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# taz.de -- Ökoprojekt Komposttoiletten: Die Scheiße soll aufs Feld
> Komposttoiletten gelten schon lange als Alternative zu Spülklos. Eine
> neue Richtlinie könnte helfen, menschliche Fäkalien als Dünger zu nutzen.
Bild: Komposttoiletten an Orten ohne Wasseranschluss – Kann man die Fäkalien…
Berlin taz | Was haben Klärschlamm, tierische Magen-Darm-Inhalte und
Löschpulver gemeinsam? Sie alle dürfen neben zahlreichen anderen Stoffen
laut Düngemittelverordnung (DüMV) deutsche Felder düngen. Was bislang nicht
aufs Feld darf, ist menschlicher Kot und Urin, auch nicht in kompostierter
Form.
Zugleich gibt es auch in Deutschland aber immer mehr Menschen, die mit
Trockentoiletten experimentieren. Meist, weil sie an Orten ohne
Wasseranschluss eine Alternative zum Spülklo suchen, manchmal aber auch,
weil sie die Fäkalien nutzbar machen wollen. [1][Ökologische Festivals etwa
mieten gerne Komposttoiletten] von Betreibern wie Goldeimer, Ökolocus,
Goldgrube oder Finizio. Die mobilen Klos benötigen nur Sägespäne, kein
Wasser, keine Chemie. Trotzdem kann der anfallende Kompost nur sehr
eingeschränkt verwertet werden.
Ab wann ist „Scheiße“ rein rechtlich betrachtet nicht mehr selbige, sondern
Dünger, fragt man sich deshalb etwa bei Goldeimer. Enno Schröder ist bei
dem Hamburger Sozialunternehmen für „Forschung und Entwicklung“ zuständig.
Er hält es für möglich, dass menschliche Fäkalien bis zu 25 Prozent der
derzeitigen Düngemittelmenge ersetzen könnten. Ökolandbauern hätten bereits
Interesse angemeldet. Allerdings sind die technische Machbarkeit und damit
der Kostenpunkt für ihn noch unklar.
Experten wie Joachim Clemens, Geoökologe und Mitglied im Kompetenzzentrum
für Düngung und Sekundärrohstoffe, halten [2][Düngemittel menschlichen
Ursprungs heute prinzipiell für eine gute Idee – wenn man Kot und Urin
sauber trennt.] „Urin enthält viele mineralische Nährstoffe, Fäkalien eher
organisch gebundene Nährstoffe“, sagt Clemens. Das ökologische Potenzial
sei hoch.
## „Seuchenhygenisch“ nicht unbedenklich
Ein Problem sind jedoch die rechtlichen Hürden. „Menschliche Exkremente
sind über den Abwasserpfad oder als Restabfall zu entsorgen“, erklärt
Christopher Stolzenberg vom Bundesumweltministerium. Laut Agrarministerium
kommt eine Nutzung als Dünger erst dann in Betracht, wenn diese „zulässig
und sinnvoll“ sei. „Insbesondere im Hinblick auf die seuchenhygienische
Unbedenklichkeit, auf menschliche Keime und Krankheitserreger bezogen,
sowie enthaltene Arzneimittelrückstände und Hormone“ sei eine schadlose
Verwertung aber nicht möglich, betont Stolzenberg.
Goldeimer-Mitgründer Enno Schröder verweist auf eine [3][Risikoanalyse
des Deutschen Instituts für Normung]. Der zufolge gebe es „vielfache,
bereits technisch ausgereifte und etablierte Verfahren“, mit denen sich
mögliche Erreger beseitigen ließen.
Außerdem erschien am 1. Dezember eine DIN-Richtlinie, die erstmals
Qualitätstandards für die landwirtschaftliche Nutzung menschlicher Fäkalien
festlegt. Auf dieser Grundlage können Kompostierverfahren für Exkremente
nun auf ihre Unbedenklichkeit hin überprüft werden. Einige in der Branche
sehen sie als Meilenstein, um menschliche Fäkalien künftig stärker nutzbar
zu machen
Weiter erforscht werden muss vor allem der Umgang mit
Arzneimittelrückständen. Schröder geht davon aus, dass die Kompostierung
effektiver hilft als eine Kläranlage. Um das zu beweisen, hat die
Goldeimer-Partnerfirma Finizio einen auf drei Jahre angelegten Feldversuch
begonnen.
## Unterschiedliche Messlatten
Weshalb aber dürfen Gülle, Jauche und Schlachtabfälle trotz umfangreichem
Einsatz von Medikamenten- und Hormonpräparaten in der konventionellen
Landwirtschaft auf den Acker? Dass es bei menschlichen Verdauungsprodukten
so viel größere Bedenken gibt als bei tierischen Ausscheidungen, liegt laut
Landwirtschaftsministerium an unterschiedlichen Richtlinien. Allerdings
zeigte eine Greenpeace-Recherche erst kürzlich wieder, dass multiresistente
Keime und Antibiotikarückstände auch in tierischem Dünger immer noch ein
echtes Problem sind.
Auch im Vergleich zu Kunstdünger sei der menschliche Kompostdünger
vorzuziehen, meint Schröder. „Stickstoffdünger werden energieintensiv und
klimaschädigend unter Nutzung fossiler Ressourcen erzeugt.“ Phosphordünger
würden vor allem in Bergwerken in Nordafrika oder China abgebaut und
[4][seien mit Schwermetallen wie Cadmium oder Uran belastet].
Der kompostierte Kot beinhalte dagegen organische Substanzen in Form von
Humus, der „definitiv auch noch klimarelevant“ sei. Während bei nicht
fachgerechter Anwendung von konventionellem Dünger klimaschädliches Lachgas
entweichen kann, hilft Humus, CO2 im Boden zu binden.
Trotzdem wird die Zulassung voraussichtlich noch einige Zeit dauern. Hier
müsse der Bundesrat zustimmen. Und das, heißt es aus dem Agrarministerium,
sei derzeit unwahrscheinlich.
26 Dec 2020
## LINKS
[1] /Mit-Toilettenpapier-die-Welt-retten/!5719747
[2] /Tod-durch-verschmutztes-Wasser/!5673695
[3] https://www.igzev.de/wp-content/uploads/2019/04/Krause_Risikoanalyse_DE.pdf
[4] https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-landwirtschaft/umweltbelastunge…
## AUTOREN
Maximilian Berkenheide
## TAGS
Chemikalien
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Landwirtschaft
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Theater
Victoriasee
Polio
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