# taz.de -- Geschichte einer drohenden Zwangsräumung: Zwischen zwei Wohnungen | |
> Wegen fehlender Einnahmen wollte ein Buchhändlerpaar aus Hannover | |
> umziehen. Das Paar geriet an einen dubiosen Vermieter und droht nun, | |
> abzustürzen. | |
Bild: Die Kisten sind längst gepackt, aber in seine neue Wohnung kommt Gerhard… | |
Hannover taz | In einer kleinen Wohnung in der hannoverschen Oststadt | |
sitzen Gerhard B. und Elke K. auf gepackten Kisten. Die beiden sind | |
Buchhändler*innen, gemeinsam führten sie das Antiquariat „Klabund“, ein | |
Kellerladen, der an ihre Wohnung anschließt. Bücher sind ihr Leben. Das | |
Ehepaar wirkt sichtlich geschafft. Denn bereits zum zweiten Mal in den | |
vergangenen drei Jahren drohte ihnen eine Zwangsräumung. Dabei wären sie am | |
liebsten schon vor Monaten umgezogen. | |
Ein Wasserschaden – tödlich für ihre alten Bücher – führte dazu, dass s… | |
den aktuellen Kellerladen abstoßen wollten. Mit einem Einbruch der | |
Geschäfte durch die Coronavirus-Pandemie wurden außerdem ihre Mittel immer | |
knapper. Die Kund*innen blieben aus, Märkte fanden nicht statt. Die | |
beiden sahen sich nach einer günstigeren Wohnung um. | |
Im Stadtteil Vahrenheide dachten sie, sie wären fündig geworden. In einem | |
Hochhaus wollten sie eine kleine Wohnung mieten. Am 28. Dezember | |
unterschrieben sie einen Mietvertrag. Drei Monatsmieten Kaution seien | |
geflossen, zu einer Schlüsselübergabe kam es aber nie. Im Januar hätten | |
noch Renovierungen angestanden, erzählt Gerhard B. So gab es etwa keine | |
Heizungen und keinen Stromzähler. | |
Ein Auszug aus der alten Wohnung war schließlich am 28. Februar geplant, | |
deswegen floss dann auch Geld an den neuen Vermieter. Einen Schlüssel | |
erhielt das Paar trotzdem nicht – dafür eine Mitteilung durch den | |
Verwalter, dass sie die Wohnung nicht betreten dürften. Mit einem Brief | |
richteten sie sich an den Vermieter Torsten S., als eine Reaktion ausblieb, | |
schaltete das Ehepaar den Mieterschutzbund ein. Es folgten Bedrohungen und | |
ein tätlicher Angriff. | |
Elke und Gerhard waren auf dem Heimweg von einem mittäglichen Spaziergang, | |
als ihnen der Verwalter der neuen Wohnung auflauerte. Auf offener Straße | |
habe er ihren Mann geschubst, habe beide bedroht und beschimpft, erzählt | |
Elke K. Mehrmals habe sie von Passant*innen Hilfe gefordert, aber | |
niemand habe eingegriffen. Als die Polizei gekommen sei, hätten sie auf | |
eine Anzeige verzichtet – aus Angst vor weiteren Konsequenzen. 48 Stunden | |
später, erzählen die beiden, habe der Verwalter ihnen erneut aufgelauert. | |
Sie seien geflohen und er habe gerufen: „Wollt ihr die zweite Abreibung?“ | |
Bis zuletzt hatte das Ehepaar trotz allem gehofft, alles regele sich schon. | |
Ihr jetziger Vermieter habe zunächst die Räumung beantragt, schließlich | |
hatten B. und K. schon seit Januar einen Auszug in Aussicht gestellt. In | |
der Not zog Gerhard B. im März gegen den neuen Vermieter Torsten S. vor | |
Gericht. Der behauptete, er sei getäuscht worden. Das wies das Gericht | |
zurück. | |
Per Anordnung steht Gerhard B. seit dem 19. März nun das Recht auf Zutritt | |
zur Wohnung zu. Dies ist vorläufig vollstreckbar – trotz möglichen | |
Berufungsverfahrens. Andernfalls drohen dem neuen Vermieter Torsten S. | |
25.000 Euro Geldstrafe oder sechs Monate Zwangshaft. Ein Gerichtsvollzieher | |
soll ihn nicht angetroffen haben. An S.’ Tür steht allerdings auch ein | |
anderer Name. | |
Am Dienstag – einen Tag vor dem für heute angesetzten Räumungstermin – | |
erhielt das Paar nun unvorhergesehen einen Aufschub durch ihren alten | |
Vermieter. Bis zum 20. April dürfen Gerhard B. und Elke K. mit ihren | |
gepackten Kisten in der Wohnung bleiben. Für Gerhard B. hört sich das alles | |
wie ein schlechter Witz an: „Ich sitze in einer Wohnung fest, aus der ich | |
raus will“, sagt er, „und kann nicht in eine andere rein, die ich gemietet | |
habe.“ | |
## Solidarität durch die Nachbarn | |
Bereits bei Gerhard B.’s und Elke K.’s erster Räumung hatte sich das | |
[1][Kiezkollektiv] eingemischt, ein Mieter*innen- Netzwerk, das sich immer | |
wieder für eine solidarische Nachbarschaft einsetzt. Als Aktivist*innen | |
der Gruppe am 22. März den neuen Vermieter an dessen Haustür nach den | |
Schlüsseln und den Gründen für sein Handeln gegenüber dem Ehepaar fragten, | |
habe dieser sie nur zurückgeschubst und gesagt, die Angelegenheit läge beim | |
Anwalt, sagen die Aktivist*innen. Die Tür habe er zugeschlagen und | |
geäußert, dass er sich nicht zum Fall äußern wolle. Auch die ihn | |
vertretende Anwältin beantwortete eine taz-Nachfrage bis Redaktionsschluss | |
nicht. | |
Das Kiezkollektiv unterstützt Gerhard B. und Elke K. nun weiter. Der ganze | |
Prozess zehre unheimlich an ihm, erzählt Gerhard B. und kämpft damit, die | |
Fassung nicht zu verlieren: „Wie eine Guillotine schwebt das über einem.“ | |
Die Unterstützung aus ihrem Freund*innenkreis sei dieses Mal gering, das | |
Schweigen des Telefons dröhnend, sagt Elke K. Mit der Zwangsräumung gingen | |
alle auf Distanz. Armut sei wie ein Stigma, wie eine Krankheit. „Da endet | |
die Solidarität, wo eigentlich nur jemand nötig wäre, der fragt wie es | |
einem geht – gerade mit der Bedrohungssituation.“ Sie hätten Angst | |
rauszugehen und manchmal seit dem Übergriff sogar Todesangst. | |
24 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://kiezkollektiv.blogsport.de/ | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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