# taz.de -- Menschlicher Dünger in China: Der große Scheißesprung | |
> China war einst Vorreiter darin, menschlichen Kot zu dringend gebrauchtem | |
> Humus zu veredeln. Heute sacken dort Böden ab, wegen künstlichen Düngens. | |
Bild: Misthaufen auf einer Bergwiese: Vor der Revolution waren Fäkalien waren … | |
Mao war der Sohn eines wohlhabenden Bauern aus Hunan, der unter anderem | |
erreichen wollte, dass man in China der Rinderzucht mehr Bedeutung beimaß. | |
In der chinesischen Landwirtschaft gab es nie genug Vieh, um mit deren | |
Exkrementen die Felder zu düngen. Der Ausweg bestand aus [1][menschlichen | |
Exkrementen,] die als Dünger aufbereitet wurden. | |
Vor der Revolution mussten Landarbeiter sich verpflichten, die Toilette des | |
Gutsbesitzers zu benutzen. An den Landstraßen standen Töpfe. Sie wurden | |
regelmäßig geleert. Fäkalien waren ein Handelsgut, man konnte sie | |
portionsweise auf dem Markt kaufen. Unternehmer zahlten viel Geld, um die | |
Exkremente ganzer Städte einzusammeln und an die Bauern zu verkaufen. Man | |
wusste dort, weil jede Pflanze Humus verbraucht, muss er vor allem in der | |
Landwirtschaft immer wieder ersetzt werden. | |
In den USA wusste man das vielleicht auch, aber es war einfacher, immer | |
wieder neues Land unter den Pflug zu nehmen. Bis es in den Dreißigerjahren | |
zu verheerenden Dürren und Staubstürmen kam, wodurch die Böden Millionen | |
Tonnen Humus verloren, die zuvor von den Wurzeln des Präriegrases vor | |
Erosion bewahrt worden waren. Teile der fruchtbaren Great Plains in Kanada | |
und den USA wurden zu einer „Dust Bowl“, einer Staubschüssel. Tausende | |
Farmer waren gezwungen, ihr Land aufzugeben. John Steinbeck hat diese | |
Situation 1939 in seinem Roman „Früchte des Zorns“ geschildert. | |
Die amerikanischen Agrarexperten hatten jedoch schon Ende des 19. | |
Jahrhunderts angefangen, sich über den Humusschwund Gedanken zu machen. | |
1909 bereiste der Leiter der Abteilung für Bodenbearbeitung im | |
US-Landwirtschaftsministerium, Franklin H. King, mit einer Gruppe von | |
Mitarbeitern China, Korea und Japan, um zu studieren, wie man in diesen | |
Ländern damit umging. Sein begeisterter Bericht „4000 Jahre Landbau“ | |
erschien 1911 (auf Deutsch zuletzt 1984). | |
Der Autor kommt darin zu der Überzeugung, dass die amerikanische | |
Landwirtschaft unbedingt von der in China, Korea und Japan lernen muss. „In | |
Amerika verbrennen wir ungeheure Mengen Stroh und Maisstrünke: weg damit! | |
Kein Gedanke daran, dass damit wertvolle Pflanzennährstoffe in alle Winde | |
zerstreut werden. Leichtsinnige Verschwendung bei uns, dagegen Fleiß und | |
Bedächtigkeit, ja fast Ehrfurcht dort beim Sparen und Bewahren.“ | |
Noch mehr galt das für den Umgang mit Fäkalien. Die werden nicht als Abfall | |
begriffen und mühsam entsorgt, sondern auf Schiffen zusammen mit Schlamm | |
auf Kanälen transportiert, an Land gelagert, dann in Gruben an den Äckern | |
geschüttet, wobei man dazwischen Lagen mit geschnittenem Klee packt und | |
„das Ganze immer wieder mit Kanalwasser ansättigt. Dies lässt man nun 20 | |
oder 30 Tage fermentieren, dann wird das mit Schlamm vergorene Material | |
über den Acker verteilt.“ | |
Die US-Agrarwissenschaftler hielten die „landbaulichen Verfahren“ der | |
Chinesen, Koreaner und Japaner, mit denen diese „jahrhundertelang, | |
praktisch lückenlos alle Abfälle gesammelt und in bewundernswerter Art zur | |
Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und Erzeugung von Nahrungsmitteln | |
verwertet haben, für die bedeutendste Leistung der drei Kulturvölker“. | |
Zur Zeit des „Großen Sprungs nach vorne“ (1959–1961) gab es den Plan, auf | |
einem Mu Land (667 Quadratmeter) 500 Kilo Getreide zu ernten, man brauchte | |
daher eine Menge Dünger. Es gab dafür in der damaligen Zeit fast nur | |
menschliche Exkremente. 2024 erntete man in China mit viel Kunstdünger auf | |
einem Mu maximal 375,2 Kilo Sommergetreide, wie der Direktor der ländlichen | |
Abteilung des Nationalen Statistikamtes Wang Guirong mitteilte. | |
Weil frische Exkremente kein Dünger sind, sondern Gift, das die Ernte | |
zunichte macht, beschloss man während der „Großen Sprungs“ auf den | |
Sportplätzen tiefe, an Brunnenschächte erinnernde Gruben auszuheben und mit | |
Exkrementen zu füllen, damit sie durch das Methan in der Erde | |
fermentierten. | |
Der 1952 in Peking geborene Schriftsteller Wang Xiaobo erinnert sich in | |
seinem Bericht über „Das Goldene Zeitalter“ (2024): „Als wir klein waren, | |
robbten wir vor bis zum Grubenrand und warfen brennende Streichhölzer | |
hinein, fasziniert von der schwachen blauen Flamme, die dann an der | |
Oberfläche züngelte. Nachts kniete ich andächtig am Grubenrand, um gebannt | |
in die mysteriöse Flamme zu starren, vollkommen vergessend, dass sie das | |
Produkt von Scheiße war.“ | |
Der später als Soziologe tätige Xiaobo schreibt weiter: „Bedauerlicherweise | |
brachte die sorgfältige Jauchegrubenanlage aber nichts, weil nach | |
gelungener Fermentation niemand wusste, wie man das Zeug aus der Grube | |
herausheben sollte, es war zu wässrig zum Schaufeln und zu zäh zum Schöpfen | |
[…] Vor allem waren die Gruben verdammt tief. Wehe man rutschte ab und | |
plumpste hinein; die Überlebenschancen tendierten gegen null. Aus diesem | |
Grund wurden die Gruben mitsamt dem wertvollen Dünger aufgegeben. | |
Irgendwann wucherten sie zu und waren nicht mehr von der Umgebung zu | |
unterscheiden, was sie zu gefährlichen Fallen machte.“ Einer von Xiaobos | |
damaligen Mitschülern fiel tatsächlich aus Versehen hinein und erstickte. | |
Eine Kollegin von Xiaobo an der Peking-Universität, die er zitiert, | |
erinnerte sich, dass in der Kaderschule noch ganze andere Scheißgeschichten | |
aus der Zeit des „Großen Sprungs“ kursierten. Damals befanden einige der | |
lokalen Kader, dass es zu lange dauerte, in den Gruben Dünger herzustellen: | |
„Damit das mit der Fermentierung schneller ging, ließen sie in jeden | |
Haushalt vor dem Essen erst mal einen Wok Scheiße aufkochen.“ | |
Nachzulesen ist das in einer Abhandlung des Soziologen Prof. Shen Guanbao. | |
Xiaobo fügte hinzu: „Die Geschichte von der gekochten Scheiße ist | |
unabdingbar für die sorgfältige Aufarbeitung unserer verflossenen Jahre, | |
denn sie bildet sozusagen den roten Faden dieser Jahre.“ Seine Übersetzerin | |
Karin Betz erwähnt als eine ihrer Schwierigkeiten mit seinem Buch: In der | |
chinesischen Alltagssprache gibt es mehr als 35 Worte für Scheiße. | |
Seit Deng Xiaopings Privatisierungsparole „Bereichert Euch!“ (1983) hat | |
sich in China viel geändert, gerade auf dem Agrarsektor. Amerika lernte | |
dabei nicht mehr von China, sondern umgekehrt. Die Naturschutzorganisation | |
Greenpeace stellt fest: „China hat seine Landwirtschaft mit großem Aufwand | |
industrialisiert und mittlerweile einen Anteil von 34 Prozent am weltweiten | |
Bedarf an Phosphor-Düngemittel. Die meisten werden im Land selber | |
produziert.“ Und teilweise sogar exportiert. | |
Damit dürfte die Scheiße von 1,42 Milliarden Chinesen wohl endgültig nur | |
noch ein kostspielig zu entsorgender Abfall geworden sein – und ihr Land | |
bald mit ähnlichen Humusverlusten wie in den USA vor hundert Jahren zu | |
kämpfen haben. 2024 [2][meldete beispielsweise n-tv: „]In vielen Regionen | |
Chinas senken sich die Böden – jedes Jahr um mehrere Millimeter.“ | |
2 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Menschliche-Faekalien-als-Duenger/!5869619 | |
[2] https://www.n-tv.de/wissen/Boeden-in-China-sacken-kontinuierlich-ab-article… | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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