# taz.de -- Einschüchterung von Ausländern: Geiselhaft à la China | |
> Retourkutsche für die Festnahme einer Chinesin in Kanada: In China haben | |
> die Prozesse gegen zwei Kanadier wegen angeblicher Spionage begonnen. | |
Bild: Kanadas Vizebotschafter Jim Nickel (l.) wurde der Zugang zum Gerichtssaal… | |
PEKING taz | Trotz der ernsten Lage hat Jim Nickel seinen Sinn für Humor | |
nicht verloren. „Sitzt meine Frisur?“, fragt Kanadas Vizebotschafter | |
lächelnd, als er seine Schiebermütze vom blanken Glatzkopf hebt. Dann | |
jedoch wird seine Miene ernst. Er blickt in Dutzende Fernsehkameras, hinter | |
ihm ragt das Mittlere Volksgericht Nr. 2 in den Pekinger Himmel. | |
„Trotz internationaler Übereinkommen wurde uns der Zugang zum Gerichtssaal | |
verweigert. Das ist zutiefst beunruhigend. Doch ist es wichtig, dass wir | |
hier sind, um ein Zeichen gegen willkürliche Inhaftierungen zu setzen“, | |
sagt Nickel. | |
Am Montagmorgen begann in Peking der Prozess gegen den Kanadier Michael | |
Kovrig (49), der wie sein Landsmann [1][Michael Spavor] (44) seit über zwei | |
Jahren in einem chinesischen Gefängnis sitzt. | |
Die Beiden wurden [2][im Dezember 2018] verhaftet, wenige Tage nachdem Meng | |
Wanzhou, die Tochter des Huawei-Gründers Ren Zhengfei, auf Ersuchen der USA | |
im kanadischen Vancouver festgenommen wurde. Washington wirft ihr vor, | |
gegen Iransanktionen verstoßen zu haben. | |
## Angeblicher Zusammenhang | |
Dass es sich um „Geiseldiplomatie“ handelt, legt selbst die chinesische | |
Regierung nahe. Denn als die Sprecherin des Außenministeriums am Montag | |
über „die zwei Michaels“ sprach, forderte sie zugleich die Freilassung der | |
Huawei-Tochter. | |
Deshalb geht es um mehr als nur das Schicksal zweier Individuen. Es wird | |
nicht weniger als die Frage verhandelt, wie die internationale Gemeinschaft | |
auf Chinas politisch motivierte Rechtsprechung reagiert. Dabei steht die | |
Angst im Raum, dass künftig auch europäische Staatsbürger willkürlich | |
verhaftet werden könnten, wenn es Peking opportun erscheint. | |
Entsprechend groß ist das diplomatische Aufgebot, das zum Pekinger Gericht | |
gezogen ist, um öffentlich Unterstützung zu bekunden. Weit über 20 Staaten | |
waren vertreten, darunter wie zu Erwarten der angelsächsische Raum sowie | |
fast alle europäischen Länder westlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs. | |
Polen, Ungarn und Serbien blieben fern wie auch Asiens Demokratien | |
Südkorea, Japan und Indien. | |
## Schuldsprüche sind zu erwarten | |
Dass die zwei Kanadier schuldig gesprochen werden, steht außer Frage. | |
Chinas Gerichte haben eine Verurteilungsquote von über 99 Prozent. Die | |
Mindeststrafe für Spionage ist zehn Jahre Haft. | |
Niemand kennt die genauen Hintergründe des Falles, da die Behörden kaum | |
Details preisgeben: Dem Ex-Diplomaten Kovrig, der zuletzt für die Brüsseler | |
Denkfabrik International Crisis Group gearbeitet hat, wird vorgeworfen, | |
„geheime Informationen“ aus China gestohlen zu haben. Spavor soll ihm laut | |
Anklage die Informationen zugeliefert haben. | |
Die Vorwürfe wirken konstruiert: Spavor, der in der nordöstlichen | |
Grenzstadt Dandong eine Agentur für Austauschprojekte mit Nordkorea betrieb | |
und dessen Prozess dort bereits am letzten Freitag begann, verfügte weder | |
über nennenswerte chinesische Sprachkenntnisse noch interessierte ihn das | |
Land. | |
Sein Freund Jacco Zweetslot, der in seiner Wahlheimat Seoul zu Spenden für | |
Spavor aufruft, sagt: „Der Fall hat viele Leute darin verunsichert, was sie | |
noch öffentlich über China sagen können. Einige Freunde, die aus | |
beruflichen Gründen nach China reisen müssen, bleiben seitdem stumm.“ | |
## Gericht will Urteil später verkünden | |
Vor dem Pekinger Gerichtsgebäude hat sich im Laufe des Vormittags eine | |
Menschentraube aus Schaulustigen gebildet. Sicherheitsbeamte versuchen, mit | |
Passkontrollen und Absperrbändern Journalisten an der Arbeit zu hindern. | |
Ihre Kollegen in Zivil beobachten die Szene im Hintergrund. | |
Erst um acht Uhr abends, also elf Stunden nach Prozessbeginn, erklärte das | |
Gericht, es werde zu einem späteren Zeitpunkt sein Urteil im Fall Kovrig | |
bekanntgeben „in Übereinstimmung mit dem Gesetz“, wie es in der | |
Stellungnahme heißt. | |
23 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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