# taz.de -- Schutzmasken-Affäre der Union: Die Moral der Geschichte | |
> Bundestagsabgeordnete bereichern sich an der Coronakrise und werfen damit | |
> die Moral über Board. Doch hilft die uns überhaupt weiter? | |
Bild: Money, Money… und Moral | |
Mit 13 oder 14 habe ich ein Portemonnaie in einem Kaufhaus gefunden. Um die | |
70 Euro waren drin. Das ist viel Geld damals, als ich mit meinen Brüdern | |
etwas aussichtslos für die neueste Version des Videospiels „Fifa“ gespart | |
habe, war es noch viel mehr Geld. Ich wollte es behalten, aber meine Mutter | |
hat mich daran gehindert: „Das Geld von anderen einzustecken bringt | |
Unglück!“ Ich habe das Portemonnaie dann samt Geld im Kaufhaus abgegeben. | |
Auch wenn meine Mutter es ein bisschen abergläubisch verpackt hat, sprach | |
aus ihr ihre moralische Überzeugung. | |
Heute höre ich im Radio Nachrichten von Bundestagsabgeordneten, die | |
[1][Provisionen für Coronamaskendeals kassiert], sich so an einer | |
gesellschaftlichen Krise privat bereichert haben sollen, und ich denke an | |
die Worte meiner Mutter; und an die Gesellschaft, in der sie moralisch | |
interveniert hat, während andere ganz anders mit viel größeren Geldsummen | |
umgehen. Die Moral lese ich dann vor allem als Herrschaftsinstrument. | |
Dass die Welt in Arm und Reich gespalten ist, ist kein Ergebnis | |
unmoralischer Entscheidungen, sondern der als moralisch erachtete | |
Normalzustand. Es ist Ausdruck von Eigentumsverhältnissen und einer daraus | |
folgenden Arbeitsteilung, in der die einen im moralischen Selbstverständnis | |
harter Arbeit nachgehen müssen, um sich selbst zu reproduzieren, und die | |
anderen es ganz und gar nicht unmoralisch finden, dass sie das wegen | |
glücklicher persönlicher Umstände nicht müssen, um ein viel angenehmeres | |
Leben zu genießen. | |
## Die bestehende Ordnung | |
Nun haben es wieder einmal zwei Repräsentanten dieses moralischen | |
Normalzustands zu weit getrieben, weil ihnen dieser Vorteil nicht | |
ausgereicht hat. Sie ziehen deshalb den Zorn der Allgemeinheit auf sich: | |
Nicht nur das Vertrauen in die Unionsparteien stehe im Superwahljahr auf | |
dem Spiel, sondern jenes in ein ganzes politisches System, liest man. Dabei | |
ist es doch so, dass die bestehende Ordnung, die mit solchen Ausfällen | |
eigentlich ihren Wesenskern offenbart, jetzt ein Opfer hergeben muss, um | |
nicht als Ganzes in Verdacht zu geraten. | |
Denn die Abgeordneten haben nicht prinzipiell, sondern graduell anders | |
gehandelt als es in dieser Ordnung der Ausbeutung der einen durch die | |
anderen moralisch anerkannt ist. Das sieht man auch daran, dass teilweise | |
geklärt werden muss, [2][ob dieses Handeln überhaupt justiziabel ist]. | |
Ist es deshalb nicht auch Betrug, moralisierend so zu tun, als würde es in | |
der pandemisch-kapitalistischen Gegenwart gar nicht um Geschäfte, sondern | |
um Nächstenliebe gehen? Tut die moralische Empörung nicht so, als würde es | |
in unserer Gesellschaft jenseits der Maskendeals schon ganz gerecht | |
zugehen? Und warum gibt meine Mutter mehr auf Moral als | |
Bundestagsabgeordnete? | |
Die Antworten liegen in den materiellen Strukturen und der dazugehörigen | |
Ideologie. Wenn man sie verstehen will, dann sollte man die Moral | |
entsorgen. Denn Moral entpolitisiert. | |
11 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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