# taz.de -- Aufnahme Geflüchteter in Österreich: Die Zahlenakrobatik der ÖVP | |
> Aus 5.000 unbegleiteten Minderjährigen werden 186: Wie sich das | |
> Innenministerium mit einer falschen Aufnahmestatistik schmückte. | |
Bild: Am 17. Dezember 2020 demonstrierten Menschen in Wien für die Aufnahme vo… | |
Wien taz | Österreich habe 2020 über 5.000 unbegleitete minderjährige | |
Flüchtlinge aufgenommen. Damit rechtfertigte Innenminister Karl Nehammer | |
(ÖVP) kurz vor Weihnachten die Ablehnung der Regierung, [1][Asylsuchende | |
aus den Lagern auf Lesbos] aufzunehmen. | |
Dieses Argument löst sich jetzt in Luft auf. Die Beantwortung einer | |
parlamentarischen Anfrage der liberalen Neos brachte nämlich die Wahrheit | |
ans Licht. Nicht mehr als 186 Flüchtlinge unter 18 Jahren waren es | |
tatsächlich, die vergangenes Jahr unbegleitet nach Österreich kamen und | |
hier Schutzstatus erhielten. | |
Schon im Dezember widersprachen Experten der Aussage Nehammers. „Es kann | |
sich unmöglich um 5000 unbegleitete Minderjährige handeln, die heuer in | |
Österreich aufgenommen wurden, denn: Bis Ende Oktober sind heuer 1160 | |
unbegleitete Kinder und Jugendliche nach Österreich gekommen und haben | |
einen Asylantrag gestellt.“, so Christoph Riedl von der evangelischen | |
Diakonie damals in einem Faktencheck für die Medien. | |
Die Zahlenakrobatik, die Österreichs humanitäre Leistung in bestmöglichem | |
Licht präsentieren sollte, basiert auf missverständlichen Begriffen. | |
Tatsächlich hat das Land im Vorjahr 5.730 Kindern und Jugendlichen | |
rechtskräftig Schutz zuerkannt. Aber nur bei 186 handelte es sich | |
tatsächlich um unbegleitete Minderjährige. | |
Laut international gängiger Definition sind das Kinder und Jugendliche | |
unter 18 Jahren, die ohne Eltern unterwegs sind und Schutz suchen. Nehammer | |
schlug der Statistik aber auch 3.220 Kinder zu, die in Österreich als | |
Kinder von Asylwerbern oder Asylberechtigten geboren wurden. Und weitere | |
2.314 sind laut offiziellen Zahlen des Innenministeriums in Begleitung | |
ihrer Eltern gekommen. | |
## Begrenztes Recht auf Familienleben | |
Die österreichischen Gesetze sehen Kinder von Flüchtlingen als Fremde, die | |
nach ihrer Geburt einen Asylantrag stellen müssen, um im Lande bleiben zu | |
können. Das ist unabhängig davon, ob die Eltern bereits einen legalen | |
Aufenthaltsstatus genießen oder nicht. Laut Riedl werden heute noch Kinder | |
von ehemaligen Bosnienflüchtlingen ohne Aufenthaltsstaus geboren. | |
Von den 186 tatsächlichen unbegleiteten Geflohenen, so die | |
Anfragebeantwortung des Innenministers, waren 37 unter 14 Jahre alt. 19 von | |
ihnen genießen jetzt Asylstatus, 18 subsidiären Schutz. 149 waren zwischen | |
14 und 18. | |
Dass sich die ÖVP-Regierungsmitglieder trotz Drängens des grünen | |
Koalitionspartners und vieler ÖVP-Lokalpolitiker weigern, Kinder aus den | |
[2][Lagern auf Lesbos] aufzunehmen, begründen sie auch mit dem drohenden | |
Nachzug der Eltern. | |
Tatsächlich haben Minderjährige einen rechtlichen Anspruch auf | |
Familienleben. Der erlischt allerdings mit dem Erreichen der | |
Volljährigkeit. NGOs hegen den Verdacht, dass viele Asylverfahren von | |
Kindern besonders in die Länge gezogen werden, damit dieser Fall eintritt. | |
18 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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