# taz.de -- Galerieausstellung Berlin: Sein oder Nichtsein | |
> Anschauen, solange es noch physisch geht: Nagel Draxler zeigen Malerei | |
> von Kirsi Mikkola und fünf ihrer Wiener Schüler*innen. | |
Bild: Detail aus: Jessica Nam Kim, Untitled, 2020 | |
In diesen Tagen, in denen die Galerien einmal mehr bangen, bald schon | |
wieder für den Publikumsverkehr schließen zu müssen, haben Nagel Draxler | |
einen entscheidenden Vorteil: große Fensterfronten. Wenn die | |
Infektionszahlen keine Besuche in Innenräumen der Galerien mehr erlauben – | |
aktuell muss man sich dafür vorher anmelden –, dann können die | |
Ausstellungen auch von außen betrachtet werden bei einem kleinen | |
Spaziergang um den Rosa-Luxemburg-Platz. | |
Diese Tour führt derzeit tatsächlich einmal herum, auch zum neuen | |
Suhrkamp-Gebäude. Dort, bei Daniel McLaughlin, sind Nagel Draxler | |
zusätzlich zu den beiden eigenen Standorten zu Gast. So ist genug Platz für | |
die vor allem großformatige Malerei der aktuellen Ausstellung. | |
Für „The Class of Kirsi Mikkola. The Young Painters Show in Berlin“ hat die | |
finnische, in Berlin lebende Künstlerin Kirsi Mikkola, die erst vor Kurzem | |
ins Programm von Nagel Draxler aufgenommen wurde, fünf Schüler*innen aus | |
ihrer Wiener Malereiklasse, geboren zwischen 1984 und 1998, ausgewählt, | |
gemeinsam mit ihr Arbeiten zu präsentieren. | |
Keine schlechte Idee ist es, den Parcours in der kleinen Galerie von | |
McLaughlin zu beginnen. Eine große Arbeit von Mikkola begrüßt einen dort | |
gleich neben der Tür, eine jener „Konstruktionen“, für die die Künstlerin | |
bekannt ist und für die sie Leinwand mit unzähligen Papierschnipseln und | |
Farbe überzieht, sodass sich komplexe Strukturen bilden. | |
## In ziemlich interessanter Gesellschaft | |
Nicht gerade gut gelaunt scheint das Wesen zu sein, das Mikkola auf jene | |
Arbeit oben draufgesetzt hat, tief nach unten gezogen sind seine | |
Mundwinkel. Dabei befindet es sich eigentlich in ziemlich interessanter | |
Gesellschaft. | |
Da ist etwa der Ritter auf Laura Winters Pastellmalerei. In voller Rüstung | |
steht er einsam in der Landschaft, den Kopf gen Himmel gerichtet, ein Seil | |
umweht ihn, das sich gefährlich eng um seinen Hals schlingt – der Krieger | |
bleibt verletzlich, trotz aller Panzerung. | |
Von Nähe und Intimität erzählen auf unterschiedliche Weise die Gemälde von | |
Jessica Nam Kim und [1][Alexander Basil]. Die jungen, unbekleideten Frauen | |
auf Nam Kims Bildern scheinen sich zu geheimnisvollen Ritualen | |
zusammengefunden zu haben. Basil wiederum lässt die Betrachter*innen | |
einem Paar beim Kartenspiel über die Schulter blicken. | |
Man wird auch diesen beiden, ihren rosaroten barock-üppigen Körpern noch | |
weitere Male in der Ausstellung begegnen, in anderen alltäglichen | |
Situationen, ineinander verschlungen, spannungsreich verbunden in jeglicher | |
Hinsicht, wie ein Leben als Paar eben so ist. | |
## Basils Malstil prägt sich ein | |
Basils präziser, erotisch-ironischer Malstil mit seinen flach auf die | |
Leinwand aufgetragenen Motiven prägt sich sofort ein, aber nicht nur | |
seiner. Das ist es eben, was alle fünf jungen Künstler*innen vereint, | |
ihre jeweils unverkennbare Bildsprache, ihre eigenständige Herangehensweise | |
an Malerei und Figuration. | |
Amaoko Boafo ist der bekannteste unter ihnen. Boafo, der in Accra geboren | |
ist, hat in kürzester Zeit eine rasante Karriere hingelegt, erreicht mit | |
seinen Porträts Schwarzer Menschen, die in der Intensität ihrer Darstellung | |
bisweilen an Egon Schiele erinnern, inzwischen hohe Preise auf den Markt. | |
Das 2 mal 2 Meter große Selbstbildnis, das in der Hauptgalerie von Nagel | |
Draxler hängt, stammt aus dem Jahr 2017. Die mittlerweile für ihn typische | |
Art Haut mit dem Finger aufzutragen, ist dort noch nicht zu erkennen – | |
dafür aber eine künstlerische Nähe zu seiner Professorin. | |
Auch Boafo hat den Hintergrund collagiert. Geht man nah heran, lassen sich | |
die einzelnen Schnipsel lesen, Flyer, die Kulturveranstaltungen ankündigen, | |
Bilder, Personen, Text, Schrift, die zu einem Puzzle der Zeichen | |
verschwimmen, aus dem dann aber doch einzelne Worte hervorstechen. Und was | |
für welche: „To Be or Not to Be“, „Stillstand“, „Doppelgänger“. | |
## Der Kunstmarkt ist Subtext der Schau | |
2019, das war noch bevor Boafo die Akademie abschloss, stellte Boafos | |
Chicagoer Galerie Mariane Ibrahim ihn auf der Art Basel Miami Beach aus – | |
und verkaufte gleich den ganzen Stand. Von ebendiesem Messeauftritt, zu dem | |
auch Mikkola anreiste, erzählt der Text, den Nagel Draxler als | |
Pressemitteilung herausgeben. Er macht den Kunstmarkt und dessen | |
eigenartige Mechanismen gewissermaßen zum Subtext der Schau. | |
Die Rede ist darin auch von den [2][sogenannten NFTs, Non-Fungible Tokens], | |
Echtheitszertifikaten für digitale Kunstwerke, die in einem | |
Blockchainverfahren erworben werden und um die sich in jüngster Zeit ein | |
irrer Hype entwickelt hat. Einer, bei dem es scheinbar gar nicht mehr um | |
die Kunst an sich, um deren möglicherweise eher schwache visuelle Qualität, | |
sondern nur noch um Tauschwerte zu gehen scheint. | |
Glücklicherweise ist das bei Mikkola und ihren Schüler*innen anders. Da | |
lohnt es sich auf jeden Fall hinzuschauen, möglichst ohne Bildschirm | |
dazwischen, solange es noch geht. | |
26 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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