Information und Kritik, sondern um Durchsetzung der eigenen Vorstellungen.“ | |
Wie sehr hat Sie das geschmerzt? | |
Das hat mich vor allem erstaunt. Aber es entsprach dem Charakter von | |
Strieder und auch seinem Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Der eigentliche | |
Grund für unser Stadtforum war das Zusammenkommen und Diskutieren vor den | |
Entscheidungen. Was Stimmann und Strieder gemacht haben, war die Erklärung | |
nach den Entscheidungen. Das war eine andere Attitüde. Bei mir war es so, | |
dass der Ort, an dem ich meine Entscheidungen vorbereitet habe, zu achtzig | |
Prozent das Stadtforum war. | |
Peter Strieder und Stimmann haben sich nicht durchgesetzt, was die | |
Wiederbebauung der Berliner Altstadt anging. Rund um das Rathausforum gab | |
es in den vergangenen Jahren ganz neue Formate von Beteiligung. Wie stehen | |
Sie zur Vergabe der Beteiligungsverfahren an private Agenturen? | |
Das ist geradezu die größtmögliche Vernichtung wirksamer Formen der | |
Beteiligung. Agenturen dürfen da nicht zu Akteuren gemacht werden. Unser | |
Stadtforum hat gezeigt, dass es Wege geben muss und gibt, die Entscheider | |
und die mitwirkende Gesellschaft in eine gemeinsame Vorbereitung der | |
Entscheidung zu bringen. Wie kann das eine Agentur vermitteln? | |
Haben die Verwaltungen heute überhaupt die Ressourcen, aufwendige | |
Onlineforen und Beteiligungsverfahren zu realisieren? | |
Die Frage nach den Ressourcen habe ich 1991 gar nicht erst gestellt. Ich | |
habe entschieden, welche Arbeit die Verwaltung zu machen hat. Das ist eine | |
Frage der Priorität und der politischen Verantwortung. Verfahren wie die | |
zur Mitte heute sind eine Persiflierung der Bürgerbeteiligung. | |
Wie konnten sich denn die Bürger vor 30 Jahren am Potsdamer Platz | |
beteiligen? | |
Meine Form der Beteiligung war keine quantitative, sondern eine | |
qualitative. Das waren keine lockeren Bürgerbüros, das war die Diskussion | |
im Stadtforum. | |
Wie viel des alten Modells Ihres Stadtforums steckt in der Stiftung Zukunft | |
Berlin, deren Vorstandsvorsitzender Sie sind? | |
Das Grundprinzip des Zusammenwirkens von Bürgern und Politik. Ich bin fest | |
davon überzeugt, dass wir in Zukunft ohne kooperative Formen der | |
Entscheidungsvorbereitung unsere Demokratie nicht werden aufrechterhalten | |
können. | |
Sind die Themen, die Sie in der Stiftung bearbeiten, eine Ergänzung der | |
Politik oder auch ein Misstrauensvotum? | |
Kein Misstrauensvotum. Aber mir sind die Grenzen der Handlungsfähigkeit der | |
Politik sehr bewusst. Ich bin deshalb aber auch skeptisch, ob eine | |
Verbesserung der demokratischen Kultur zwischen Gesellschaft und Politik | |
vonseiten der Politik kommen kann. Deshalb sagt die Stiftung Zukunft | |
Berlin: Fangen wir doch mal vonseiten der Gesellschaft an. Und so sprechen | |
im „BerlinForum“ gut 50 sehr unterschiedliche Menschen miteinander und mit | |
der Politik zielgerichtet über wichtige Themen Berlins. Und im | |
„Zukunftsforum Berlin-Brandenburg“ geschieht dasselbe zur Entwicklung der | |
gemeinsamen Region. | |
12 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Potsdamer Platz | |
Stadtentwicklung | |
Wende | |
Ostberlin | |
Westberlin | |
Architektur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |