# taz.de -- Internet-Börse für Gülle: Schiete unterm Hammer | |
> Wo Tiere in Masse gehalten werden, entsteht zu viel Gülle. Andernorts in | |
> Niedersachsen wird Dünger benötigt. Eine Internet-Börse soll es richten. | |
Bild: Sieht romantisch aus, riecht aber stark: Ein Landwirt bringt Gülle auf d… | |
GÖTTINGEN taz | Kuh- und Schweinscheiße werden in Niedersachsen jetzt im | |
Internet gehandelt. Das Landvolk Vechta hat am vergangenen Donnerstag seine | |
Online-Plattform „Nährstoffzentrale“ freigeschaltet. Hier können Landwirte | |
sogenannten Wirtschaftsdünger – also Gülle – beziehen und verkaufen. | |
Eben dieser Stoff ist in dem Bundesland bislang höchst ungleich verteilt. | |
Vor allem im Westen und Südwesten Niedersachsens fällt durch die | |
zahlreichen Mastbetriebe deutlich mehr Gülle an, als die in der Region | |
wirtschaftenden Bauern auf ihre Felder ausbringen können und dürfen. In | |
anderen Landkreisen, in denen es wie etwa in Südniedersachsen | |
vergleichsweise wenige große Viehställe gibt, kaufen die Landleute hingegen | |
Kunstdünger zu. | |
Mit der offiziell gestarteten „Nährstoffzentrale“ könnten abgebende und | |
aufnehmende Landwirte direkt miteinander kommunizieren und sich über | |
Mengen, Preise und Transportmöglichkeiten austauschen, erläuterte ein | |
Sprecher des Kreislandvolkverbandes Vechta das neue Angebot. Anders als bei | |
allen bisher bestehenden Güllebörsen, die lediglich Dünger an Abnehmer | |
vermitteln, gebe es beim Projekt „Nährstoffzentrale“ einen direkten Kontakt | |
zwischen Anbieter und Abnehmer. Das Ganze funktioniere, so drückt es das | |
Landvolk aus, wie eine Art „Ebay für Gülle“. Teilnehmen können überdies | |
nicht nur Landwirte aus Niedersachsen, vielmehr gilt die Offerte für Bauern | |
in ganz Deutschland. | |
Konkret funktioniert das so: Nutzer registrieren sich mit einer | |
E-Mail-Adresse und einem Passwort, loggen sich ein und gelangen gleich auf | |
die Startseite der „Nährstoffzentrale“. Dort gibt es verschiedene Buttons | |
für Angebote, Gesuche und Anfragen. Die Angebote informieren über die Art | |
und Zusammensetzung der Gülle, die abgegeben werden soll, über die | |
jeweilige Menge sowie die Postleitzahl des abgebenden Betriebes. Auch die | |
Inhaltsstoffe des Düngers, entweder nach Standardwerten oder aus eigenen | |
Analysen ermittelt, sind ersichtlich. Die Preisfindung funktioniert | |
ebenfalls online. Entsprechend läuft es auch mit den Gesuchen. | |
Gülle besteht hauptsächlich aus dem Kot und Urin landwirtschaftlicher | |
Nutztiere. Je nach Beigabe von Einstreu und Wasser spricht man von Dick- | |
oder Dünngülle, Schwemmmist oder Flüssigmist beziehungsweise Jauche. Ein | |
hoher Gehalt an gebundenem Stickstoff, Phosphor, Kalium und anderen | |
Nährstoffen macht Gülle einerseits zu einem wichtigen Dünger – in Maßen. | |
Allerdings ist der klassische Nährstoffkreislauf im landwirtschaftlichen | |
Betrieb verloren gegangen. Ursprünglich fielen Mist oder Gülle im Stall an, | |
wurden anschließend zwischengelagert und je nach Bedarf auf dem Feld | |
ausgebracht. Pflanzen nahmen die Nährstoffe auf und die Ernte, die nicht in | |
die Nahrungsmittel ging, wurde wiederum als Futter für die Tiere genutzt. | |
Durch die industrielle Massentierhaltung ist das Gülleaufkommen allerdings | |
nun viel größer. Es gibt mehr Gülle, als von Böden und Pflanzen aufgenommen | |
werden kann. Auf den Feldern werden aus dem Dünger lösliche, überflüssige | |
Stoffe wie Nitrat ausgewaschen. Sie gelangen ins Grundwasser und in die | |
Vorfluter. In vielen Regionen wird der Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat | |
pro Liter Grundwasser um ein Vielfaches überschritten. Zur Sicherstellung | |
der Trinkwasserqualität müssen Wasserwerke teure Gegenmaßnahmen ergreifen. | |
Die Kosten trägt der Verbraucher. | |
Insbesondere in Teilen Niedersachsens sind die Böden und das Grundwasser | |
sehr stark belastet. Insgesamt waren die Äcker im Bundesland 2020 zwar | |
weniger mit Stickstoff vollgepumpt als im Vorjahr, doch viele | |
niedersächsische Landwirte in dem Bundesland düngen immer noch zu viel mit | |
Gülle. Nach Angaben der Landwirtschaftskammer wurden knapp 700 Tonnen mehr | |
auf die Felder gebracht, als die Pflanzen gebraucht hätten. 2019 waren es | |
noch 31.000 Tonnen zu viel. Niedersachsen sei damit auf dem richtigen Weg, | |
findet Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU). | |
Die Tendenz zeigt sich auch auf Kreisebene. Nur noch der Landkreis | |
Cloppenburg überschreitet den Angaben zufolge den Grenzwert für Stickstoff | |
auf den Äckern. Im vergangenen Jahr waren es noch fünf niedersächsische | |
Landkreise, im Jahr davor sieben. | |
Die Landwirtschaftskammer sieht für diesen Trend mehrere Gründe. Zum einen | |
werde immer mehr Gülle in Biogasanlagen verwertet und nicht auf Felder | |
verspritzt. Zum anderen halten die Landwirte nicht mehr ganz so viele | |
Tiere. Niedersachsenweit gab es 2020 im Vergleich zum Vorjahr 3,6 Prozent | |
weniger Rinder und 1,5 Prozent weniger Schweine – dadurch fiel auch weniger | |
Gülle an. Durch die Internetbörse „Nähstoffzentrale“ dürfte es zwar kaum | |
gelingen, die Gesamtmenge der ausgebrachten Gülle auf den Feldern weiter zu | |
vermindern. Mist und die Jauche werden künftig aber wohl gleichmäßiger | |
verteilt. | |
24 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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