# taz.de -- Politologe über Islam in Frankreich: „Ein innerer Feind wird ges… | |
> Eine Gesetzesvorlage soll Laizität stärken. Doch in Frankreich werde der | |
> Islam nicht nur von Rechten als ausländische Religion betrachtet, sagt | |
> Alain Policar. | |
Bild: Der islamistische Mord am Lehrer Samuel Paty hat die Diskussion um Islam … | |
taz: Herr Policar, Frankreich scheint wegen seiner Tradition einer strikten | |
Laizität ein Problem mit der Integration des Islam zu haben. Warum | |
eigentlich? | |
Alain Policar: Historisch ist Laizität in Frankreich seit dem Gesetz von | |
1905 zunächst eine Nichtintervention des Staates im Sinne einer | |
weltlich-liberalen Trennung der Politik von der Theologie und der Religion. | |
Eine Kooperation oder ein Dialog zwischen Staat und Konfessionen war nicht | |
vorgesehen. Der Staat bewahrt seinen Vorrang. Das Gesetz der Republik kommt | |
demnach vor konfessionellen Geboten. Das ist ein klarer Unterschied zu | |
multikulturalistischen Ländern, in denen eine institutionalisierte | |
Kooperation die Grundlage der Beziehungen zwischen Staat und Religionen | |
ist. | |
Und was ist das Problem? | |
Vor einem Jahrhundert dachte niemand daran, dass eines Tages zwischen fünf | |
und sieben Millionen Muslime im Land leben würden, die nicht alle in dieser | |
Tradition des weltlichen Grundverständnisses von Staat und Religion groß | |
geworden sind. Der Islam ist mit Schwierigkeiten konfrontiert, das | |
Verhältnis von Staat und Religion in dieser säkularen Art zu sehen. Es gibt | |
da Unterschiede im Vergleich zur vor Ort länger etablierten und | |
mehrheitlich christlichen Religion. | |
Und diese Unterschiede sind unüberwindbar? | |
Von einigen wird das als Zivilisationsproblem definiert und aufgebauscht – | |
dabei handelt es sich um temporäre Schwierigkeiten, die mit der Zeit | |
durchaus behoben werden können. Der Islam wird als ausländische Religion | |
betrachtet. Vor allem rechts, aber auch in der sogenannten republikanischen | |
Linken wird befürchtet, dass da etwas von außen eingebracht wird, das mit | |
der französischen Zivilisation und Kultur nicht vereinbar sei. Diese | |
politischen Kräfte vertreten [1][eine kämpferische Laizität]. Dahinter | |
steht die Idee einer nationalen Identität, an die sich alle anzupassen | |
hätten. | |
Derzeit wird [2][in Frankreich im Parlament] eine Gesetzesvorlage | |
debattiert, deren erklärter Zweck die Stärkung der Laizität ist. | |
Funktionieren die heutigen Regeln nicht? | |
Die Staatsführung geht davon aus, dass die weltlichen Regeln von einem | |
unklar identifizierten Feind bedroht sind. Bezeichnend dafür ist die | |
gegenwärtige [3][Polemik über den „Islamo-gauchisme“] (auf Deutsch etwa | |
„Islam-Linke“, Anm. der Redaktion). Wer ist da gemeint? Islamistische | |
Terroristen und Komplizen solcher Staatsfeinde, muslimische Linke, mit | |
Muslimen solidarische Linke? Ich sehe dahinter eine unerfreuliche | |
Strategie, in der Manier eines Donald Trump einen inneren Feind zu | |
bestimmen und politische Gegner als dessen Alliierte zu diskreditieren. | |
Konkret werden damit antikolonialistische Intellektuelle als Komplizen (des | |
Islamismus oder Dschihadismus) hingestellt, als „nützliche Idioten“, wie | |
man früher sagte. | |
In der Debatte über die Gesetzesvorlage in der Nationalversammlung hatte | |
man den Eindruck, dass die Frage der Verschleierung für viele Abgeordnete | |
fast zur Obsession wird. | |
Seit der Kopftuch-Affäre von Creil 1989, als sich Schülerinnen weigerten, | |
ihre muslimische Kopfbedeckung abzulegen, lebt Frankreich in einer Art | |
intellektuellem Bürgerkrieg. Seit dreißig Jahren dauert dieser Streit an, | |
obwohl soziologische Studien belegen, dass nicht alle jungen Frauen, die | |
einen Schleier tragen, von Männern oder irgendwelchen Imamen zu | |
politisch-religiöser Propaganda instrumentalisiert werden. Dennoch wird | |
gesagt, dass dieses Kleidungsstück für die französische Öffentlichkeit | |
völlig inakzeptabel sei. Wenn der Schleier derart Anstoß erregt, dann auch | |
wegen der Rolle, die dieser in der Geschichte der Kolonisierung gespielt | |
hat: Eine Frau, die in Frankreich eingebürgert werden wollte, musste ihren | |
Schleier ablegen. Für die Kinder, Enkelkinder und noch jüngeren Nachkommen, | |
denen diese Geschichte bekannt ist, kann im Gegenzug das Tragen eines | |
Schleiers eine Art sein, sich auf ihre Herkunft zu berufen. Das kann eine | |
identitäre Form annehmen. | |
Die [4][westliche Gesellschaft empfindet den Schleier] eher als ein | |
antifeministisches Symbol der Unterordnung der Frauen. | |
Es ist bezeichnend, wie hier der Rassismus gegen Muslime oft ziemlich | |
„verschleiert“ daherkommt – nämlich mit dem Vorwand einer angeblichen | |
Verteidigung der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Gleichheit der | |
Geschlechter wird übrigens in den Laizitätsgesetzen von 1905 nirgends | |
erwähnt. Aus dem Laizitätsgesetz ein Verbot des Schleiers in der | |
Öffentlichkeit ableiten zu wollen, halte ich für juristisch inkorrekt. | |
Was wäre der Nutzen eines Verbots der Verschleierung in der Öffentlichkeit? | |
Es gibt überhaupt keinen. So etwas schürt nur die Spannungen, von denen ich | |
bereits gesprochen habe. Denn da wird das Bild eines inneren Feinds | |
geschaffen, allein aufgrund des Wunschs sich etwas anders zu kleiden. | |
7 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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